Название | "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt" |
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Автор произведения | Barbara Halstenberg |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955102685 |
Am Tag zuvor hatte Mutter zum Geburtstag unserer Nachbarin einen Käsekuchen gebacken. Weil es so wenig Lebensmittel gab, hatten alle Mieter aus dem Haus etwas dazu beigetragen. Ich war um den Käsekuchen herumgelaufen und hatte gebettelt: »Mutti, gib mir doch ein kleines Stück! Ein kleines Stück fällt doch nicht auf!« Aber ich hatte nichts bekommen, der Kuchen war schließlich für Tante Margot. Dann fiel die Bombe, die Fensterscheiben zerbarsten und der Käsekuchen war gespickt. Der ganze Kuchen war voller Splitter! Ich weinte und schimpfte: »Du hast mir kein Stück gegeben, und jetzt kann keiner mehr den Kuchen essen!«
Mutter presste den Kuchen durch ein Sieb, aber es half nichts, der Käsekuchen war voller Glas! (Sie lacht.) Ja, solche Sachen habe ich erlebt!
Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten: Jagdflugzeuge überfliegen zerstörte Häuser einer Stadt (um 1944).
Während der Bombenangriffe langweilte ich mich sehr im Keller, und da ich mich in der ersten Zeit noch nicht fürchtete, sang ich dort unten all die Lieder, die ich im Kinderfunk gehört hatte. Hatte ich alle Lieder gesungen, baten die Nachbarn: »Ach Edeltraud, sing doch wieder was!«
»Na, ich hab doch schon alles gesungen!«, antwortete ich.
»Dann fang wieder von vorne an!«
Später erzählte mir Mutter, die Nachbarn hätten immer gesagt: »Solange Edeltraud singt, sind wir in Sicherheit!«
Das sind alles Dinge, die nur noch die Leute in meinem Alter wissen – es wird nichts weitergegeben …
(Edeltraud H., Jg. 1938)
Die Sirenen waren ganz laut, daran kann ich mich erinnern. Ich zucke heute noch jedes Mal zusammen, wenn die Sirene bei der Freiwilligen Feuerwehr an der Ostsee angeht. Dann muss ich immer an den Krieg denken. Als ich drei Jahre war, konnte ich schon alleine in den Keller gehen, während Mutti meinen kleinen Bruder weckte und anzog. Mutti klemmte mir ein Sitzkissen unter den Arm, drückte mir eine Taschenlampe in die Hand, und so ging ich alleine über den Hof ins Nebenhaus zu Oma und Opa in den Keller. In der Mitte vom Hof stand ein Kastanienbaum, da zupften wir Kinder die Blätter für unsere Maikäfer ab. Angst hatte ich keine. Wir hatten Glück: Nur eine Bombe fiel in unsere Straße – vor unsere Haustür. Aber es ging nur eine Fensterscheibe kaputt, und da machte mein Opa Pappe vor.
Ich weiß noch, wie Opa manchmal sagte: »Komm, jetzt ist Entwarnung, wir gehen mal spazieren.« Es gab sogar eine Haarfrisur, die nannte sich Entwarnung, weil da alles nach oben gekämmt wurde. Denn bei Entwarnung konnten alle wieder nach oben gehen. Meine Mutter trägt diese Frisur auf den Fotos von damals.
(Marließ Zuschke, Jg. 1940)
Wie früh ich als Kind schon mit dem Tod konfrontiert worden bin … Im Keller herrschte immer die Stimmung: Lieber ein Leben lang trocken Brot essen, als diesen Alarm noch zu haben. Beliebt war auch der Spruch: Leipzig, Dresden, Halle dann ist der Krieg alle. Dann zählten wir nach, Leipzig hatte den Bombenangriff, Dresden auch, jetzt musste nur noch Halle drankommen. Aber dazu kam es nicht, der Krieg war schon vorher alle.
Es war aber nicht so, dass wir auf die Bomber großen Hass hatten. Ja, wir fanden es nicht gut. Aber uns war klar, dass in den Bombern Soldaten saßen, so wie unsere Soldaten, die kämpfen müssen, und wir stehen dazwischen, wir kriegen was auf’n Hut dabei. Ich weiß noch, dass es unter uns Kindern ’ne große Debatte gab, ob es Terrorangriff oder Terrohrangriff heißt.
(Jochen Lindner, Jg. 1934)
Kaum waren wir eingeschlafen, heulten die Sirenen los. Im Keller herrschte ein großes Durcheinander. Es gab einen gewaltigen Knall. Eine Bombe hatte das Haus über uns getroffen. Ich erinnere mich, wie die Menschen weinten, beteten und schrien. Wir kamen nicht mehr raus, wir waren verschüttet. Das Haus war völlig zerstört. Bis zum ersten Stock war alles zusammengebrochen. Der Keller hatte aus einem gemauerten Tonnengewölbe bestanden, deswegen waren wir im Keller heil geblieben.
Nachher, nach Stunden, hatten Männer einen Durchbruch vom Nebenhaus gebuddelt. Durch ein mannshohes Loch zogen sie uns raus ins Freie. Ich sehe noch, wie ich auf der anderen Straßenseite stehe und zuschaue, wie der riesige Trümmerberg brennt …
(Ronald Potzies, Jg. 1936)
Während wir die Nächte im Keller verbachten, wurde oft vorgelesen. Ich kann mehr als fünfzig Gedichte und wohl hundert Lieder, die ich im Keller gelernt habe. Die Gedichte sage ich mir heute noch auf, wenn ich abends nicht einschlafen kann. Im Keller schliefen wir Kinder in den Waschwannen, die mit Wäsche gefüllt waren. Das fanden wir spannend!
Wenn wir fünf Kinder merkten, es fallen die Bomben, dann zitterten wir und schmiegten uns aneinander. Alle wollten zusammen sein. Auch die Nachbarn. Ich erinnere mich, wie wir uns immer an jemanden ankuschelten. Wenn wir Angst kriegten, beteten wir im Keller alle zusammen. Die Bomben fielen um uns herum. Auf der anderen Straßenseite ging ein Haus zu Bruch, unser Haus wurde beschädigt. Wenn sich die Bomben in die Erde wühlten, dann grollte das unter unseren Füßen. Es vibrierte richtig. Rechts, links, überall fielen Bomben und wir beteten.
Meistens beteten wir zusammen: »Hilf, Maria, es ist Zeit, hilf Mutter der Barmherzigkeit, du bist mächtig, uns aus Nöten und Gefahren zu erretten. Zeige, dass du Mutter bist, wo die Not am größten ist. Hilf, Maria, es ist Zeit.« (Sie spricht es flehentlich aus.) Im Keller beteten wir zur Mutter Gottes. Für Heini, den Sohn unserer Nachbarin, der im Krieg war, beteten wir extra ein »Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden« für Heini, der im Krieg ist.
Manchmal nahm unser Nachbar ein paar Kinder mit in sein Heimatdorf bei Dresden. Dort war es ruhig, keine Bombenangriffe. Einmal durfte ich mit. Dort spielten wir im Wald, das war wunderschön! An solche Sachen erinnere ich mich. Wir spielten in einem Nadelwald, wir häuften die Nadeln an, legten unsere Kleidung darauf und das war dann unser Kopfkissen. Wir spielten Hexe und Rotkäppchen. Wir aßen Huflattich und Löwenzahn und Sauerampfer. Das wächst in den Wiesen. Das war lecker …
(Ursula Schilakowski, Jg. 1936)
Zunächst hatten wir in Leipzig die Bombengangriffe nicht so ernst genommen. Meine Eltern hatten eine Bäckerei ganz in der Nähe vom Hauptbahnhof. Bei den ersten Alarmen gingen wir runter in den Keller. Dort war bunt gedeckt, es gab Kuchen und Brot aus der Bäckerei, das Koffergrammofon wurde angeschmissen und dabei getanzt. Nach zwei Stunden gab es Entwarnung, wir gingen wieder hoch und es war nichts passiert. Mit der Zeit wurde der Keller zu einem richtigen Treffpunkt des Hauses – es war eigentlich ganz lustig da unten. Wir Kinder hatten immer die Hoffnung, dass der Alarm bis über Mitternacht hinausging, dann hatten wir am nächsten Tag schulfrei. Das zog sich hin bis zum 4. Dezember 1943, ein Datum, das für die Leipziger in meinem Alter sicherlich unvergessen ist. Da gab es den ersten Riesenangriff auf Leipzig, der die ganze Innenstadt in Schutt und Asche legte.
Wir waren nachlässig geworden, viele Angriffe hatte es auf Leipzig bisher nicht gegeben, und beeilten uns nicht sonderlich, in den Keller zu kommen. Der Alarm wurde an diesem 4. Dezember erst sehr spät ausgelöst. Als wir aus der Wohnung traten, flogen uns im Treppenhaus schon die Fensterkreuze entgegen. Die Rollos für die Verdunkelung flatterten in den leeren Fensteröffnungen – die ersten Bomben fielen bereits. Die anderen Hausbewohner kamen in ihren Schlafanzügen in den Keller gestürzt, auch sie hatten den Alarm nicht mehr für voll genommen.
Glücklicherweise wurde unser Haus in dieser Nacht nur von Brandbomben getroffen. Mutter lief mit ein paar anderen Frauen auf den Dachboden, um zu löschen. Sie trug Stahlhelm und ihren Pelzmantel, das sah schon ganz gut aus! Bei Alarm trug sie immer den Pelz, ein wertvolles Stück, das gerettet werden sollte. Später sahen wir doch, dass es etliche versengte Fellteile gab … Es kam zu keinem großen Brand, aber neben uns brannten einige Gebäude ab, auch das Nachbarhaus. Die Nachbarn schlugen den zugemauerten Kellerdurchbruch auf und flüchteten zu uns. Ich weiß noch, wie der Fleischer von nebenan durch den Mauereinbruch kam, er hatte sich mehrere Ringe Würstchen umgehängt und war völlig durch den Wind. Er hatte seine Fleischerei,