Название | Handbuch E-Learning |
---|---|
Автор произведения | Patricia Arnold |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846349656 |
2.3 Konstituierende Faktoren von Bildungsprozessen
Entscheidend für die Planung, Gestaltung und Durchführung erfolgreicher Bildungsprozesse mit digitalen Medien ist zunächst die allgemeine Klärung der konstituierenden Faktoren für erfolgreiche Bildungsprozesse sowie der möglichen Behinderungen. Eine Grundlage dafür bietet die subjektwissenschaftliche Lerntheorie, wie sie von Holzkamp (1993) entwickelt wurde.
Defizitäre lerntheoretische Basis
Online-Studienangebote und multimediale und interaktive Lernprogramme sind in der Vergangenheit überwiegend nach Modellen des Instruktionsdesigns erstellt worden, denen die Vorstellung von der Herstellung von Lernen durch Lehrmaschinen zugrunde liegt. „Die Masse der Lernangebote im Netz [...] werden einfach additiv zur herkömmlichen Lehre eingeführt und richten sich in der Regel nach altbekannten Lernkonzepten, häufig behaviouristischer Provenienz. [...] Noch ist die Präsenzausbildung der virtuellen Ausbildung in der Regel überlegen“ (Schulmeister 2001, 363). Das bedeutet, dass die multimedial und interaktiv präsentierten Lerninhalte, die in allen Einzelheiten – Aktionen und erwarteten Reaktionen – in den Instruktionsstrukturen des Mediums fixiert sind, von den Studierenden von einem vorgegebenen Ausgangspunkt zu einem ebenso vorgegebenen Endpunkt eines Lernprozesses linear oder in wählbaren Verzweigungen fortschreitend durchzuarbeiten sind. Was sie dabei nach jedem definierten Lernschritt behalten haben, können sie mit den ebenfalls im Medium vorgegebenen Tests (meist Fragen mit vorgegebenen Auswahlantworten) oder programmierten Übungsaufgaben jeweils selbstständig prüfen. Der Unterschied zur gescheiterten Programmierten Unterweisung in den 1960er-Jahren liegt in der komfortabler eingebauten Interaktivität, die dem Lernenden einen begrenzten Spielraum in den Wegen des Erlernens der vorgegebenen Inhalte lässt.
Missverhältnis von Lerngrund und Lernziel
Diese Vorgehensweisen medialen Lehrens werden heute meist zurückgewiesen, weil sie offensichtlich nicht den Ansprüchen der Lernenden an ihre subjektiven Lern- bzw. Bildungsprozesse entsprechen. Die damals den meisten Online-Lernangeboten zugrunde liegende Vorstellung des Verhältnisses von Lehren und Lernen hat Holzkamp (1993, 385 ff., 391, 408) ausführlich analysiert und als „Lehrlernkurzschluss“ bezeichnet und zurückgewiesen. Weil die Lerngründe der lernenden Subjekte nicht der Ausgangspunkt ihrer Lernaktivitäten sind, sondern die Lernziele unabhängig von den subjektiven Lerngründen planmäßig bis in alle Einzelheiten vorgegeben werden, wird Lehren und Lernen gleichgesetzt. Wenn der erhoffte Lernerfolg nicht eintritt, so wird die Ursache entweder in der mangelnden Begabung der Lernenden oder in der mangelnden Motivierungs- und Vermittlungsfähigkeit der Lehrenden gesucht – bei virtuellen Bildungsangeboten werden die Ursachen analog darin gesehen, dass sie entweder nicht gut genug für unterschiedliche Begabungen programmiert sind oder nicht hinreichend motivieren bzw. erfolgreiche Behaltensleistungen nach jedem Lernschritt, ausgedrückt durch Setzen eines Häkchens im richtigen Kästchen, nicht hinreichend durch lobende Icons verstärken.
Begrenzte Chancen zum Diskurs
Systematisch ignoriert wird dabei, dass die Lernenden zu einem erfolgreichen Lernen die unmittelbar angeregte themenbezogene Kommunikation bzw. kritisch reflektierende Diskussion mit den Lehrenden und auch mit den anderen Lernenden brauchen und suchen. Es geht ihnen um die Lebendigkeit unmittelbarer Kommunikation über die Ziele, Inhalte, Abläufe und Kontexte ihres Lernens, das Kommunizieren unterschiedlicher Wahrnehmungen, Einschätzungen, Erfahrungen, Vorstellungen, Bedeutungszuschreibungen und Empfehlungen in den konkreten Situationen, in denen sich die Lehrenden und Lernenden hier und heute in der Gesellschaft bewegen. Die Online-Studienangebote boten früher selten ein Forum für synchrone Diskurse, durch die kritisch-reflektierende Bildung und Kompetenzentwicklung wesentlich angeregt und ermöglicht werden, wie dies in Präsenzveranstaltungen der Fall ist.
Diese unmittelbare Lebendigkeit der Diskurse in Präsenzveranstaltungen kann prinzipiell durch kein multimediales und interaktives Bildungsangebot ersetzt werden – auch nicht durch Intelligente Tutorielle Systeme (ITS), wie bisher entwickelte und größtenteils misslungene Versuche gezeigt haben. Auch die Ausweitung und Intensivierung der Kommunikation in Online-Bildungsgängen können die gefragte Lebendigkeit des Lehrens und Lernens, z. B. durch eine mentorielle Betreuung mit erheblich höherem Kommunikationsaufwand, nur sehr begrenzt wiederherstellen. Asynchronität und Aufwand der (obwohl meist recht formlosen) Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit der Kommunikation sind hier die entscheidenden Hemmnisse.
Lernen mit Web 2.0, Chancen und Gefahren
Mit dem Surfen im Internet und den Instrumenten des Web 2.0 können heute eine reichhaltige, aber auch unübersichtliche Vielfalt weiterer Informationen und Sichtweisen zu den Lernaufgaben gefunden werden, was die Chancen für die Erarbeitung einer eigenen Bearbeitung und Lösung deutlich erhöht. Allerdings erfordert dies genaue Vorstellungen über das Ziel der Aufgabenbearbeitung, Kompetenzen zur Auswahl, Analyse und Bewertung der gefundenen Informationen, zur kritischen Reflexion der Aufgabenbearbeitung und des erreichten Ergebnisses sowie der Kontexte, Voraussetzungen und Folgen. Die Nutzung dieser Chancen kann allerdings gründlich misslingen (Carr 2010; Spitzer 2010, 2012): Die außerordentlich große Vielfalt der Informationen sowie der verfügbaren Instrumente und Methoden im Internet und deren gleichzeitige parallele Nutzung kann durch das Hüpfen von Inhalt zu Inhalt zu Oberflächlichkeit, Mangel an Konzentration und Unterscheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigem und damit zum Verlust an analytischer Tiefe des Denkens und zum Verfehlen der ursprünglichen Fragestellung führen. Das Denken wird zu einem flüchtigen und oberflächlichen Prozess, und das Kurz- und Langzeitgedächtnis lernt das schnelle Vergessen. Dies wäre das genaue Gegenteil erfolgreichen Lernens. Auch wenn der Computer heute aus den Informationen, die in den Hypermedia-Strukturen der heutigen Webseiten stehen, das Spektrum der für die jeweilige Fragestellung möglicherweise bedeutsamen Informationen schon relativ gut herausfiltern kann, ist die Informationsflut immer noch so groß, dass die zutreffenden Informationen nur mit großem Aufwand gefunden und erfasst werden können. Das noch in Entwicklung befindliche semantische Web könnte hier durch eine auf Bedeutungsstrukturen basierende Informationspräsentation Abhilfe schaffen und damit auch zur Entdeckung neuer Zusammenhänge führen, die zuvor nicht erkennbar waren (Pellegrini/Blumauer 2006).
Was konstituiert erfolgreiches Lernen?
Was ist also der konstitutive Kern erfolgreichen Lernens? In der Lebendigkeit der Kommunikation der Lernenden zeigt sich, dass das Lernen als das Eindringen in einen gesellschaftlich relevanten Gegenstandsbereich offensichtlich erst durch den Diskurs mit den anderen, also vor allem mit den Lehrenden und den anderen Lernenden oder auch mit anderen Fachexperten oder Partnern, konstituiert wird. Der Lerngegenstand, die Ziele, Inhalte und Methoden sind das gemeinsame Dritte, auf das sich das Lehren begründet darstellend und das Lernen reflektiert fragend jeweils beziehen. Aufgrund der Kompetenzdifferenzen zwischen den Beteiligten ist die Konstituierung des Lerngegenstandes ein Prozess subjektiv begründeter und reflektierter Auseinandersetzung. In dieser Auseinandersetzung wird der Lerngegenstand zu einem immer besser differenzierten und in seinen Kontexten bestimmten Gegenstand.
Dies geschieht in Praxisgemeinschaften oder in sich auf Praxis beziehenden Gemeinschaften (Arnold 2003b; Lave/Wenger 1991). Darin zeigt beispielsweise der Lehrende oder ein Lernender, wie er an einen Gegenstand reflektiert und begründet herangeht oder herangehen würde, gibt eine Einführung in die theoretischen und methodischen Grundlagen und praktischen Herangehensweisen, zeigt die Bedeutung in unterschiedlichen Praxisfeldern auf – und all dies im Diskurs in der Lerngemeinschaft. Die Lernenden erfahren die Grundlagen und Aufgaben einer Fachdisziplin im Kontext der Wissenschaften und der gesellschaftlichen Praxis durch reflektierte Erfahrungen und kritische Auseinandersetzungen mit dem Denken und Handeln eines