Название | Besonderes Verwaltungsrecht |
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Автор произведения | Mathias Schubert |
Жанр | Языкознание |
Серия | Schwerpunkte Pflichtfach |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811453593 |
Daran anknüpfend hat das Landesverfassungsgericht in Sachsen-Anhalt sich ebenfalls näher zum Prinzip der Überschaubarkeit geäußert, im zu entscheidenden Fall aber andersherum der Leistungsfähigkeit der kommunalen Einheit einen Vorrang vor dem Prinzip der örtlichen Verbundenheit eingeräumt: Zwar komme dem Bestand eigenständiger örtlicher Gemeinschaft ein Wert von hohem verfassungsrechtlichen Rang zu, doch schließe es allein die Größe des neu gebildeten Gemeindegebiets (hier 632 km2) nicht aus, dass eine örtliche Verbundenheit mit den verschiedenen Ortsteilen zumindest hergestellt und damit dem Gebot der Überschaulichkeit Rechnung getragen werden könne. Entscheidend sei, „ob die verschiedenen neuen Gemeindeteile verkehrsmäßig in zumutbarer Weise an die übrigen Gemeinden angeschlossen sind oder angeschlossen werden können, die Gemeindeverwaltung mit ihrer Tätigkeit alle Teilgebiete gleichmäßig erfassen und betreuen kann und die Bewohner aller Teilgebiete sich in gleicher Weise an den gemeindlichen Aktivitäten beteiligen können“.[100]
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Art. 28 II 2 GG garantiert vom Wortlaut her keine bestimmte Kategorie von Gemeindeverbänden. Wenngleich die Kreise[101] in Art. 28 I 2 GG erwähnt sind, so verzichtet Art. 28 II 2 GG doch auf ihre ausdrückliche Benennung. Unbeschadet dessen wird man jedoch davon auszugehen haben, dass die institutionelle Rechtssubjektsgarantie des Gemeindeverbandes eine Organisationsform voraussetzt, deren tragende Elemente der herkömmlichen Kreisorganisation (dazu unten Rn 175 ff) sehr nahe kommen[102]. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang nicht festgelegt, sondern nur festgestellt, dass zu den Gemeindeverbänden iSv Art. 28 II 2 GG „jedenfalls die Kreise gehören“[103].
Die Selbstverwaltungsgarantie weist den Kreisen auch die Wahrnehmung der unter Rn 55 geschilderten Gemeindehoheiten auf der Gemeindeverbandsebene zu. In Ansehung der Finanzhoheit wird so etwa in der Festsetzung des Umlagesatzes der sog. Kreisumlage (dazu oben Rn 23 u. unten Rn 343) eine Selbstverwaltungsangelegenheit gesehen[104].
Üblicherweise unterscheidet man bei den von den „lokal-örtlichen“ Aufgaben der kreisangehörigen Gemeinden zu separierenden „regional-örtlichen“ Kreisaufgaben zwischen drei Gruppen (s. auch Rn 22)[105]: Die substanziell überörtlichen Aufgaben sind solche, die von der Sache her über das Gebiet einer einzelnen Gemeinde hinausgehen und Auswirkungen für mehrere kreisangehörige Gemeinden haben (zB Standortmarketing für den gesamten Kreis). Daneben nehmen die Kreise sog. Ergänzungsaufgaben wahr. Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die der Kreis zur Minderung eines Leistungsgefälles zwischen starken und schwachen kreisangehörigen Gemeinden gleichsam stellvertretend für einige kreisangehörige Gemeinden wahrnimmt, wenn sie deren Leistungskraft übersteigen (zB Betrieb von Volkshochschulen). Als sog. Ausgleichsaufgaben übernimmt der Kreis schließlich logistische oder beratende Unterstützungsmaßnahmen für die Aufgabenerledigung auf der Ebene der kreisangehörigen Gemeinden, zB im Bereich der Rechtsberatung[106].
3. Repräsentative Demokratie auf kommunaler Ebene (Art. 28 I 2 GG)
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Gemäß Art. 28 I 2 GG muss das Volk[107] nicht nur in den Ländern, sondern auch in den Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Damit sind die für den Bundestag (Art. 38 I 1 GG) geltenden Wahlrechtsgrundsätze im Sinne der repräsentativen Demokratie auch für Wahlen in Gemeinden und Landkreisen maßgeblich[108].
Freie Wahl bedeutet dabei auch: Verbot eines parteiergreifenden Hineinwirkens in den Wahlkampf von Amtsträgern in amtlicher Eigenschaft (s. auch Rn 134)[109].
Im Zusammenhang mit der Ungültigkeitserklärung einer Oberbürgermeisterwahl hat das BVerwG vermerkt: „Der Grundsatz der Freiheit der Wahl, wie er in Art. 28 I 2 GG auch für Kommunalwahlen verbindlich normiert ist, setzt auch voraus, dass sich der Wähler über Ziele und Verhalten der Wahlbewerber frei von Manipulationen informieren kann. Er schützt deshalb den Wähler vor Beeinflussungen, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz des bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen … Zu diesen Beeinflussungen gehören auch Täuschungen und Desinformation, weil zu diesen Formen des Vorenthaltens von Wahrheit keine hinlängliche Möglichkeit der Abwehr, zB mit Hilfe der Gerichte, oder des Ausgleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, besteht … Sie stellen eine erhebliche Verletzung der Freiheit und Gleichheit der Wahlen dar. Die Integrität der Wählerwillensbildung ist betroffen, wenn amtliche Stellen das ihnen obliegende Wahrheitsgebot nicht einhalten“[110].
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Der Grundsatz der gleichen Wahl gilt gleichermaßen für das aktive wie für das passive Wahlrecht[111]. Er besagt, dass jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können soll. Differenzierungen – wie etwa die Statuierung von Wählbarkeitshindernissen aus Gründen der Abwehr abstrakter Interessenkollisionen gemäß der Ermächtigung des Art. 137 I GG[112] – bedürfen stets eines zwingenden Grundes[113].
Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit lässt die landesgesetzliche Statuierung resp. Aufrechterhaltung einer 5%-Sperrklausel auch für kommunale Vertretungen nur bei nachvollziehbarer Begründung (zu erwartende Gefährdung der Funktionsfähigkeit; s. unten Rn 134) zu[114], wenngleich deren Wegfall in mittlerweile fast allen Ländern zeigt, dass für eine solche Klausel in der Praxis keine Notwendigkeit mehr besteht[115].
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Als Petitionsadressat iSv Art. 17 GG wird auch der Gemeinderat angesehen, sodass jedermann und damit auch einem im Ausland lebenden, dorthin von der Ausländerbehörde abgeschobenen Ausländer das Recht zustünde, sich mit einer Petition an ihn zu wenden[116].
Unbeschadet dessen ist aber der Gemeinderat als unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft kein Parlament im staatsorganisationsrechtlichen Sinne (siehe insoweit deutlich Art. 3 I u. II Verf. NRW). Die Stellung der kommunalen Vertretung kennzeichnete das BVerwG prägnant wie folgt:
„Die Gemeindevertretung ist kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft (vgl BVerfGE 78, 344 [348]); damit ist die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinden trotz eines gewissen legislatorischen Charakters im System der staatlichen Gewaltenteilung dem Bereich der Verwaltung und nicht dem der Gesetzgebung zuzuordnen (vgl BVerfGE 65, 283 [289])“[117].
Nach Art. 28 I 4 GG kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft im Falle entsprechender gesetzlicher Regelungen die Gemeindeversammlung treten[118]. Soweit diese Normierung überhaupt in Anspruch genommen wurde – dies liegt im gesetzlichen Ermessen der Länder – ist sie nur in Kleinstgemeinden