Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe. Dieter Röh

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Название Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe
Автор произведения Dieter Röh
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846348765



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Lebensführungskompetenz zu fördern und zu erhalten ist.

      In einer Sozialen Arbeit in der Behindertenhilfe kommen also zwei Zugänge zusammen und bilden erst gemeinsam die spezielle Expertise: Der Einzelne mit seiner Beeinträchtigung erlebt sich selbst und andere in einer gegebenen Umwelt, die ihm entweder Möglichkeiten oder Begrenzungen bietet (Röh 2013 und 2016b). Er selbst ist durch seine Beeinträchtigung, Sozialisationserfahrungen und Persönlichkeit hinsichtlich seiner Bewältigungskompetenz in einem gewissen Maße befähigt, sich diese Umwelt für ein daseinsmächtiges Leben (auch) mit Beeinträchtigung anzueignen. Wo immer diese Aneignung nicht dazu ausreicht, die Bedürfnisse des Einzelnen zu befriedigen, da entweder die individuellen oder die sozialen Ressourcen nicht genügen oder aber die Gesellschaft ihrerseits mit Restriktionen auf den Menschen mit Beeinträchtigung reagiert, kann die Soziale Arbeit mit ihrer Professionalität auf diese „Transaktionsstörungen“ reagieren und versuchen, sie mittels professioneller Interaktionen zu beheben. Ihr vorderstes Ziel ist es dabei, ihre Klientel kurz-, mittel- oder langfristig zu einem selbstständigen und selbstbestimmten Leben zu befähigen.

      Übungen zu Kap. 2.3

      6. Verständnisfrage: Wie lautet die Definition Sozialer Arbeit der IFSW?

      7. Diskussions-/Reflexionsfrage: Wie stehen Sozialarbeit und Sozialpädagogik in einem integrativen Modell Sozialer Arbeit zueinander?

      8. Diskussions-/ Reflexionsfrage: Was bedeutet Daseinsmächtigkeit im Zusammenhang mit „Behinderung“?

      2.4 Ethisch-moralische Grundlagen

      Vor allem die grausamen Erfahrungen während der NS-Diktatur in Deutschland haben eine erhöhte Wachsamkeit in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen, aber auch bei anderen vulnerablen und von Ausgrenzung bedrohten Gruppen zur Folge gehabt.

      Die Debatten um eine Bio-Ethik sowie um die utilitaristische Begründungen von Sterbehilfe und Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen mit Beeinträchtigungen stellen zudem eine fortwährende Bedrohung des erreichten ethischen Niveaus einer akzeptierenden und fördernden Gesellschaft dar (Hedderich et al. 2016).

      Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe bedarf daher einer grundlegenden Klärung ihrer ethisch-moralischen Grundlagen, die im Sinne einer praktischen Ethik auch normative Hinweise gibt für eine gute Kultur im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen und auf berufsethische Dilemmata sowie auf gesellschaftliche Mechanismen hinweist. Dabei sind Werte und Werturteile immanenter Teil professioneller Praxis und diese Praxis benötigt neben klaren handlungsleitenden Vorgaben auch eine reflexive Kompetenz zur situativen Klärung von Dilemmata.

      Eine Ethik der Sozialen Arbeit ist dabei immer eine plurale Ethik, die jedoch vereint wird in der Anerkennung und Wertschätzung der menschlichen Würde, die spätestens seit Kant auch säkular begründet werden kann. Im religiösen Verständnis wurde und wird die Würde des Menschen durch die Gottesähnlichkeit des Menschen definiert:

      „Die Gottebenbildlichkeit (lat. : imago dei) ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch im verschiedenen Maße und nie absolut Gottähnlichkeit (lat. : similtudo dei) erreichen kann. Als Ebenbild Gottes ist damit der Mensch in Freiheit gesetzt, sein Leben zu realisieren und schöpferisch zu gestalten; jedoch gemäß den Vorstellungen eines der Offenbarung Gottes gemäßen Lebens“ (Mührel/Röh 2008, 52).

      Baumgartner (2004, 268) fasst die Menschenwürde deshalb wie folgt zusammen:

      „Menschenwürde heißt nach christlichem Verständnis, dass jedem, der Menschenantlitz trägt, in jeder Phase seines individuellen Entwicklungsstands und unabhängig, von seinen Eigenschaften und Leistungen ein unbedingter Wert zukommt, der – negativ – jede instrumentalisierende Verrechnung verbietet. “

      Daneben existiert spätestens seit Immanuel Kant eine philosophische Auffassung der menschlichen Würde durch das sogenannte Instrumentalisierungsverbot, das bei Kant wie folgt definiert wird:

      „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. “

      Diese, auch als praktischer Imperativ bekannt gewordene Definition von Menschenwürde, erweitert den kategorischen Imperativ, der besagt: „Handle stets so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zur allgemeinen Gesetzgebung reiche“ (Kant, zitiert nach Eisenmann 2006, 84).

      2.4.1 IFSW-Kodex

      Im Einzelnen bedeutet dies für den Bereich der Menschenrechte bzw. Menschenwürde:

      „1. Das Recht auf Selbstbestimmung achten: Sozialarbeiter/innen sollten das Recht der Menschen achten und fördern, eigene Entscheidungen zu treffen, ungeachtet ihrer Werte und sonstigen Lebensentscheidungen, vorausgesetzt, dass dadurch nicht die Rechte und legitimen Interessen eines anderen gefährdet werden.

      2. Das Recht auf Beteiligung fördern: Sozialarbeiter/innen sollten die Teilhabe der Menschen, die ihre Dienste nutzen, fördern, sodass sie gestärkt werden können, in allen Aspekten von Entscheidungen und Handlungen, die ihr Leben betreffen, mitzubestimmen.

      3. Jede Person ganzheitlich behandeln: Sozialarbeiter/innen sollten sich mit der Person als Ganzes innerhalb der Familie, der Gemeinschaft, sowie der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigen, und sollten darauf bedacht sein, alle Aspekte des Lebens einer Person wahrzunehmen.

      4. Stärken erkennen und entwickeln: Sozialarbeiter/innen sollten den Schwerpunkt auf die Stärken des Einzelnen, der Gruppen und der Gemeinschaften richten um dadurch ihre Stärkung weiter zu fördern. “

      Die Soziale Gerechtigkeit ist konkret wie folgt zu erreichen:

      „1. Negativer Diskriminierung entgegentreten: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung aufgrund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status, politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung, oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten.

      2. Verschiedenheit anerkennen: Sozialarbeiter / innen sollten die ethnischen und kulturellen Unterschiede von Gesellschaften in denen sie arbeiten anerkennen und respektieren und die Unterschiede von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beachten.

      3. Gerechte Verteilung der Mittel: Sozialarbeiter/innen sollten sicherstellen, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht – gemäß den Bedürfnissen – verteilt werden.

      4. Ungerechte Politische Entscheidungen und Praktiken zurückweisen: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre Arbeitgeber, Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen, wo Mittel unzulänglich sind oder wo die Verteilung von Mitteln durch Verordnungen und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist.

      5. Solidarisch arbeiten: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, sozialen Bedingungen entgegenzutreten, die zu sozialem Ausschluss, Stigmatisierung oder Unterdrückung führen. Sie sollen auf eine einbeziehende Gesellschaft hinarbeiten. “