Volles Rohr. Wolfgang Breuer

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Название Volles Rohr
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360376



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wie man an den Schemen hinter der Milchglasscheibe erkennen konnte.

      „Woher wissen Sie denn, dass das der Mann war, den Sie als Täter bezichtigen?“

      „Na, weil niemand sonst da war. Und außerdem haben wir dessen Schatten unter seinem Wagen hindurch gesehen, wie er ständig zutrat.“

      „Schatten sind keine Beweise“, gab die Dame spitz zurück.

      Carlo Brenner, der kurz an seinem Wagen war, kam jetzt dazu und bekam vor Verwunderung kein Wort heraus. Obwohl er das gerne wollte. Was war das denn, um Gottes Willen? Hatte die Polizistin nicht alle Tassen im Schrank?

      Den Eindruck hatte auch Köne. Und der zog seinen Stiefel knüppelhart durch. „Haben sich Ihre Kollegen eigentlich schon um den silbernen Hummer mit der Siegener Nummer gekümmert? Ich hatte die Info in meinem zweiten Telefonat mit der Notrufzentrale durchgegeben, als der Typ gerade abgehauen war.“

      „Eins nach dem anderen. Erst sehen wir mal, ob eine solche Fahndung überhaupt vonnöten ist“, ratterte sie wie eine Sprechmaschine herunter, während sie unablässig Notizen auf ein großes Klemmbrett kritzelte. „Ich bin noch keineswegs davon überzeugt. Dafür müssen Sie mehr bringen als die doch sehr dürftigen Beobachtungen.“

      ‚Was für eine arrogante Tucke’, dachte Carlo und schaute sich die Dame erstmals genauer an. Alles passte an ihr zusammen. Vom Kniff in der Schirmmütze über den strengen Pferdeschwanz, die knatschenge Lederjacke und die hautenge Cargohose bis zu den Stiefeln. Typ Musterbullette. Hätte aus dem Wunschkatalog des Innenministeriums stammen können.

      „Wir müssen mehr bringen?“, fragte Brenner nach. „Wir? Sagen Sie mal, können Sie sich eigentlich selbst noch leiden? Wir haben hier einen Gewalttäter gestoppt und damit womöglich einem Menschen das Leben gerettet, oder ihn zumindest vor noch schwereren Verletzungen bewahrt. Und jetzt kommen Sie und sagen uns, wir müssten mehr bringen. Wo sind wir denn hier überhaupt?“ Die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich dachte immer, wir seien zur Zivilcourage aufgerufen. Das scheint aber bei Ihnen noch nicht angekommen zu sein.“

      Es blitzte in seinen Augen, als er die Polizisten so anpfiff. Und irgendwie verschaffte ihm das Erleichterung. Dann drehte er sich um und rief: „Komm, Philipp, ich glaube, wir gehen jetzt. Ich habe keine Lust, mir das Kasperletheater weiter anzutun, das dessen Hauptdarstellerin hier aufführt.“

      Die Uniformierte fuhr richtiggehend zusammen. Eine solche, für eine Amtsperson wohl unerträgliche, Unverschämtheit hatte sie offenbar auch noch nicht gehört. Für Sekunden war sie sprachlos.

      Die Seitentür des Rettungswagens öffnete sich. Und heraus kam der zweite Polizeibeamte, Kommissar Springer. Er steuerte schnurstracks auf seine Kollegin zu und unterrichtete sie über den Zustand des Verletzten. „Der Mann hat Riesenglück gehabt. Wenn die beiden da nicht gekommen wären, hätten wir wahrscheinlich jetzt einen Leichenfall zu bearbeiten.“

      Brenner und Köne konnten beobachten und in Wortfetzen mithören, wie die Muster-Polizistin sich gegen die Theorie des Kollegen wehrte. „Die können ihre Geschichte doch gar nicht beweisen. Was ist denn, wenn sie den Mann selbst so zugerichtet haben?“

      „Warum hätten sie denn dann Rettungsdienst und Polizei alarmieren sollen?“

      „Was weiß ich. Schlechtes Gewissen?“

      „So. Und mit dem schlechten Gewissen sind sie dann schön hier sitzen geblieben. Bis wir kamen. Jetzt lass´ mal die Kirche im Dorf, meine Liebe.“

      Doch die Kollegin schien ihm nicht recht folgen zu wollen und argumentierte immer spitzer und immer lauter.

      Er, Typ ruhiger Vertreter, schüttelte immer wieder den Kopf und schaute die Obermeisterin mit verständnislosem Blick an. „Sabine, Du gehst jetzt besser zum Wagen und erkundigst Dich mal über Funk, ob die Kollegen schon was über den Hummer und den Geflüchteten erfahren haben. Und lass´ bitte Deine Aufzeichnungen hier.“

      Schlimmer hätte es nicht kommen können. Für Polizeiobermeisterin Sabine Holzhauer glichen die letzten Sätze des Kommissars offenbar einer ehrabschneidenden Dienstanweisung. Mit durchgedrücktem Kreuz und die drei Männer keines Blickes würdigend stolzierte sie die wenigen Schritte zum Streifenwagen und riss die Seitentür des VW-Busses mit solcher Vehemenz auf, dass sie auf dem glatten Boden ins Straucheln geriet. Bevor aber noch einer der ungeliebten Zuschauer Hilfe leisten konnte, fing sie sich wieder und verschwand mit hochrotem Kopf im Wageninneren.

      „Ich bräuchte noch Ihre genauen Wohnadressen und Ihre telefonischen Erreichbarkeiten. Dann lasse ich Sie in Ruhe“, lächelte der Polizist die beiden Helfer an. „Übrigens: ganz herzlichen Dank für Ihr beherztes Eingreifen. Das hätte ja auch ganz anders ausgehen können.“

      „Gerne geschehen. Auch wenn Ihre Kollegin eher Zweifel daran hat“, antwortete Köne. „Aber machen Sie sich wegen des kleinen Eingriffs unsererseits keine Gedanken. Wir haben so was mal gelernt bei der Bundeswehr.“ Der Kommissar staunte, stellte aber keine weiteren Fragen. Es gibt, wusste er, auch nach der Dienstzeit beim Militär Dinge, über die man nicht oder nur ungern redet.

      Köne kam aus Diedenshausen, Brenner wohnte in Hilchenbach. Hin und wieder trafen sich die beiden ehemaligen Einzelkämpfer, um gemeinsam etwas zu unternehmen. So wie heute Abend. Ob sie sich aber nach dieser Odyssee noch auf Skiern den Hang ins legendäre ‚Bierloch‘ hinunterstürzen würden, da waren sie sich noch nicht so ganz sicher. Wobei sie dem Namensgeber der Piste, dem Bier, durchaus nicht hätten entsagen müssen. Ein Abend bei zwei, drei Pils und einem deftigen Abendessen im Gasthof Gilsbach wäre eine durchaus reizvolle Alternative. Und eine warme und trockene obendrein. Denn das Schneetreiben hatte an Intensität zugenommen und die beiden an eine ihrer Übungen im Hochgebirge erinnert.

      Während sie noch unschlüssig am Kofferraum von Carlos Twingo standen, fuhr der Rettungswagen ganz langsam vom etwas unebenen Parkplatz davon. „Alles Gute, armes Schwein“, verabschiedete Philipp den Verletzten mitleidig. Nicht wissend, wie viele Menschen dieser Mann seinerseits bereits krankenhausreif geschlagen oder vielleicht sogar ins Jenseits befördert hatte.

      Kommissar Springer, der sich bei der Auswertung der im Rettungswagen aufgenommenen Personalien aus den Schläger-Papieren noch wundern würde, machte noch verschiedene Fotos von den Fahrspuren und Blutflecken am Tatort. Derweil saß seine Kollegin stocksteif im Polizeiauto und rührte sich nicht einen Millimeter. Sie war zutiefst beleidigt. Die Parkplatzbeleuchtung zeichnete ein albernes Bild von ihr.

      „Was für eine Frau“, grinste Brenner. „An der könntest Du mich anketten. Da würde ich so lange pinkeln bis ich losgerostet wäre.“ Köne wieherte vor Begeisterung.

      Monkey hatte sich getäuscht. Auch Polizeibeamte machen Überstunden. Die meisten von ihnen übrigens ständig, schenkt man den Staatsdienern Glauben.

      Jürgen Winter hatte sich den gescheiterten Drogenkurier vorgeknöpft, ihm eine Tasse Kaffee hingestellt und sein Büro „so unpolizeilich wie möglich“ wirken lassen. Winter schwor darauf. Er meinte, das könne zur Entkrampfung bei den Verdächtigen beitragen. „Wirkt wie ein Blasen- und Nierentee“, hatte er vor Monaten im Kollegenkreis verkündet.

      „Sagen Sie, Herr Monkey, haben Sie eigentlich auch einen bürgerlichen Namen?“

      „Ja.“

      „Und der lautet wie?“

      Schweigen. Monkey schaute zu Boden.

      „Oh, das geht ja gut los. Sie wollen mir also nicht sagen, wie Sie heißen?“

      „Ja.“

      „Also doch?“

      „Nein.“

      „Ja? Nein? Verstehe ich jetzt nicht. Erklären Sie´s mir?“

      „Sie fragten, ob ich Ihnen nicht sagen wollte, wie ich heiße. Und weil ich das nicht will, habe ich korrekt mit ‚ja’ geantwortet.“

      „Och komm´, jetzt hören Sie doch mit solchen Sperenzchen auf. Sie haben ganz andere Probleme, als mit mir Ihren letzten Deutschunterricht