"Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt". Barbara Halstenberg

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Название "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt"
Автор произведения Barbara Halstenberg
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955102685



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lacht.) Eine Handvoll davon gab es für jede Familie. Die hüteten wir Kinder wie unseren Schatz. Ostersonntag gingen wir Kinder mit unseren Eiern in den Wald. Wir aßen sie nicht auf! Wir leckten immer rundum.

      »Ich leck erst das Gelbe!«

      »Nee, ich das Weiße!«

      »Ich die Hälfte!«

      »Ich ein Viertel!«

      Oh Gott, nee! Aber das schärft dir nachher die Sinne dafür, wenn du wieder alles haben kannst, dass du das nicht einfach nur hinnimmst. Herrgott was sind wir heute reich! Haben Heizung! Das hat mich zu einem Menschen gemacht, der eine Zufriedenheit daherbringt. Diese Sachen haben mich geprägt.

      In unserer Nähe lag eine Pulverfabrik, die Krümmel Dynamit AG. Das war natürlich ein heiß begehrtes Ziel für britische und amerikanische Bomber. Unser Nachbar hatte uns einen Bunker am Waldrand gebaut, ein tiefes Erdloch, über dem Baumstämme und Äste lagen. Unten auf der Erde lag Stroh. Bei Alarm saßen wir mit der Nachbarsfamilie zusammen in diesem Bunker. Wir mussten uns ein bisschen ducken. Das Nachbarsmädel war in meinem Alter. Wenn wir zusammen im Bunker saßen sagte Martha öfter: »Aenne, ich muss mal.«

      Ich sagte: »Ich könnte aber auch mal müssen.«

      Dann horchten wir immer, ob es knallte, und warteten noch ein bisschen. Endlich war es ruhig, wir raus aus’m Bunker. Kaum hatten wir die Büchsen runter, ging das Geballer wieder los. Dann hatten wir Angst. Manchmal sahen wir die Markierungen runterfallen, die Tannenbäume, die das Ziel erhellten. Der alte Morrmann, der vor seiner Tür gestanden hatte, ist so erschlagen worden. Ein paar Einschüsse gab es immer hier und da.

      Wenn der Alarm während der Schulzeit war, fuhren Wagen umher, kassierten uns Kinder ein und brachten uns in die großen runden Bunker mit meterdicken Wänden. War der Angriff vorbei, wurden die dicken Eisentüren aufgemacht und wir konnten raus. Ja, hmm, wo war man denn? Kannte ich die Gegend? Nein. Von diesen Bunkern fand ich nie nach Hause. Einmal war ich losgegangen, dachte, ich werd schon was finden, was ich wiedererkenn. Ich war aber offensichtlich in die verkehrte Richtung gelaufen, fing an zu weinen, wollte nach Hause und hatte Hunger. Eine Frau griff mich auf und kochte mir eine Milchsuppe. Sowas mochte ich eigentlich nicht, aber diese hab ich verschlungen. Danach brachte mich die Frau auf den richtigen Weg.

      Man hat mir viel abverlangt. Eigentlich ein Leben lang. Ich war ja auch noch wirklich klein. Musste jeden Tag was arbeiten, Holz sammeln, Milch nach der Schule mitbringen. Der Milchmann lag auf der Strecke, also brachte ich ihm die Kanne und nahm sie auf dem Rückweg mit. Da waren 1,5 Liter drin und die Kanne hatte noch nicht mal einen Deckel. Manchmal kam ich auch mit weniger als anderthalb Litern zurück. Nicht dass ich die getrunken hätte, sondern dann war auf dem Rückweg Fliegeralarm gewesen. Ich musste mich unter irgendwelchen Bäumen hinkauern, und dabei kippte die Kanne um. Wegen diesem Kram kriegte ich dann immer Ärger. Aus heutiger Sicht hätte man mir Grundsätzlichkeiten gewähren müssen. Finde ich. Aber das machte mir vielleicht damals nichts aus. Meinen Freundinnen ging es allen so. Auf das Kindsein wurde wenig Rücksicht genommen. Die Kinder mussten die komischsten Sachen machen. Wer von den Nachbarn keinen Hahn hatte, musste befruchtete Eier tauschen. Ich weiß noch, wie in der Nachbarschaft eine Glucke das Brutgeschäft angefangen hatte und dann abgestiegen war. Also mussten sich die Kinder dieser Familie jeden Tag abwechseln und die Eier warm halten. Tagsüber lagen sie mit den Eiern im Bett und nachts kriegten sie die Eltern ins Bett.

      Das Einzige, wovor ich immer noch Angst habe und wovon ich noch heute manchmal träume, sind diese Flugzeuge, die bei Nacht den Himmel erhellen und was abwerfen. Dann verdunkelt sich der Himmel und ich denke: Was machste jetzt, wo gehste hin? Kannst eigentlich nirgends hin, es ist überall dunkel! Und dann fallen auch schon Sachen runter und ich wache schweißgebadet auf.

      So ist meine Geschichte. Sie ist eigentlich tröstlich, würde ich sagen. Denn sie beinhaltet auch eine Menge Menschlichkeit. Und wenn man die erkennt, dann schwindet das Negative. Oder du steckst es in Schubladen, die vielleicht klemmen und die du nicht wieder aufmachen musst. Das muss ich ja nicht, wenn ich das nicht will!

      »Wir sind die Generation, die praktisch alleine groß geworden ist.«

      Elisabeth Krieg

      (Geboren 1935 in Thale, Kindergärtnerin)

      Als mein Vater in den Krieg ging, war ich mit meiner Mutter allein. Ich war ein Einzelkind. Vor dem Krieg war Mutter Hausfrau gewesen, wie das damals üblich war. Während des Krieges mussten alle Frauen aus dem Dorf im Werk Panzer ausbauen, nur meine Mutter wurde Rot-Kreuz-Helferin. Deswegen musste sie nicht ins Werk. Sie fuhr als Beifahrer im Krankenwagen bei Bombenangriffen Richtung Hannover … bei den großen Angriffen. Wenn ich aus der Schule kam und Mutter zu einem Einsatz gefahren war, lag ein Zettel auf dem Tisch: Fahr nach Cattenstedt (das war das Dorf, wo meine Großeltern und meine Tante wohnten) oder geh zu Frau Sowieso oder Herrn Sowieso. Dann packte ich das Nötigste, ich wusste ja nie, wie lange Mutter wegblieb, und trabte los. Mutter wusste ja auch nicht, ob sie wiederkam …

      Zu meinen Großeltern durfte ich bis in die nächste Stadt mit der Kleinbahn fahren. Ich freute mich jedes Mal, wenn das Geld für die Bahn auf dem Tisch lag. Alleine mit der Bahn fahren, na, das war doch was! Vom Bahnhof musste ich zum Dorf meiner Großeltern laufen. Mutter ermahnte mich immer wieder: »Du gehst nur auf der Straße, die zum Ort führt, und nicht die Abkürzung durch den Wald, die wir sonst zusammen gehen.« Warum, begriff ich damals nicht … Bei meinen Großeltern wohnte meine Tante mit meinen Cousins. Wir spielten zusammen. Das war schön! Unsere Mütter waren immer unterwegs und keiner sagte: »Nu mach und tu!« Meine Tante hatte nur Jungen. Na ja, den Rest brauche ich Ihnen nicht erzählen, ich war das einzige Mädchen. (Sie lacht.)

      Oft musste Mutter auch nachts losfahren. Dann stellte sie mir einen Wecker, damit ich morgens alleine zur Schule gehen konnte. Aber ich wurde von dem Wecker schlecht wach, obwohl er groß war und Mutter ihn extra auf einen Teller und den Teller auf den Nachtschrank mit der Marmorplatte stellte, damit’s schön laut rasselte. Ich hörte den Wecker trotzdem nicht. Dann klopfte eine der Frauen aus dem Haus an die Tür und rief: »Mensch, mach, dass du in die Schule kommst. Wir haben wieder deinen Wecker gehört!«

      »Der hat nich geklingelt!«, sagte ich.

      »Aber wir haben den gehört!«

      Immer alleine früh zur Schule … Dann die langen Zöpfe … Wenn ich morgens alleine war, kämmte ich sie nicht. Das musste meine Mutter machen, wenn sie mal zu Hause war.

      Einmal war ich zu spät aufgestanden oder zu bequem gewesen und hatte mein Nachthemd nicht ausgezogen, sondern es in den Schlüpfer gesteckt. Es hatte einen Bubikragen und den fand ich schick. Nach der ersten Stunde rief mich die Lehrerin zur Seite und sagte: »Weißte, aber morgen ziehste dir dein Nachthemd nicht in der Schule an.« (Sie lacht.) Das sind so die Erinnerungen, die geblieben sind … Meiner Mutter erzählte ich das nicht, und die Lehrerin war so nett und erzählte es ihr auch nicht. Sie wusste, dass meine Mutter nicht oft da war. Wir Kinder waren alle selbstständig.

      Ich wusste, wo meine Mutter hinfuhr. Sie hatte mir erzählt: »Ich fahr mit meiner Kollegin Annemarie da hin, wo Bomben abgeworfen worden sind.«

      Die Bomber kannte ich, hörte sie, wenn sie über unser Dorf flogen. Als in unserer Nähe einmal Bomben abgeworfen worden waren, hatte mir Mutter die Weihnachtsbäume gezeigt, die Leuchtzeichen. Sie sagte: »Weißte, wenn die Bomben fallen und es Verletzte gibt, dann müssen wir die in die Krankenhäuser fahren.«

      Von dem Ausmaß, was sich da abgespielt hat, habe ich erst später erfahren. Aber das da Häuser zerstört wurden und es Verletzte gab, wusste ich. Meine Mutter half den Ärzten – sie fuhr zum Helfen hin. So hatte sie es mir gesagt. Mehr aber auch nicht.

      Bei uns im Dorf lebte ich in einer Idylle. Wir haben nur einen Angriff erlebt. Das Dorf liegt in einem Tal. Bis die Bomben ausklinken konnten, waren die Flugzeuge schon über dem Tal hinweg und mussten die Höhe der Berge fassen. Daher hatten wir Glück.

      Nach dem Krieg hat mich meine Mutter einmal gefragt: »Haste denn irgendwann mal gedacht, ich komm nicht wieder?«