Название | Handbuch E-Learning |
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Автор произведения | Patricia Arnold |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846349656 |
Die Zukunft gehört dem Lernen im virtuellen Bildungsraum
Aus der dargestellten Diskussion der konstituierenden Faktoren von Bildungsprozessen könnte nun der Schluss gezogen werden, dass virtuelle Bildungsangebote prinzipiell keinen Erfolg haben können und es daher angebracht ist, zu Präsenzveranstaltungen zurückzukehren. Das wäre jedoch ein unangemessener Kurzschluss, der die zweifelsohne vorhandenen Vorteile der interaktiven Medien und des Internets für Bildungsprozesse missachtet. Von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Implementierung ist, wie die Entwicklung der Nutzung von E-Learning zeigt, dass nicht allein die medialen Produktinnovationen in den Blick genommen werden, sondern auch die Prozessinnovationen (Arnold, P. 2009). Es ist also in der Perspektive der Förderung einer ganzheitlichen Kompetenzentwicklung der Lernenden die Frage zu stellen, welche Stärken der Neuen Medien wie in Bildungsprozessen genutzt werden können und wie die Vorteile des Lehrens und Lernens in Präsenzveranstaltungen in und mit Online-Bildungsangeboten erhalten und weiter ausgebaut werden können.
2.4 Konstituierende Faktoren virtuellen Lehrens und Lernens
Ein pädagogisches Verhältnis kann nur zwischen Menschen bestehen
Nach der Methode der logischen Rekonstruktion (PAQ 1980, 19–62) der Gründe der bislang oft nicht erfüllten Erwartungen von Online-Bildungsangeboten (siehe z. B. Uhl 2003; Haug/Wedekind 2009) und der konstituierenden Faktoren erfolgreicher Bildungsprozesse lassen sich die grundlegenden Voraussetzungen wie die konstituierenden Faktoren für ein erfolgreiches Lehren und Lernen mit digitalen Medien herleiten. Die früher und oft noch immer geltende – bewusst hergestellte oder unbewusst befolgte – generelle Funktionsbestimmung der digitalen Medien im virtuellen Lehren und Lernen als Ersatz personaler Lehre ist danach vollständig aufzugeben. Ein pädagogisches Verhältnis zwischen Lehren und Lernen, das erst durch den Diskurs über die gesellschaftlichen Bedeutungen von Lehr- und Lerngegenständen und die subjektive Zuschreibung von Bedeutungen konstituiert wird, kann prinzipiell nur zwischen Personen bestehen. Ein pädagogisches Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden oder zwischen gemeinsam Lernenden ist, bezogen auf das gemeinsame Dritte, nämlich die Lehr- und Lerngegenstände, immer kommunikativ vermittelt durch die Benutzung vielfältiger Symbolsysteme (z. B. Sprache, Schrift, Formel, Grafik, Zeichnung, Bild, Film), deren Träger sehr unterschiedliche Medien (z. B. Buch, Zeitschrift, Arbeitsblätter, Lernsoftware) sein können.
Zwischen Mensch und Maschine (Computer und Internet) kann prinzipiell kein reflektierter Diskurs über gesellschaftliche und subjektive Bedeutungszuschreibungen geführt werden. Alles, was ein Computer bzw. die darauf laufenden Bildungsmedien einem Lernenden bieten können, ist immer von anderen (z. B. Lehrenden, Experten, Lernenden) bereits Vorgedachtes, präsentiert im Design einer interaktiven Lernsoftware – auch ITS arbeiten nur nach einer begrenzten Zahl vorgegebener Regeln. Daher kann ein interaktives oder gar intelligentes digitales Bildungsmedium niemals den Diskurs mit einer lehrenden Person oder anderen Experten oder Mitlernenden ersetzen.
Computer als exzellentes Medium im pädagogischen Verhältnis
Wohl aber können Computer und Internet als ein neues und exzellentes Medium im pädagogischen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden genutzt werden (Zimmer 2000a). Die Lehrhandlungen sowie die geforderten und erwarteten Lernhandlungen bezogen auf einen Gegenstand sind in den interaktiven Präsentationen der digitalen Bildungsmedien objektiviert. Sie haben damit eine objektivierte Qualität und stehen den Lernenden zeitunabhängig zur Verfügung. Die Funktionsbestimmung bleibt dabei aber immer die eines interaktiven Mediums im pädagogischen Verhältnis, mit dem von den Lernenden selbst gesteuert nur rekonstruiert werden kann, was darin medial vorgegeben ist. Alle durch die lernende Bearbeitung angeregten und über die medialen Präsentationen hinausgehenden Fragen können nur in Kommunikation mit den Lehrenden oder anderen Lernenden geklärt werden. Das Lernen mit interaktiven Medien erfordert aufgrund der Objektivierung der Lehr- und Lernhandlungen sowie ihrer universellen technischen Funktionalitäten der Informationsverarbeitung und Telekommunikation neue didaktische und methodische Arrangements für das Lehren und Lernen in virtuellen Bildungsräumen. Die Entwicklung einer geeigneten Didaktik und Methodik für das virtuelle Lehren und Lernen steht, obwohl bereits verschiedene Konzepte und vielfältige Erfahrungen vorliegen, noch immer ziemlich am Anfang. Klar geworden ist inzwischen: Die bisher entwickelten didaktischen und methodischen Konzepte von Bildungsangeboten in virtuellen Bildungsräumen sind noch unzureichend, weil allzu lange an falschen Vorstellungen über das Lernen als Resultat des Lehrens und über die Substitution personaler Lehre durch den Computer festgehalten wurde. Die erfahrenen Nutzungsdefizite und herausgebildeten neuen Praxen der kommunikativen und partizipativen Nutzung von Computer und Internet durch die Lernenden wurden noch nicht hinreichend kritisch reflektiert aufgegriffen, um neue erfolgreiche Modelle virtuellen Lehrens und Lernens zu entwickeln und zu erproben.
Neue Beteiligungschancen für die Lernenden
Die im Unterschied zu allen traditionellen Medien neue Funktionalität der über das Internet vernetzten Computer, nämlich die universelle Informationsverarbeitung und Kommunikation, macht eine grundlegende Veränderung und Weiterentwicklung der in Präsenzveranstaltungen bewährten didaktischen und methodischen Strukturen notwendig. Wenn Ausgangspunkt und Kern eines Lernprozesses die diskursive Bestimmung, Differenzierung und Kontextualisierung des Gegenstandes im Hinblick auf den Erwerb von Kompetenzen für eine spätere Berufstätigkeit und Teilhabe an der gesellschaftlichen Lebensgestaltung in den verschiedenen Praxisfeldern sind, dann eröffnen Computer und Internet den Lernenden vor allem breite Möglichkeiten kooperativ selbst organisierter und selbstbestimmter Beteiligung an diesen Diskursen. Den Lernenden eröffnet sich die Chance, viel weiter gehender als in den regelmäßigen, aber terminlich eng begrenzten Präsenzveranstaltungen an der Bestimmung ihres Lerngegenstandes mitwirken und die übliche unbefragte Dominanz der Lehrenden durch das Einbringen eigener Vorstellungen und erarbeiteter Erkenntnisse hinterfragen oder relativieren zu können (vgl. Kap. 5.4). Dies fördert die Entwicklung der eigenen fachlichen, methodischen, sozialen, zeitlichen und räumlichen Kompetenzen.
Diskursive Ausgliederung von Lernaufgaben
Für die didaktische Konzeption eines Online-Bildungsangebotes bedeutet dies, die von Lehrenden und Lernenden gemeinsam vorzunehmende diskursive Ausgliederung von Lernaufgaben aus den jeweiligen wissenschaftlichen und/oder praktischen Aufgabenfeldern in das Zentrum der lehrenden und lernenden Bemühungen zu stellen. Diese Ausgliederung kann beispielsweise durch computerbasierte Simulationen vorbereitet werden, die den Lernenden die Erfahrung von Kompetenzdiskrepanzen ermöglicht. Diese Erfahrung bildet dann den Ausgangspunkt für den Diskurs über die in der Simulation präsentierten und in kritischer Reflexion gemeinsam anzustrebenden Ziel- und Handlungsorientierungen. Computer und Internet als ortsunabhängige und zeitflexible multisymbolische Präsentations- und Kommunikationsmedien bieten dazu gute Chancen für eine breitere aktive Beteiligung der Lernenden, die sich eben nicht nur in Rezeption erschöpft. Vielmehr fordert sie gerade dazu auf, an der Ausgliederung und Definition konkreter Lernaufgaben im eigenen Interesse engagiert mitzuwirken, beispielsweise in kooperativ selbst organisierten Lerngruppen. Durch eine flexible Aufteilung zwischen Präsenz- und Online-Phasen können die methodischen Vor- und Nachteile beider Phasen zur Erhöhung der Qualität und Effizienz des Lehrens und Lernens ausgeglichen werden, beispielsweise indem die Präsenzphasen vor allem zur inhaltlichen Diskussion und die Online-Phasen zur inhaltlichen Vorbereitung in kleinen Lerngruppen genutzt werden. Zwischenergebnisse der Lerngruppen können im Internet wiederum den anderen Lernenden wie den Lehrenden zur kritischen Stellungnahme präsentiert werden, um den eigenen Lernprozess reflektiert zum optimalen Erfolg zu führen.
Computer und Internet ermöglichen vielfältige Kooperationen und Kommunikationen sowie Informationsbeschaffungen und Präsentationen der Lernenden in ihrem Lernprozess bezogen auf die jeweils gemeinsam bestimmten Lernaufgaben. Sie können sich dadurch mit Unterstützung der Lehrenden selbst organisiert in die aktuellen Probleme und Aufgaben in Wissenschaft und Praxis hineinarbeiten und somit im Bildungsprozess die beruflich relevanten Kompetenzen erwerben.