"Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt". Barbara Halstenberg

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Название "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt"
Автор произведения Barbara Halstenberg
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783955102685



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Worauf haben wir gewartet? Wir warteten auf das Ende in jeder Beziehung, dass uns eine Bombe trifft oder auf das Ende des Angriffs, dass wir wieder rauskämen vor die Tür. Das Problem war, wie bewältigst du das Warten, entweder bis zum Tode oder bis du wieder rauskamst. Und hoffentlich kommt keine Luftmine! Einmal erlebte ich, wie ganz in der Nähe eine Luftmine reinging. Ich merkte richtig, wie meine Eingeweide nach oben kamen. Ein Gefühl, als wenn der Körper von einem Vampir ausgesogen wird. Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich möchte es nicht wieder erleben. Ich hatte eine Angst sondergleichen! Krieg ist unmenschlich. Manche Nachrichten über Kriegsgebiete kann ich heute gar nicht sehen. Die Berichterstattung ist so abgewandt. Wie kann man darüber so sprechen? Dass wir es nun in den hundert Jahren seit Ende des Ersten Weltkriegs und über siebzig Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geschafft haben und immer noch mit in Anführungsstrichen noch besseren Mitteln Kriege führen! Ist ja unverständlich!

      (Burkhard C., Jg. 1932)

      Auf den schönen Sportplätzen gegenüber von unserem Wohnblock wurden Riesenkanonen installiert – man sagte dazu Flakabwehr. Beim ersten Bombenalarm ballerten die jungen Flaksoldaten furchtbar. Ich hatte die Röteln und durfte wegen Ansteckungsgefahr nicht in den Luftschutzkeller. Aus Angst schrie ich derart, dass danach eine Herzerweiterung von der Kinderärztin festgestellt wurde.

      Mit meinen Freundinnen spielte ich Vater, Mutter, Kind oder Zirkus. Wir wollten eine heile Welt, wir spielten niemals Krieg, obwohl um uns herum der Krieg tobte. Bis heute regt es mich auf, wenn Kinder mit Wasserpistolen zielen oder sich mit digitalen Kriegsspielen ereifern.

      (Christina Skura, Jg. 1933)

      Ich weiß noch genau, es gab immer erst einen Voralarm, und dann kam der Hauptalarm. Danach war es eine Sekunde lang ganz leise, ganz still. Dann sagte ich zu meiner Schwester: (sie flüstert) »Ob der Feind jetzt überlegt, ob er uns angreift!?« Und dann gingen die Bomben los. Im Luftschutzkeller waren meine Schwester und ich für uns alleine. Mein Vater war in Russland oder sonst wo, und meine Stiefmutter kümmerte sich um unseren kleinen Stiefbruder. Da saßen wir und flüsterten leise. Ich erinnere mich ganz dunkel an die Atmosphäre. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich jemand um uns gekümmert hätte, was vorgelesen oder so …

      (Astrid von Pufendorf, Jg. 1936)

      Wir sammelten Granatsplitter und tauschten sie in der Schule. Die Flugzeuge warfen manchmal Lametta runter, so Silberfäden. Die durften wir nicht anfassen, die hatten die Engländer angeblich vergiftet. All so ein dummes Zeug, Nazipropaganda …

      (Alfred D., Jg. 1936)

      Wenn wir den Entwarnungston hörten, waren wir wie erlöst. Es war wie eine Befreiung. Fröhlich gingen wir die Kellertreppe hoch. Wir Kinder merkten, die Älteren sind fröhlich. Davor saßen wir ganz still im Keller und hatten Angst. Wir spürten die Erschütterungen durch die Bomben, es bibberte richtig im Körper. Können Sie sich ja vorstellen, was ich da für Angst hatte. Bei Fliegeralarm zog ich mich ganz schnell an, nahm den Hund und mein Köfferchen und war die Erste im Keller. Mein Vater war der Luftschutzwart. Er hatte den Kellerschlüssel.

      Einmal waren meine Eltern noch nicht aus dem Kino zurück, als der Fliegeralarm losging. Ich wusste, was ich machen muss, nahm den Kellerschlüssel, ging runter und schloss auf, sodass alle reinkonnten. Als meine Eltern angeflitzt kamen, meine Mutter war ganz aufgeregt, saß ich schon mit dem Hund auf meinem Platz. Meine Mutter war beruhigt: »Ach, du hast ja alles richtig gemacht.«

      Ich sehe das alles noch vor mir … Für Kinder unter zehn Jahren gab es Kinderbunker. Abends brachten meine Eltern meine jüngeren Geschwister dorthin und holten sie morgens wieder ab. Als ich zehn wurde, durfte ich dort nicht mehr schlafen. Das erfreute mich, denn ich konnte dort nicht schlafen. Wenn die Lüftungsklappen angingen, wusste ich: Ah ja, jetzt ist Fliegeralarm, jetzt machen sie die Türen zu. Dann konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich überlegte, was nun zu Hause passieren würde. Wenn ich Bilder von den Kriegen heute sehe, kann ich mir vorstellen, dass die Menschen Angst haben. Ich habe es ja selber miterlebt. Meine jüngste Schwester kommt heute noch schnell in Panik.

      (Christa Lentzsch, Jg. 1933)

      Ich erinnere mich besonders an den superklaren Sternenhimmel, denn die ganze Stadt lag wegen der Verdunkelungspflicht völlig im Dunkeln. So klar kann man die Sterne über Berlin nicht mehr sehen!

      Als ich dann im Mai 45 das erste Mal wieder auf der Straße spielen ging, fiel mir die Ruhe in der Luft deutlich auf. Es flogen keine Flugzeuge mehr umher. Das war wirklich einprägsam. Diese Ruhe war irre. Keine Flugzeuge mehr am Himmel. Als Achtjähriger ist es mir aufgefallen. So eine Ruhe! Es waren sonst immer Flugzeuge am Himmel gewesen …

      (Joachim Artz, Jg. 1937)

      Bei einem Besuch bei Vati kam ich in einem Hochbunker unter. Eigentlich hatte ich geglaubt, ich hätte das Gefühl der Angst längst überwunden. Aber im Bunker zitterte ich um mein Leben. Fürchterliches Krachen, der Bunker schaukelte, das Licht ging aus, Schreie der Menschen. Zwei Stunden dauerte der Angriff. Als wir rauskamen, lagen ca. zwei und vier Meter neben dem Bunker Bomben. Fahrräder und Kinderwagen zertrümmert, ein Leiterwagen hing an einem Baum. Es brannte ringsum und über Berlin stand eine schwarze Wolke. Ein grauenhafter Anblick! Abends rief noch Inge weinend an. Ihre Mutter liegt unter den Trümmern ihres Hauses begraben …

      (Christa Ronke, Jg. 1929)

      Bei uns gegenüber wohnte ein älterer Mann, der Frank. Der kam immer mit einem Sofakissen auf dem Kopf in den Keller. Damit die Bombe ihn nicht trifft. Ich dachte schon als Kind: ›Blödsinn, wenn der getroffen wird, dann geht das ja durch das Kissen …‹

      (Helga Werner, Jg. 1937)

      Die Bombardierung der Großstädte wurde immer heftiger. Reichspropagandaminister Goebbels hatte in Berlin einer großen Menschenmenge zugebrüllt: »Wollt ihr den totalen Krieg?«

      Die Menge johlte zurück: »Ja!«

      Wir sangen dann, wenn nachts wieder die Sirenen bei uns im Ruhrgebiet heulten: »Lieber Vogel fliege weiter, fliege weiter nach Berlin, denn hier wohnen nur Bergarbeiter und da hamse Ja geschrien.«

      (Dorothea L., Jg. 1930)

      Mit zehn Jahren kam ich zur Hitlerjugend. Wir mussten im Adolf-Hitler-Stadion auf der Turnwiese Splittergräben ausbuddeln. Im Sommer waren wir auf einem Sommerlager im Grunewald. Kurz vorher hatte es einen Angriff gegeben, ich sah noch die Amerikaner in den Bäumen hängen. Das war nicht lustig. Wenn ich heute Bilder ansehe von Aleppo oder Mossul, da wird mir immer … (Er schluckt.)

      (Gerd B., Jg. 1933)

      Wegen der vielen Angriffe wurden mein Bruder und ich sehr oft verschickt. Wir waren in Pommern, Schlesien und Schneidemühl, was mir ganz schlimm in Erinnerung ist. Die Familie behandelte mich schlecht, ich wurde immer ängstlicher und sehnte mich nach meiner Mutti. Zuletzt waren wir in Dellach im Drautal, das war das Schönste, was wir je erleben durften. Mutti war dabei, und die Leute, bei denen wir untergebracht waren, gaben uns Liebe und Freundschaft. In der Umgebung blühten große Lupinenfelder und an den Häusern standen Sträucher mit großen weißen Blütenbällchen. Wir nannten sie Schneeballsträucher.

      (Ingrid Heinze, Jg. 1938)

      Meine Geschwister und ich wurden wegen der vielen Bombenangriffe in der Stadt oft aufs Land verschickt. Die Kinderlandverschickung war ja auch eine latente Entfremdung von den Eltern. Das war auch so gewollt. Und diese latente Entfremdung hat mein Bruder später nicht mehr überwunden. Der Älteste ist gar nicht mehr nach Hause gekommen. Der hat dann studiert.

      (Gerd B., Jg. 1933)

      Hintergrundinfos: Bombenkrieg

      Im Zweiten Weltkrieg fielen 1,6 Millionen Tonnen Bomben auf Deutschland. Dabei verloren fast eine halbe Million Menschen ihr Leben. Etwa eine Million wurden verletzt, darunter 116 000 Kinder. Ein Fünftel aller Wohnungen wurden zerstört und 7 Millionen Menschen wurden obdachlos. 10 Millionen Menschen wurden evakuiert. In den Städten mit über 100 000 Einwohnern wurden durchschnittlich die Hälfte aller Häuser zerstört. Britische und amerikanische Bomber flogen über 700 000 Einsätze