"Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt". Barbara Halstenberg

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Название "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt"
Автор произведения Barbara Halstenberg
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955102685



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      (Jochen Lindner, Jg. 1934)

      Meine Großmutter hatte immer unter der Wolldecke Radio London gehört, was eigentlich verboten war. 1943 sagte meine Oma dann: »Raus, raus, raus aus Hamburg!«, und so fuhren wir zu meiner anderen Oma nach Bad Oldesloe. In genau der Nacht, am 27. Juli 1943, wurde unser Haus Süderstraße 207 in Hamburg total zerstört. Alle waren tot.

      Der Angriff war fürchterlich. Der war so schlimm, dass sogar in Bad Oldesloe eine dicke Rußschicht auf der Erde lag. Die Sonne war den ganzen Tag nicht zu sehen. Alles war schwarz. In Hamburg entstand ein Feuersturm. Viele Häuser brannten, und Feuer zieht ja Wind an. Dadurch entstand der Feuersturm. Die Leute liefen als brennende Fackeln durch die Gegend. Bei diesem Angriff kam auch mein Großvater um. Er kam in ein Massengrab. Die Toten kamen alle in ein Massengrab in Ohlsdorf. Auf einer Tafel steht heute, dass dort das Massengrab der Luftangriffe vom 27. Juli 1943 ist.

      Bei uns im Haus sind alle umgekommen! Alle! Nur wir sind rausgekommen. Wir hatten Glück. Mein anderer Opa ist nochmal an den Trümmern unseres Hauses vorbeigefahren. Unsere Badewanne hing aus der Ruine raus …

      Ich habe noch viele, viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen geträumt. Ich wachte nachts schweißgebadet auf und war froh, dass Frieden war. Das war wahnsinnig, ich war richtig traumatisiert durch die Bombenangriffe.

      (Alfred D., Jg. 1936)

      Ich hatte ein kriegsbedingtes Hobby: Nach jedem Bombenangriff streifte ich durch die Straßen und suchte Bombensplitter. Die scharfkantigen Stahlstücke tauschten wir Kinder auch untereinander, aber eigentlich waren das Finden und der Besitzerstolz die Hauptsache. In der Evakuierung erlebte ich einmal einen Tieffliegerangriff. Ich stand mit den Dorfbewohnern auf der Straße und beobachtete die Bomberverbände am Himmel auf dem Weg nach Berlin. Die Flieger kamen herunter und schossen aus Bordwaffen die nahe gelegene Gummiwarenfabrik in Brand. Sie schossen auch in die Keller der umliegenden Häuser. Die Patronen aus Messing waren danach begehrte Sammlerstücke. Ich hatte auch einige, die sind aber später auf der Flucht verloren gegangen.

      (Joachim Artz, Jg. 1937)

      Am 23. Februar 45 erlebte Meiningen den ersten Bombenangriff. Die Leute waren nicht drauf eingerichtet. Als die erste Bombenserie abgeworfen wurde, hatte meine Mutter gerade die Finger im Kloßteig. Sie wollte Klöße zum Mittag machen. Mein Bruder tollte auf der Küchenbank herum. Zwischen dem ersten und dem zweiten Bombenteppich war ein ganz kurzer Zeitraum von vielleicht zwei oder drei Minuten. Meine Mutter schnappte den Kleinen, wollte in den Keller, aber die Küchentür ging nicht auf. Der Putz war durch die Erschütterungen der ersten Bomben von der Decke gefallen, die Tür klemmte. Meine Schwester und die Frau, die bei uns bügelte, konnten von außen die Tür aufstoßen. Zusammen rannten alle raus, rein in den Keller. Sie waren noch nicht im Luftschutzkeller angelangt, da brach das Haus schon zusammen. Meine Mutter hatte den Kleinen unter sich, meine Schwester lag hinter ihr, die Beine angezogen. Ein großer Steinbrocken fiel genau neben ihre angezogenen Beine. Die Bügelfrau und unsere Nachbarin lagen direkt hinter meiner Schwester und wurden von der runterkommenden Betondecke erschlagen.

      In diesem zweiten Bombenteppich hatte ich siebzehn Einschläge gezählt und eine Mine. Die Mine war eine riesige Bombe, die das zusammengefallene Haus wieder auseinanderriss. So entstand ein riesiger Krater, der ein ganz kleines Stückchen Licht in den Keller scheinen ließ. Ein Nachbarsjunge in meinem Alter konnte mit einer Hacke einen kleinen Durchbruch schlagen. Ich habe es mir später angesehen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wo ich in der Zeit gewesen war. Ich war als Luftschutzmelder in ein Auffanglanger für Ausgebombte am Standrand abkommandiert. Als der Bombenangriff losging, hatte ich gerade mit zwei Jungs, die mit mir Dienst taten, Karten gespielt. Seitdem habe ich eine Aversion gegen Kartenspielen. Im Auffanglager sollten wir auf die Leute warten, die nach möglichen Bombenangriffen kommen würden. Aber an diesem Tag kam niemand. Ich rannte nach Hause und fand meine Mutter und meine Geschwister in einer Garage neben dem Trümmerhaufen unseres Hauses. Sie waren schon ein bisschen versorgt worden. Meiner Mutter standen die Haare zu Berge. Es sah fürchterlich aus, wie beim Struwwelpeter. Sie war mit dem Kopf neben dem Kohlenkeller zum Liegen gekommen und der ganze Kohlenstaub hatte sich in ihrem Haar verfangen. Sie holte noch lange danach Kohlestückchen aus dem Haar. Ein Kohlestück steckte in ihrer Wange. Als ein Arzt das Stückchen zwanzig Jahre später entfernte, stellte er fest, dass es kein Kohlenstück, sondern ein Bombensplitter war.

      Ich lief in den Bombenkrater unseres Hauses hinunter. Inmitten der Trümmer realisierte ich, was los war. Ich dachte: ›Jetzt biste alleine, jetzt hast du nichts mehr. Jetzt hast du nur das zum Anziehen, was du gerade trägst.‹ Es war nichts, nichts mehr zu finden! Ich ging in den Keller rein, sah die Zerstörung. Auf dem Rückweg musste ich über die Nachbarin steigen. Einen Toten hatte ich noch nie gesehen. Ich sah zu, wie die Helfer die Toten bargen. Einer der Mieter war ein höheres Tier in der Kreisleitung gewesen. Er hatte sofort Leute organisiert, die alles durchwühlten. Alle Klamotten, die seine Leute dort fanden, wurden sofort in die Kreisleitung geschafft. »Das kriegen sie ja alles wieder, es wird ihnen ja alles ersetzt«, sagte er. Und wissen Sie, wann die das entschädigt haben? 1963!

      Nach dem Angriff kamen meine beiden Geschwister zu Verwandten. Ich wollte gerne mit, aber ich wurde zurückgerufen. Ich sollte helfen, die Trümmer wegzuräumen. Mit meinem Großvater, der gegen die Nazis war, ging ich zu dem Platz, für den wir eingeteilt worden waren. Die anwesenden Parteileute straften Großvater mit Verachtung. Wir buddelten mit unseren Schaufeln in den Trümmern. Später bekam meine Mutter noch französische Gefangene zugewiesen, die suchen halfen. Aber das, was wir brauchten, war nicht mehr da. Nur was unten in den Schränken verstaut war, ist geblieben. Interessanterweise ein paar Fotos. Alles andere war weg. Wenn man sich das überlegt …

      (Erhard M., Jg. 1930)

      Unsere Spiele … Ich denke mir heute, mit unseren Spielen bauten wir ein bisschen unsere Ängste ab. Im Wohnzimmer stand ein großer Esszimmertisch und darunter war mein Luftschutzkeller. Wenn meine Schwester und ich mit unseren Puppen spielten, spielten wir auch Fliegeralarm. Wir weckten unsere Puppen auf, zogen sie an: »Wir müssen schnell in den Luftschutzkeller!« Und setzten sie unter den Tisch. Dann hieß es Entwarnung und wir kamen mit den Puppen wieder unter dem Tisch hervor. Heute nehme ich an, damit haben wir unsere Ängste abgebaut.

      (Christa Lentzsch, Jg. 1933)

      Hier in Falkensee hatten wir den einzigen Luftschutzkeller in der Straße. Das war 39, als das Haus gebaut wurde, die Auflage gewesen. Bei Bombenalarm kamen alle Nachbarn zu uns. Erst dadurch merkte ich, dass Krieg war. Ich fragte: »Warum kommen alle in den Keller?«

      Die Mutti sagte: »Weil eventuell Bomben runterkommen und wir hier sicher sind.«

      »Und warum kommen Bomben?«

      »Da sind böse Leute, die wollen uns Böses.«

      So erklärte sie es mir. Nachher, mit neun, wusste ich: Das sind Russen oder Amerikaner und das deutsche Soldaten. Das hatte ich aufgeschnappt.

      Im Keller war die Stimmung relativ entspannt oder vielleicht wollten die Erwachsenen ihre Aufregung nicht auf die Kinder übertragen. Wir hatten auch junge Leute, die verliebt waren. Die Tochter der Nachbarin, eine Tänzerin, stand mit ihrem Freund im Kellergang und sie schmusten und gaben sich Küsschen. Das fanden wir Kinder ganz spannend. (Sie lacht.) Fanden wir schön!

      Ich glaube, dass ich am Anfang den Krieg verdrängt habe. Bis ich ganz bewusst die Brandbomben auf der Straße wahrgenommen hatte und die Bombe, die das Dach abdeckte – das Klirren der Scheiben –, da kriegte ich schon Angst. Wenn die Sirenen anfingen, fielen manchmal die Brandbomben schon, ich sah sie schon fallen. Mutti nahm mich an die Hand und schubste mich in den Keller. Das war nicht schön … Es war so oft Alarm, und dann verdrängt man das als Kind auch ein bisschen, glaube ich. Das kommt erst wieder in einem hoch, wenn man sich erinnert. Darum kann ich es so nachvollziehen, wie die Leute heute in den Ländern empfinden, wo Bomben fallen. Wenn sie auf einmal vor dem Nichts stehen. Nichts ist mehr da, nichts. Das ist schon bitter. Ich wünsche mir jedenfalls keinen Krieg mehr. Oder ich möchte keinen mehr erleben.

      (Marianne M., Jg. 1936)

      In Berlin verging keine Nacht ohne Angriffe. Ob