Handbuch E-Learning. Patricia Arnold

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Название Handbuch E-Learning
Автор произведения Patricia Arnold
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846349656



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Bildungsraum

      Zeitliche und örtliche Flexibilität verweist aber auch auf neue Gestaltungsnotwendigkeiten. Ohne feste Lernzeiten werden Lernhandlungen oft extrem fragmentarisiert oder finden ohne Zielvorgaben erst gar nicht statt. Zudem braucht es einen virtuellen Bildungsraum und weiter gehend auch eine vom Lernenden selbst einzurichtende persönliche Lernumgebung, die erfolgreiches Lernen mit interaktiven Medien sowie die Kommunikation und Kooperation mit den Lehrenden und Lernenden ermöglicht (Zimmer 2011b). Insbesondere Videokonferenzen sind gut geeignet für eine zeitgleiche Kommunikation von örtlich getrennten Lehrenden und Lernenden (Gaiser 2002).

      (2) Offenheit und Vielfalt von Lernressourcen ...

      Offenheit und Vielfalt der Lernressourcen stellen eine weitere entscheidende Veränderung bei virtuellen Bildungsangeboten dar. Selbstverständlich war auch vor der Nutzung von Computer und Internet in Bildungsprozessen jede Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand prinzipiell unabgeschlossen und die Lernmaterialien durch Fachbücher ergänzbar, aber das Internet hat diese Offenheit auf eine qualitativ neue Stufe gehoben: Durch das Internet ist die Recherche und das Auffinden von Materialien ungleich einfacher und beschleunigter, Kontakte können direkt und weltweit aufgenommen werden. Zu den von Lehrenden konzipierten Lernmaterialien kommen Arbeitsergebnisse von Lernenden hinzu, die aufgrund der leichten Veröffentlichungsmöglichkeiten im Internet als Open Content ebenfalls zur Verfügung stehen.

      ... benötigt aber auch Orientierungshilfen

      In dieser Offenheit und Vielfalt der Lernressourcen benötigen Lernende wie Lehrende Orientierung, Recherchetechniken und insbesondere Bewertungskompetenzen, um aus der Informationsflut für ihre Zwecke und mit angemessenem zeit­lichen Aufwand geeignete Ressourcen zu erschließen – und nicht in der Masse unverbundener Materialien unterzugehen. Eine Gestaltungsoption ist dabei die Standardisierung und Katalogisierung von Lehrmaterialien, sodass die jeweilige individuelle Suche danach erleichtert wird. Dieser Lösungsweg beinhaltet aber auch die Gefahr, dass die virtuellen Lerneinheiten immer mehr in ihrem pädagogischen Design angeglichen werden. Nur wenn sie über eine schematisch zu erfassende innere Struktur verfügen, sind sie über automatisierte Suchvorgänge auffindbar.

      (3) Differenzierung und Diversität von Lern- und Lehrhandlungen ...

      Ein weiteres Potenzial virtueller Lehr- und Lernarrangements besteht in ihrer prinzipiellen Differenzierung und Diversität – es sei denn, die zu verwendenden Medien und zu lernenden Inhalte und zu lösenden Prüfungsaufgaben werden strikt vorgegeben. Die Lernhandlungen können individualisiert werden, das heißt, die Lernenden können ihren Präferenzen entsprechend Schwerpunkte bei der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand realisieren, durch die Auswahl von Lernaufgaben, die Steuerung ihrer eigenen Lernpfade, die Bestimmung der Reihenfolge ihrer Bearbeitungsschritte und die Festlegung ihrer eigenen Lernzeiten. Diese Individualisierung der Lernhandlungen erfordert eine Diversifizierung der Lehrhandlungen aufseiten der Lehrenden: Bestanden ihre Lehrhandlungen traditionell zu einem großen Teil in der expositorischen Präsentation von Fachwissen und der Diskussion in Seminaren, beraten und betreuen sie in virtuellen Bildungsangeboten die Lernenden, geben ihnen Orientierungen für die Erschließung zusätzlicher Quellen, moderieren Fachdiskussionen im virtuellen Raum und kooperieren mit Multimedia-Entwicklern und Programmierern bei der Erstellung virtueller Lerneinheiten.

      ... schafft aber auch neue Unsicherheiten

      Die Individualisierung und Ausdifferenzierung unter Auflösung tradierter Formen des Lehrens und Lernens in Hochschulen und Bildungszentren schafft auf beiden Seiten aber auch Verunsicherung: Lernende müssen lernen, mit den erweiterten Wahlmöglichkeiten und Freiheitsgraden umzugehen. Lehrende müssen entsprechende neue und zusätzliche Kompetenzen erwerben und sich mit ihrer veränderten Rolle und den neuartigen Arbeitsformen auseinandersetzen und diese neu gestalten, um die Autonomie und Selbstorganisation der Lernenden in virtuellen Lehr- und Lernarrangements optimal unterstützen zu können.

      (4) Autonomie und Selbstorganisation des Lernens ...

      Die mit den digitalen Medien gegebene Orts- und Zeitflexibilität, Offenheit und Vielfalt der Lernressourcen sowie Differenzierung und Diversität der Lehr- und Lernhandlungen ermöglichen und erfordern die Entwicklung der Fähigkeiten zum auto­nomen und selbst organisierten Lernen. Dies entspricht den Anforderungen des Arbeitens und Lebens in der Wissensgesellschaft. Die Lernenden müssen ihre Kräfte aktivieren und ihre individuellen Interessen und Begabungen selbstständig entfalten können. Computer und Internet ermöglichen es ihnen, die für ihr Lernen erforderlichen Informationen jederzeit aus den Medien bzw. dem Internet zu ziehen und die Informationen autonom und selbst organisiert kritisch zu reflektieren und in eigenes Wissen umzuarbeiten. Indem sie die traditionellen Lehrfunktionen, nämlich die Definition der Lernziele, die Auswahl der Lerninhalte, die Wahl der Lernmethoden, die Kontrolle und Bewertung ihrer Lernergebnisse, autonom selbst übernehmen, machen sie sich zu Subjekten ihrer eigenen Lernprozesse, zu autodidaktisch Lernenden. In der Entwicklung ihrer autodidaktischen Kompetenzen müssen sie wiederum unterstützt werden. Lehrende werden nicht überflüssig. Im Gegenteil, die Lehrenden sind als fachkompetente, beratende, moderierende, informierende und mitarbeitende Partner im Lernprozess unverzichtbar, denn Lernen ist die Überwindung einer Kompetenzdiskrepanz zwischen Personen bezogen auf ein gemeinsames Drittes.

      ... können aber auch behindert werden

      Ob die Lernenden autonom und selbst organisiert lernen können, hängt aber entscheidend von der didaktischen und methodischen Struktur der Medien ab (Grot­lüschen 2003). Wenn diese entsprechend dem Modell expositorischen Lehrens und rezeptiven Lernens strukturiert sind, wird autonomes und selbst organisiertes Lernen gerade unmöglich gemacht. Auch ist der Diskurs mit Lehrenden, Experten und anderen Lernenden im autonomen und selbst organisierten Lernprozess unverzichtbar und muss über die Kommunikation, Partizipation und Kooperation in virtuellen Lernräumen wie in Präsenzveranstaltungen sichergestellt werden.

      (5) Neue soziale Kontexte und Kooperationsformen ...

      Virtuelle Bildungsangebote ermöglichen kooperatives Lernen und Arbeiten, trotz zeitlicher und örtlicher Flexibilisierung. Durch die neuen Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten über das Internet, insbesondere das Web 2.0, entstehen ganz neue soziale Kontexte, in denen z. B. in international zusammengesetzten Gemeinschaften Lernende und Berufstätige sich gemeinsam über Erfahrungen, Wissen, Interessen und Ergebnisse austauschen können. Aufgrund der freien Verfügbarkeit entsprechender Kommunikations- und Kooperationssoftware werden selbst organisierte Gemeinschaften möglich (Arnold 2003b; Wiley/Edwards 2002). In diesen virtuellen Gemeinschaften wirken veränderte Kooperationsökonomien: Eine passive Teilnahme ist beispielsweise ohne großen Aufwand und ohne andere Mitglieder zu beeinträchtigen möglich, ein aktiver Beitrag hat bei gleichbleibendem Aufwand potenziell eine sehr große Reichweite, abhängig von der Größe der Gemeinschaft (Kollock 1999).

      ... können aber auch die Kommunikation erschweren

      Gleichzeitig können die potenziell größere Heterogenität der Teilnehmenden in solchen Gemeinschaften sowie die in Bezug auf Gestik, Mimik etc. reduzierte Kommunikation sowie das Übergewicht der Asynchronizität auch dazu führen, dass wichtige Kontextinformationen verloren gehen und dadurch Lernprozesse beeinträchtigt werden (Arnold/Smith 2003). In textbasierten Diskussionsforen kann es beispielsweise schnell unübersichtlich werden. Sequenzialität ebenso wie Spontaneität von Dialogen laufen so Gefahr, verloren zu gehen. Zur Aufgabe von Lehrenden bei der Moderation diskursiver Aushandlungsprozesse in solchen Gemeinschaften gehört daher auch, Mittel und Wege zu finden, die es ermöglichen, dass auch in der Internetkommunikation die relevanten Kontexte der Beteiligten sichtbar bleiben. Außerdem lassen vorhandene virtuelle Kommunikations- und Kooperationsräume nicht automatisch kooperative Lernkontexte entstehen. Kommunikation und Kooperation müssen vielmehr sinnvoll in ein Gesamtkonzept integriert sein und auf vielfältige