Название | Volles Rohr |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360376 |
„Sie hat sich halt wahnsinnig gegrämt, dass bei ihr alles so aus dem Ruder gelaufen ist. Das tut ihr leid. Sie weiß aber nicht, wie sie Dir das beibringen soll. Ich glaube, ihre Scham ist größer als ihr Mut“, endete Jürgen seinen Kurzrapport. „Mehr werde ich dazu nicht sagen.“ ‚Und damit habe ich sie auch nicht verraten’, dachte er.
Klaus Klaiser schwieg und schaute wieder nach vorn. Gerade durchfuhren sie die lange Rechtskurve, wo man links die außergewöhnliche Kirche von Girkhausen sehen konnte. Hier stand nämlich der wuchtige Kirchturm um einiges entfernt von der eigentlichen Kirche. Was die Bauherren im 13. Jahrhundert zu dieser eigenwilligen Konstruktion getrieben hatte, dazu, hatte Klaus gehört, stritten sich Wissenschaftler noch bis zum heutigen Tage. Manche behaupten, die Kirche habe einst bis an den Turm herangereicht und nach der Reformation als „Steinbruch“ gedient. Um aus dem gewonnenen Baumaterial andere Häuser errichten zu können.
Irgendwie, dachte er, sei der Sakralbau Sinnbild für den Zustand seiner Kollegin. ‚Manchmal steht man auch mal neben sich. Wäre schön, wenn Corinna den Zustand beenden würde. Denn sie wäre dazu in der Lage. Der Kirchenbau sicher nicht.’
Im Streifenwagen dahinter saß der Gefesselte neben einem Beamten im Fond. Ihm ging dermaßen der Stift, dass er laufend sabberte. Schon kurz nach der Abfahrt hatte er den Polizisten nebenan um ein Papiertaschentuch gebeten. Doch das hatte längst seine Aufnahmekapazität überschritten. Monkey schluckte Unmengen an Spucke runter. Immer wenn er Druck hatte, war das so bei ihm. Und heute war der Druck unerträglich.
‚Scheiße, Scheiße, was mach´ ich bloß? Wenn ich heute Abend nicht pünktlich in Langewiese auftauche, bringt mich Klaf um, sobald er mich zu packen bekommt. Wenn ich aber den Bullen die ganze Geschichte stecke, fahre ich erst mal für ‘ne Weile ein. Das bewahrt mich zwar zunächst vor dem Zugriff dieses Wahnsinnigen. Aber noch mal für längere Zeit im Knast? Nee. Das wird nix. Also Maul halten, Alter. Erst mal.’ Außerdem konnte er sich kaum vorstellen, dass es heute noch zu einem Verhör kommen würde. Es war fast halb fünf. ‚Irgendwann müssen auch die Bullen mal Feierabend machen.’ Es gab also noch Bedenkzeit.
In Langewiese herrschte dicke Luft. Bis 18:50 Uhr hatte Klaf in seinem Hummer H2 auf Monkey gewartet. Bei laufender Standheizung und mit einem angeheuerten Knochenbrecher auf dem Beifahrersitz. Dann rastete er aus.
„Das wird mir dieser verfluchte Gangster büßen! Jetzt hat er mich zum zweiten Mal gelinkt! Was glaubt der eigentlich, was für Spielchen er mit mir spielen kann? Ich dreh´ ihn durch den Wolf, diesen Drecksack!“
Mit einem Satz war der in Pelz gepackte Dealer aus dem Ami-Gefährt heraus und wie Rumpelstilzchen drum herum gesprungen. Dann haute es ihn dermaßen auf die Schnauze, dass plötzlich nur noch ein Winseln zu hören war. Der große Klaf war mit seinen Cowboystiefeln ohne Profilsohle auf dem arschglatten Boden des Liftparkplatzes ausgerutscht und voll mit dem Schädel aufgeschlagen.
Der Schläger drinnen bekam sich kaum mehr ein vor Lachen. Besser wäre es für ihn aber gewesen, wenn er sich gleich fürs Aussteigen und für Erste Hilfe entschieden hätte. Denn als Klafs blutverschmiertes Gesicht plötzlich wie Kasperle in einem Puppentheater hinter der Scheibe der Beifahrertür auftauchte, war es für andere Überlegungen des Mitfahrers zu spät. Mit einem Ruck riss der arg lädierte Oberdealer die Tür auf, packte den total verdutzt dreinschauenden Mann am Kragen seiner gefütterten Bomberjacke und beförderte ihn fast fliegend nach draußen.
Einem Entsetzensschrei des Mehrfachtätowierten folgte ein dumpfer Aufschlag. Eine Weile hörte man nur noch den unermüdlich arbeitenden Liftmotor und parlierende Skifahrer. Aber wenig später wurde es laut auf dem Parkplatz. Der Schlägertyp schrie plötzlich wie am Spieß. Als ihm Klaf nämlich mit seinen spitzen Stiefeln ein ums andere Mal in die Seite trat und ihm dabei mindestens drei Rippen brach.
„Ich habe Dich nicht für Hohngelächter eingekauft, Du Vollidiot!“, schrie der Blutende. Eine klaffende Platzwunde zierte seine Stirn. „Steh´ auf und wehr´ Dich!“, brüllte er erneut.
Doch der Mann am Boden krümmte sich nur vor Schmerzen und hatte große Not, Luft zu holen. „Steh auf, Arschloch! Sofort! Sonst brech´ ich Dir alle Knochen. Zehn, neun, acht, sieben …“
Der andere quälte sich, auf die Beine zu kommen. Aber das gelang ihm nicht auf Anhieb. Während er vergeblich versuchte, aus dem Vierfüßerstand hoch zu kommen, trat ihn Klaf derart heftig von unten in den Brustkorb, dass es den Mann seitlich umwarf. Plötzlich schrie er aus Angst um sein Leben. Schrill und dermaßen laut, dass zwei Männer aufmerksam wurden, die gut 20 Meter entfernt gerade ihre Skier aus dem Wagen geladen hatten.
Eigentlich hatten Carlo Brenner und Philipp Köne vor, den Abend beim Flutlicht-Funrace zu verbringen. Doch die Schreie des Mannes elektrisierten sie förmlich. Also liefen sie rüber zu dem Hummer, hinter dem sich schreckliches abzuspielen schien. Unter dem hochbeinigen Wagen hindurch sahen sie in der Parkplatzbeleuchtung den Schatten eines Beines, das wieder und wieder gegen etwas Liegendes zu treten schien. Und jedes Mal ein Aufschrei. Doch die Schreie wurden schwächer.
Die Männer umrundeten das Fahrzeug auf der Vorderseite, wo sie sich im Rücken des brutalen Treters wähnten. Und sie hatten Glück. Tatsächlich bot ihnen der in Pelz Gehüllte seine Rückseite an. Mit zwei, drei Schritten waren sie unmittelbar hinter ihm. Als er seine Lage vergegenwärtigte, traf ihn bereits ein gewaltiger Tritt in die Kniekehle des linken Standbeins. Ächzend und mit verwundertem Blick stürzte Klaf auf die Knie. In diesem Moment knallte eine Handkante gegen seine linke Kopfseite, was ihm kurzfristig einen Blackout bescherte.
Als der Drogendealer wieder wach wurde, kniete er neben seinem Hummer und spuckte Blut. Philipp Köne hatte ihm vorsichtshalber noch einen Ellbogencheck ins Gesicht verpasst. Was Lippe und Nase des Getroffenen nicht unbedingt gut getan hatte.
Neben ihm lag stöhnend sein Opfer. Der Knochenbrecher. Carlo Brenner hatte ihn auf eine Decke aus dem Protzkarren gebettet und redete jetzt mit dem Rettungsdienst. „Natürlich bleiben wir bei dem Mann. Beeilen Sie sich bitte. Es geht ihm nicht gut. Hier ist auch noch ein zweiter Mann, der Hilfe braucht. Der ist allerdings sehr gewalttätig.“ Schnell informierte er dann auch noch die Polizei.
„Und, alles klar?“, fragte Köne. „Alles klar. Rettungswagen und Polizei sind unterwegs.“
Beim Wort POLIZEI schoss Klaf wie von einem Stromschlag getroffen nach oben und rammte den am nächsten stehenden Brenner so zur Seite, dass der fürchten musste, auf den Verletzten am Boden zu fallen. Mit einem Ausweichschritt gelang es ihm jedoch, dies zu vermeiden. Klaf war für ihn damit aber schon außer Reichweite geraten. „Philipp!“, rief er, „pass auf, pack ihn.“ Aber der bekam eine derart wuchtige Gerade in die Magengrube, dass er nach vorn überkippte und würgte.
Zehn Sekunden später sprang der Hummer an und raste schlingernd und ohne Licht über die Parkplatzauffahrt in Richtung Albrechtsplatz davon.
„Diese verfluchte Drecksau, diese elende!“, brüllte Brenner. „Was für ein Unmensch. Und wir Idioten müssen mal wieder voll in die Scheiße rasseln.“
„Ja, jetzt hab´ Dich mal nicht so von wegen Idioten“, würgte Philipp nach wie vor etwas. „Wenn wir nicht aufgekreuzt wären, hätte dieser widerwärtige Mensch den Mann hier alle gemacht.“
Wenige Minuten später tauchte der Rettungswagen auf. Er kam vom Skilift in Neuastenberg und hatte einen jungen Arzt dabei, der bereits angesichts der erkennbaren Verletzungen die Stirn in Falten legte. Vorsichtig zogen die Männer den Verletzten auf eine Trage und hoben ihn in das Fahrzeug. Dann stieg einer der Rettungsassistenten wieder aus und erkundigte sich bei Carlo und Philipp nach deren Wahrnehmungen. Doch viel hatten die beiden ja nicht gesehen.
Das entwickelte sich auch zum Problem, als schließlich eine Winterberger Streifenwagenbesatzung aufkreuzte. „Wie, Sie haben nicht gesehen, was der vermeintliche Täter mit diesem Mann gemacht hat?“, fragte eine Polizeibeamtin nach den ersten Kurzberichten der zwei Männer. „Und dann schlagen Sie derart auf ihn ein, dass ihm die Nase bricht. Hielten Sie das für verhältnismäßig?“
Philipp