Handbuch E-Learning. Patricia Arnold

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Название Handbuch E-Learning
Автор произведения Patricia Arnold
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846349656



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diesen Zusammenhängen „entwickeln Menschen auch subjektive Gründe und verfügen über gemeinsame Maßstäbe, inwieweit diese vorhandenen Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für sie Bedeutung haben, warum sie auf sie Anziehungs- oder Abstoßungskräfte ausüben, weshalb sie sich etwas aneignen oder erschließen wollen und warum sie eventuell über diesen Stand sogar hinauszugehen versuchen. Mit jeder Veränderung an objektiven Handlungsmöglichkeiten und Ausgangspositionen der Menschen verändern sich auch ihre Gründe und Maßstäbe. In jedem Fall müssen Menschen dabei über Kriterien für ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Ergebnisse, ‚produktive‘ und ‚unproduktive‘ Arbeitsweisen, ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Lösungen verfügen, wenn sie ihr eigenes oder das Handeln anderer bewerten und unter den gewonnenen Einsichten verbessern und weiterentwickeln“ (Langemeyer 2015, 154, Hervorh. im Original).

      Kompetenzentwicklung ist damit immer ein Prozess der Bildung der Persönlichkeit in Verhältnissen und Kontexten. Da Kompetenzen als ein ganzheitlich integriertes Potenzial eines mündigen Subjekts zu verstehen sind, kann der Kompetenzbegriff auch nicht, wie dies oft geschieht, allein auf die fremdbestimmte Selbstfunktionalisierung des Subjekts für die heutigen Arbeitsanforderungen reduziert werden. Der Kompetenzbegriff kann daher auch als ein modernes Synonym für den traditio­nellen Begriff der Bildung des Subjekts verstanden werden. Denn gerade die sub­jektive Entwicklung ganzheitlicher Kompetenzen oder eben ganzheitlicher Bildung entspricht den heutigen und zukünftigen Anforderungen in Arbeit, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und den daraus erwachsenden Anforderungen an ein lebenslanges Lernen und Lehren in kommunikativen und partizipativen pädagogischen Verhältnissen. Eine allein nach ökonomischen Kriterien funktional-methodische neue Steuerung der Lernprozesse im E-Learning entsprechend detailliert vorgegebenen Zielen, Inhalten, Strukturen, Handlungen und Lernzeiten verhindert dies.

      Beschäftigungsfähigkeit

      Der Europäische Rat hat in seiner Lissabon-Agenda im Jahr 2000 beschlossen, die Europäische Gemeinschaft zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu entwickeln. Dies soll durch eine enge Verknüpfung von Wirtschaft und Bildung in lebenslangen Lernprozessen erreicht werden. Dementsprechend soll das oberste Ziel aller Bildungsangebote der auf den Arbeitsmarkt bezogene Erwerb aller erforderlichen Kompetenzen für die Beschäftigungsfähigkeit (Employability) sein, die in nationalen Qualifikationsrahmen (z. B. dem Deutschen Qualifikationsrahmen, DQR) auf der Grundlage des European Qualification Framework (EQF; des Europäischen Qualifikationsrahmens, EQR) europa­weit vergleichbar auf acht Niveaus standardisiert ist. Auch alle akademischen Studien­gänge sollen durch deren Modularisierung und Akkreditierung die Studierenden für den Arbeitsmarkt auf den kompetenzorientierten Niveaus sechs (Bachelor), sieben (Master) und acht (Promotion) effizient qualifizieren (auch als Bologna-Prozess bezeichnet). Als entscheidend für die Beschäftigungsfähigkeit wird der Outcome angesehen, also die nachgewiesene Handlungskompetenz, standardisiert und gemessen nach den Deskriptoren im EQR bzw. DQR. Damit soll

       die Mobilität in Europa erhöht,

       die Gleichwertigkeit allgemeiner, beruflicher und akademischer Bildung sichtbar gemacht,

       die Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem ermöglicht und

       die Transparenz und Vergleichbarkeit der Qualifikationen und zwischen den verschiedenen Bildungssystemen in Europa hergestellt werden (ausführlich siehe z. B. Büchter/Dehnbostel/Hanf 2012).

      Beschäftigungsfähigkeit ist „die Befähigung und Bereitschaft des Einzelnen, Kennt­nisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu nutzen und sich durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (AK DQR 2011, 4). Sie wird im DQR im Unterschied zum EQR als umfassende Handlungskompetenz verstanden, der ein weiter Bildungsbegriff entsprechend dem deutschen Bildungsverständnis zugrunde liegt (ebd.). Im Unterschied zum EQR, der die Beschäftigungsfähigkeit in den Kategorien Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen beschreibt, erfasst daher der DQR diese in den Kategorien Fachkompetenz, unterteilt in Wissen und Fertigkeiten, und personale Kompetenz, unterteilt in Sozialkompetenz und Selbstständigkeit (ebd.; Kap. 4.4.1).

      Durch die Einführung des Qualifikationsrahmens wird eine Umwälzung der Steuerung der Bildungsprozesse von der bildungstheoretisch begründeten Kontextsteuerung, der Steuerung von Input, Prozess und Output, zur Outcome-Steuerung in Gang gesetzt (Sloane 2012, 165). Dies führt allerdings, wie u. a. in der Umsetzung der Bologna-Reformen der Studiengänge zu beobachten ist und auch häufig kritisiert wird, im Gegenteil dazu, dass zum effizienten Erwerb des jeweils vorgegebenen Outcome der dazu erforderliche Input, Prozess und Output, also die Kontextsteuerung, nach Zielen, Aufgaben, Inhalten, Methoden, Ergebnissen, Prüfungen, Zeitaufwand, Mitteln und Orten sehr detailliert und akkreditiert den Lehrenden und Lernenden vorgegeben werden. Dies kann allerdings in Widerspruch geraten zu dem ganzheitlichen Kompetenzbegriff, der insbesondere dem DQR als Leitbild zugrunde gelegt wurde, damit den lernenden Subjekten auf den jeweiligen Qualifikationsniveaus eine umfassende, reflektierte, motivierte und gesellschaftlich eingebundene und engagierte Bildung auf allen Niveaus angeboten und ermöglicht wird (zur Realisierung in digitalen Bildungsangeboten siehe Kap. 4.2.2).

      Lehr- und Lernkultur, Didaktik

      Die Bildung der Subjekte, das Lehren und Lernen, findet immer in formellen oder informellen pädagogischen Prozessen und Verhältnissen statt. Sie sind bestimmt durch die jeweiligen didaktisch, also inhaltlich und methodisch begründeten Anordnungen der aufeinander bezogenen Handlungen der Lehrenden und Lernenden. Diese didaktischen Handlungsanordnungen sind immer mehrfach bestimmt: zunächst durch die subjektiven Kompetenzdiskrepanzen zwischen den Lehrenden und den Lernenden, sodann durch die ökonomisch, sozial und kulturell bestimmten hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnisse und die darin angestrebte Kompetenzentwicklung der Lernenden zur gegenwärtigen und zukünftigen individuellen und gesellschaftlichen Lebensgewinnung sowie durch die verfügbaren Mittel und die institutionelle Organisation der Lehr- und Lernhandlungen. Lehren und Lernen sind ein gesellschaftlicher Prozess, in dem die digitalen Medien eine wichtige Funktion zur Wissensvermittlung, zur Bildung und zum Kompetenzerwerb sowie zur Kommunikation, Kooperation und Kolaboration haben (Bauer 2017, 15–48). Die gelebten didaktischen Handlungsanordnungen der Lehrenden und Lernenden bilden eine Kultur des Lehrens und Lernens, die heute insbesondere durch die zunehmende Nutzung von Computern, digitalen Bildungsmedien, Internet, Web-2.0-Anwendungen und virtuellen sozialen Netzwerken grundlegend verändert wird. Wie diese durch die informations- und kommunikationstechnischen Entwicklungen angestoßene und vorangetriebene Entwicklung des E-Teaching und E-Learning, also der computer- und internetbasierten Lehr- und Lernkultur, weiter verlaufen wird und zu welchen neuen Handlungsanordnungen im Lehren und Lernen sie führen wird, ist in Ansätzen erkennbar. Die weitere Entwicklung der neuen Lehr- und Lernkultur bedarf aber noch der bewussten kreativen Gestaltung, damit die Lernenden in ganzheitlichen Bildungsprozessen durch expansives Lernen in kooperativen Kontexten verallgemeinerte Handlungskompetenzen entwickeln können. Dafür ist die Entwicklung und Gestaltung einer die Ziele, Inhalte, Formen, Anforderungen und Bedingungen der Lehr- und Lernprozesse vollständig umfassenden differenziellen Didaktik notwendig. Dabei ist zu unterscheiden, ob nur mit Medien gelernt wird oder ob das Lernen mit Medien personal unterstützt wird oder ob die personale Lehre mit Medien unterstützt wird oder unabhängig von den Medien personal gelehrt wird und wie die digitalen Medien gestaltet sind (Ortner 2017, 49–80).

      Inklusion

      Mit dem Einzug von Informations- und Kommunikationstechnologien in den Bildungsbereich, dem E-Teaching und E-Learning, sind von Beginn an auch Hoffnungen auf neue und erweiterte Bildungszugänge verbunden worden – für Zielgruppen, deren Zugang zu formalen Bildungsinstitutionen bislang aus unterschiedlichsten Gründen erschwert war. Zum Beispiel können Menschen mit Behinderungen durch E-Learning und Assistenztechnologien an Bildungsprozessen partizipieren, die ihnen ehemals verschlossen blieben. Voraussetzung dafür ist, dass das E-Learning-Angebot entsprechend gestaltet ist (siehe Kap. 4.3.4 und Kap. 5.3). E-Teaching und E-Learning