Название | Besonderes Verwaltungsrecht |
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Автор произведения | Mathias Schubert |
Жанр | Языкознание |
Серия | Schwerpunkte Pflichtfach |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811453593 |
gg) Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Literatur die Stimmen mehrten, die der traditionellen Dogmatik vorwarfen, sie sei ungeeignet, Diskrepanzen zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit zu beseitigen und kommunalen Substanzverlusten entgegenzuwirken.
– | Das sog. funktionale Selbstverwaltungsverständnis[71] wollte an die Stelle eigenverantwortlicher gemeindlicher Entscheidungen lediglich eine gesicherte Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen treten lassen. Dies sind Überlegungen, die bereits mit dem Wortlaut des Art. 28 II 1 GG (eigenverantwortliche Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft) nicht in Einklang zu bringen sind, geschweige denn mit seiner Ratio. Ein solches Mitwirkungspostulat kann richtigerweise lediglich Ergänzungs-, nicht aber Substitutionsfunktionen erfüllen. |
– | J. Burmeister[72] sah in der kommunalen Selbstverwaltung lediglich ein staatsorganisatorisches Aufbauprinzip und die Gemeinden als unterste Vollzugsinstanz aller staatlichen Aufgaben, ohne dass ihnen eine Kompetenz- bzw Funktionsgarantie zustünde. Schon daraus wird ersichtlich, dass es sich bei seinen Überlegungen, wie auch der Titel der Schrift klarlegt, um eine verfassungstheoretische Neukonzeption handelt, bei der verfassungsexegetische Elemente nur eine Nebenrolle spielen[73]. |
– | Weil sich diese primär in den siebziger Jahren entwickelten Konzeptionen gegenüber der traditionellen Dogmatik aber letztlich nicht haben durchsetzen können, will ein neuer Ansatz von A. Engels nunmehr mittels einer prinzipientheoretischen Betrachtung zu einer „dogmatischen Rekonstruktion“ des kommunalen Selbstverwaltungsrechts kommen[74]. |
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hh) Neben diesen Kernbereichsschutz tritt das auch bei Eingriffen in die Selbstverwaltungssphäre stets zu beachtende, auf dem Rechtsstaatsprinzip gründende Übermaßverbot mit seinen Komponenten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ieS, durch dessen Heranziehung seit Ende der 70er-Jahre die Verfassungsgerichte der Länder sich bemühten, den Rechtsschutz der Kommunen gegen Aufgabenentziehung und organisatorische Einwirkungen zu dynamisieren[75].
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Ansätze in der Sache aufgegriffen und spricht mittlerweile von einem aus Art. 28 II 1 GG zu folgernden, auch außerhalb des Kernbereichs wirkenden verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip[76] hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu Gunsten der Gemeinde, die der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber bei der Wahrnehmung seiner „Gestaltungs- und Abgrenzungsbefugnis“[77] zu berücksichtigen habe; ein Prinzip, das zu Gunsten kreisangehöriger Gemeinden auch gegenüber den Kreisen gelte[78].
Auf die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung bezogene inhaltliche Vorgaben bedürfen damit eines rechtfertigenden Grundes, etwa um eine ordnungsgemäße Erledigung sicherzustellen, und müssen beschränkt bleiben „auf dasjenige, was der Gesetzgeber zur Wahrung des jeweiligen Gemeinwohlbelangs für erforderlich halten kann, wobei er angesichts der unterschiedlichen Ausdehnung, Einwohnerzahl und Struktur der Gemeinden typisieren darf und auch im Übrigen einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum hat“[79].
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Art. 28 II 1 GG gewährt den Gemeinden damit verfassungsrechtlichen Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen auch, soweit kommunalinterne Maßnahmen, etwa Aufgabenverlagerungen auf die Kreisebene, verfügt werden. Leistungsfähige kreisangehörige Gemeinden haben einen verfassungskräftig geschützten Anspruch darauf, dass ihrer Eigenaktivität nicht durch Zugriff oder Vorgriff des Kreises der Boden entzogen wird. Der Gesetzgeber darf den Gemeinden danach eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also etwa dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre, und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem aus Art. 28 II 1 GG abgeleiteten verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip überwiegen. Die Sätze 1 und 2 des Art. 28 II GG enthalten so zugleich kommunalintern kompetenzverteilende und nach außen hin kompetenzabgrenzende Komponenten[80].
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ii) Sie entfalten so auch Wirkung im Verhältnis zwischen Nachbargemeinden[81].
Wie weit die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers bei der „Hochzonung“ bisheriger Gemeindeaufgaben reichen, ist allerdings im Einzelnen nach wie vor umstritten. BVerwGE 67, 321 ging in Sachen „Rastede“ im Wesentlichen noch von einer Gleichrangigkeit von Gemeinden und Gemeindeverbänden aus. Der Gesetzgeber sei daher bei einer kommunalinternen Aufgabenverlagerung lediglich an Gemeinwohl und Übermaßverbot gebunden. Dagegen wurde überwiegend[82] der Gedanke der subsidiären Verbandszuständigkeit vertreten, dh originär sind die Gemeinden für alle örtlichen Aufgaben zuständig. Erst wenn deren Leistungsfähigkeit zur Erfüllung bestimmter Aufgaben nicht mehr ausreicht, dürfen diese Gemeindeverbänden übertragen werden. Für diese Ansicht konnte bereits der Wortlaut des Art. 28 II GG angeführt werden, der den Gemeinden originäre Aufgaben zuweist, während die Gemeindeverbände lediglich über einen abgeleiteten, „gesetzlichen Aufgabenbereich“ verfügen. Das BVerfG wies in Sachen „Rastede“, wo es um die auf nds. Gesetzgebung beruhende Verlagerung der Aufgabenzuständigkeit für die Beseitigung privater Abfälle von den kreisangehörigen Gemeinden auf die Landkreise ging, trotz des konstatierten Vorrangs der Gemeindeebene vor der Kreisebene die kommunale Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zurück, da der Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Bewertung der örtlichen Bezüge der betreffenden Aufgabe und ihres Gewichts in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise genutzt habe. Gründe des Umweltschutzes, der Seuchenabwehr und der Landschaftspflege lassen sich im Spannungsverhältnis zwischen Verwaltungseffizienz und Bürgernähe durchaus für eine Hochzonung der gesamten Abfallentsorgung anführen, weshalb in Nds. die kreisangehörigen Gemeinden dem entsorgungspflichtigen Landkreis lediglich (gegen Kostenerstattung) Verwaltungshilfe leisten, vgl § 6 I NAbfG. Anders in NRW, wo das Einsammeln und Befördern der Abfälle in der Hand der Gemeinden blieb, vgl § 5 VI AbfG NRW.
Grafisch lässt sich die Überlegung der Rastede-Entscheidung wie folgt darstellen:
Übersicht 2:
Die Rastede-Entscheidung
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Die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte orientiert sich dabei stark an der verwaltungsrechtlichen Abwägungsfehlerlehre (u. Rn 1012 ff), wie sie etwa zum Bauplanungsrecht entwickelt wurde. Auf der Grundlage dieser Judikatur des Bundesverfassungsgerichts kommt es für eine verfassungsrechtliche Bewertung jeweils auf die Besonderheiten des betreffenden Aufgabenfeldes, seine Dimensionen und seine Relevanz für staatlicherseits zu schützende Belange unter Würdigung der Einzelheiten der Reichweite und der Intensität des gesetzgeberischen Eingriffs an[83].
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jj) Zur kommunalen Organisationshoheit hat das BVerfG[84] festgestellt, die Selbstverwaltungsgarantie umfasse traditionell auch kommunale Organisationsbefugnisse, allerdings nicht im Sinne eines Prinzips der Eigenorganisation der Gemeinde, demgegenüber jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfe. Dem Gesetzgeber sind freilich bei der Ausgestaltung der gemeindlichen Organisation in doppelter Hinsicht Grenzen gesetzt: