Название | Volles Rohr |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360376 |
Drüben beim Baum fuhren gerade der Notarzt und ein Rettungswagen vor. Und es begann mal wieder zu schneien.
Pattrick Born hatte Anna Berg weich geklopft. Die frisch geduschte junge Frau begann zu reden. Zu schwer lastete auf ihren Schultern die Verantwortung für das Drogenpaket, das sie in ihrem Rucksack zur nächsten „Station“ transportieren sollte.
Das hatten sich die Hintermänner gut ausgedacht. Auf der Liefertour mehrere Einzelpersonen auf der Strecke vom Versender zum Empfänger zwischenzuschalten. So ließen sich falsche Spuren legen und andere verwischen. Und immer waren die Kuriere Leute, die von den Auftraggebern nach Belieben gegängelt werden konnten. Weil sie sie wegen säumiger Zahlungen oder unterschlagenen Stoffs in der Hand hatten.
Für Anna hatte sich der Oberguru am Ende der Lieferschlange etwas Besonderes ausgedacht. Und das konnte wirklich nur einem kranken Hirn entspringen. Denn sie sollte nicht nur den kiloschweren Haschischkuchen von A nach B bringen. Sie sollte auf dem Weg dorthin auch noch den Bedarf am Bahnhof in Bad Berleburg stillen. Mit fertig abgefüllten Grammpäckchen. Dass damit die Gefahr um ein vielfaches größer war, gleich mit dem ganzen Marihuana-Gepäck aufzufliegen, schien er irgendwie außer Acht gelassen zu haben.
Prompt war sie hochgegangen – samt ihrer Identität. Und ihr schwante, dass das aufgrund eigener Dusseligkeit passiert war. Zu groß war wohl ihre Gier, an dem Tütchen-Geschäft noch ein wenig mitzuverdienen. Sie war nämlich dauerklamm. Aber dafür wäre wohl eine bessere Deckung vonnöten gewesen. Sie hatte das alles einfach der Gunst und dem Ansturm der Stunde überlassen.
Sei´s drum, jetzt war eh alles zu spät. Und jetzt wollte sie sich den ganzen Scheiß von der Seele reden. ‚Geständige bekommen manchmal einen Strafnachlass’, dachte sie. Eine durchaus verlockende Option, die ihr im Moment eher sympathisch erschien – im Vergleich zu dem, was ihr in „Freier Wildbahn“ nach dem Verlust der Drogen drohte. Alles sollte auf den Tisch. Bis auf den Bezugsweg für die Ware. Und die Hintermänner. Glaubte sie etwa, daraus ließe sich ein eigenes Geschäft entwickeln?
„Wer ist denn eigentlich der Mensch, der das Kuvert von Ihnen hätte übernehmen sollen?“ Pattrick war ganz wild darauf, die Geschichte in trockene Tücher zu bekommen. Denn der Anschiss des Chefs von vorhin saß tief.
„Der heißt Monkey. Mehr weiß ich nicht. Ich bin dem schon zwei-, dreimal bei solchen Aktionen begegnet. Nur waren die Lieferungen damals nicht so groß.“
„Und wo sollten Sie Monkey treffen? Etwa hier irgendwo in der Stadt?“
„Nein, nein, ich hätte den Bus um 13:30 Uhr nach Winterberg nehmen und in Hoheleye ‚Sanatorium’ aussteigen sollen. Dort wollte er auf mich warten und das Kuvert übernehmen. Ich hätte dann gleich mit dem Gegenbus wieder runter nach Berleburg fahren können.“
„Gibt´s da auch so ‘ne Art ‚Rettungsweg’, falls Sie zu spät oder gar nicht mit dem genannten Bus gekommen wären?“
„Natürlich. Einen Bus später. Wobei das schon mal ganz gewaltig übel genommen werden kann. Wir dürfen nämlich keine Handys dabei haben. Können uns also gegenseitig nicht verständigen.“
„Wie sieht denn dieser ominöse Kollege namens Monkey aus?“ Anna Berg beschrieb ihn, soweit sie das vermochte. Konnte sich aber nicht mehr so ganz genau erinnern. Immer wieder schaute sie aus dem Born´schen Bürofenster heraus und sah dem Flockenwirbel zu. ‚Gut, dass du nicht dort draußen sein musst’, dachte sie. Sie hätte nämlich nicht gewusst, wo sie die nächsten Nächte hätte verbringen können. Ihr Dauerquartier war ihr zu gefährlich, für einen Gasthof hätte ihr Geld nicht ausgereicht und die Kohle aus dem Drogenverkauf hatte die Polizei konfisziert. „Aber dass er auch beim nächsten Bus in Hoheleye am Sanatorium steht, das ist absolut sicher.“
Born hatte es plötzlich sehr eilig. „Alles Weitere besprechen wir später“, entschied er und stand auf. „Bitte bring sie wieder in ihre Zelle“, bat er den Beamten, der auf einem Stuhl neben der Tür der Vernehmung beigewohnt hatte.
Das Wartehäuschen beim „Sanatorium“ war eine Farce. Zumindest bei diesem Wetter. Ohne Unterlass pumpte der Nordwestwind neue Schneeladungen auf den dick vermummten Mann, der in der nach vorne offenen Hütte Schutz gesucht hatte. Gegenüber hätte er zwar ein lauschiges Plätzchen im „Graberhof“ finden können. Aber dafür hatte er weder das Geld, noch hätte er seinen Gast dort abpassen können.
Der Bus in Richtung Winterberg hätte eigentlich seinen Besuch mitbringen sollen. Der hielt zwar auch pünktlich nach Fahrplan um 14:03 Uhr. Aber es stieg niemand aus. Und drinnen saßen gerade mal vier Leute, von denen niemand auch nur ansatzweise nach Frau aussah.
Der verärgerte Busfahrer, der gemeint hatte, der Mann in der Hütte wolle mitfahren, hatte mächtig Probleme, sein schweres Gefährt auf der Steigungsstrecke in Richtung Rothaar-Höhenstraße wieder in Gang zu bringen. Mit grimmigem Gesicht schaute er zur Haltestelle herüber, während der MAN sein Hinterteil schlingernd über die Straßenmitte herüberschob. Nur allmählich griffen die immer wieder durchdrehenden Zwillingsräder der Hinterachse.
Hier oben, dicht am Rothaarkamm, war noch richtig Winter. Gardinen aus Pulverschnee jagten über die Freiflächen und türmten Schneewechten an den Straßenrändern und Ackerrainen auf. Gut zwei Kilometer weiter in Langewiese liefen noch die Skilifte. Deren Betreiber versuchten noch reinzuholen was möglich war. Denn das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft hatte so gut wie nicht stattgefunden.
Leise fluchend stand der Wartende auf und ging herüber zum Fahrplan, der als solcher nur an der farbigen Umrandung des Kästchens zu erkennen war, in dem er aushing. Mit seinen Fäustlingen kratzte er Eisstreifen für Eisstreifen das Glas frei. In gut einer Stunde würde der nächste Bus kommen und um 16:03 Uhr der letzte, der noch bei Tageslicht zu erwarten war.
‚Verdammte Hacke, Klaf macht mich fertig, wenn ich ohne die Ware komme.’ Ein Schauer schoss ihm über den Rücken. Und der hatte nun wirklich nichts mit dem Wetter zu tun. Es war nichts als die nackte Angst. Denn dieser legendäre „Klaf“, von dem niemand den richtigen Namen kannte, war ein ausgesprochen brutaler Hund. Einer, der angeblich bereits über Leichen gegangen war. Abends um halb sieben hatten sie sich auf dem Bierloch-Parkplatz in Langewiese verabredet.
Niemand wusste, wo dieser Typ wohnte und niemand hätte sagen können, ob er wirklich der Drogenbaron der Region war. Die Szene zumindest hielt ihn dafür. Fakt war lediglich, dass er offenbar alles und jeden in der Hand hatte. Und dass er vor allem vom Geschäft mit den Tausenden von Holländern lebte, die Winterberg und Umgebung jahrein, jahraus mit Skiern, Bikes und Walkingstöcken heimsuchten. Deren Stoffkonsum musste gewaltig sein.
Gäbe es nicht solche Leute wie ihn, Monkey, wäre Klaf aufgeschmissen. Denn dann müsste er sich den Stoff an weitaus pikanteren Stellen abholen, als auf einem unverdächtigen Liftparkplatz. Aber er hatte halt solche Kuriere rekrutiert. Durch Köder-Aktionen, von denen er ganz genau wusste, dass sie für den Betreffenden schiefgehen mussten.
Monkey hatte er drangekriegt, indem er ihn beauftragte, Hasch-Tütchen an Disco-Besucher in Schmallenberg zu verkaufen. Bei fünfzehn Prozent Gewinn. Und das just in einer Zeit, in der Monkey besonders klamm und seine Monatsmiete seit drei Monaten offen war. Schon dessen Getränkerechnungen in den Discos schluckten den Gewinn aus den Verkäufen. Der Rest ging an seinen Wohnungsvermieter drauf. Sonst hätte sich Monkey das Wartehäuschen als Dauerbleibe ausgucken können.
Er war also in Klafs Hand. Und das hatte der ihm überaus deutlich gemacht. Mit brutalen Schlägen in die Magengrube und Tritte in die Weichteile. „Dabei forderte er ihn immer wieder auf: „Wehr´ Dich doch. Schlag zurück und mach´ mich fertig. Dann kannst Du ja zur Polizei gehen.“ Doch er war machtlos.
Diese Kurier-Mission sollte eine Art „zweiter Versuch“ sein. Im Erfolgsfall wollte ihm sein Auftraggeber 25 Prozent seiner Schulden erlassen und ihn dauerhaft in seine Dienste aufnehmen. Was ihm aber widrigenfalls blühte, wollte sich Monkey erst gar nicht ausmalen. Er musste also handeln. Bevor er um 18:30 Uhr mit leeren Händen vor seinem brutalen Auftraggeber stünde. Er ahnte, dass