Durchgeknallt. Wolfgang Breuer

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Название Durchgeknallt
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360024



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waren längst zum Stillstand gekommen. Nur ein regelmäßiges Knacken verriet, dass Motor und Auspuff ziemlich heiß waren und jetzt abkühlten. Und es roch nach Motorenöl.

      Dem Kriminalisten schoss in diesen Sekunden alles Mögliche durch den Kopf. ‚Du bist nicht bewaffnet, sei vorsichtig.’ Und ‚Ute hast du noch nicht informiert, dass es später wird.’ Hätte er allerdings auch nicht tun können. Womit denn?

      Irgendwie stieg ein irrationales Angstgefühl in ihm auf, das er so noch nicht kannte. Denn eigentlich wollte er ja gar nicht in das Wrack schauen. Aber er musste ja.

      Doch da vorne bewegte sich nichts. Überhaupt nichts. Doch das besagte gar nichts. Am besten wäre es, dachte Klaus, wenn er auf der gegenüberliegenden Seite die Straßenböschung hinunter steigen, durch die Wiese den Porsche umkreisen und dann weiter vorne wieder hoch klettern würde. Um aus der Deckung heraus knapp über die Fahrbahn hinweg in das demolierte Auto schauen zu können. Das müsste eigentlich klappen und wäre womöglich am ungefährlichsten. Also los. Ab, die Böschung hinunter.

      Mist, da waren Brennnesseln, über die er hinabschlidderte. Und dann noch ein Stacheldrahtzaun. Macht nichts. Nichts passiert. Ein Zaunpfosten hatte als Rutschbremse fungiert. Und an dem Zaun konnte er jetzt entlang laufen. ‚Bleib besser auf der Straßenseite‘, dachte er sich. Meter für Meter arbeitete er sich vor.

      Aber eins war komisch. Bisher war nicht ein einziges Auto vorbei gekommen. Nicht mal ein Landwirt mit seinem Trecker. Nicht von Rinthe her, nicht von Birkefehl und nicht von Berghausen. Das war doch nicht normal. Auch wenn hier selten richtig viel Verkehr herrschte. Klaus fühlte einen dicken Kloß in seinem Hals. Jetzt müsste er eigentlich an dem Porsche vorbei sein. Jetzt könnte er in den Wagen hinein schauen.

      Langsam wollte er sich schon im Schutz eines Baumes die Böschung hocharbeiten. Da traf es ihn wie ein Stromschlag. Denn plötzlich stand er da. Dieser Unmensch. Zwei, drei Meter oberhalb von ihm. Direkt am Straßenrand. Mit Kanone im Anschlag. Aufgetaucht wie Phoenix aus der Asche.

      Zum Glück standen zwei Büsche schützend zwischen ihnen. Mit dichtem Blattwerk verdeckten sie wohl die Sicht des Gangsters. Und plötzlich wusste Klaus wieder, was es heißt, seinen eigenen Pulsschlag im Kopf zu hören. „Wupp-wupp, wupp-wupp, wupp-wupp“, dröhnte es. Pulsfrequenz bei mindestens 180.

      Langsam, ganz langsam ließ er sich auf den Boden gleiten. Und dabei schwitzte und fror er gleichzeitig zum Gotterbarmen. Der Polizist zitterte wie Espenlaub. ‚Lieber Gott‘, dachte er, ‚bitte lass‘ diesen Typen nur ein paar Schritte weitergehen. Damit ich mal wieder richtig Luft holen kann.’

      Ein leichter Windhauch strich durch das wunderschöne Tal. Und drüben machte ein Eichelhäher auf sich aufmerksam, die so genannte „Polizei des Waldes“. ‚Hallo Kollege‘, dachte er.

      Wieder und wieder krächzte der Eichelhäher los. ‚Es ist so bizarr‘, schoss es ihm durch den Kopf. ‚Diese unglaubliche Idylle um uns herum. Und da steht der Mann, der mir in wenigen Sekunden ein Loch in den Schädel jagen kann.’ Und dies auch tun würde. Davon war er fest überzeugt.

      Plötzlich riss der Gangster da oben den demolierten Kopf herum und schaute talaufwärts. Ein Wagen war von weiter weg zu hören. Und auch von Berghausen kam plötzlich ein Auto heran. Recht schnell sogar. Offenbar bereitete sich dieser Fiesling jetzt darauf vor, einen von denen anzuhalten und zu kidnappen.

      Das Fahrzeug, das von Berghausen her kam, blieb drüben hinter seinem Audi stehen. ‚Wegen der Sperre‘, dachte Klaus. Eine Tür schlug zu. Und irgendjemand rief: „Hey, brauchen Sie Hilfe?“

      „Ja, brauche ich“, erwiderte der Muskelmann. Sein Nuscheln war unüberhörbar.

      „Sind sie verletzt? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“ „Nein danke, nicht nötig.“

      Aber dann passierte nichts. Eine ganze Weile nicht. Nur ein Sportflugzeug störte die Stille. Offenbar gestartet in Schameder.

      „Was ist denn jetzt?“, hieß es von dort hinten. „Sie müssen schon herkommen. Ich fahre mir doch in diesem Trümmerfeld nicht die Reifen platt.“

      Das hatte er wohl akzeptiert und setzte sich langsam in Richtung Straßengabelung in Bewegung. Die Knarre hatte er hinten in den Hosenbund gestopft. Wohl, um nicht sofort erkannt zu werden. Das hatte Klaiser noch gesehen. Dann war der Typ aus seinem Sichtfeld verschwunden.

      Eine ganze Weile lang hörte man nur das Gluckern des Mühlbaches und Vogelzwitschern. Dann kam schließlich der Wagen von Rinthe her in schneller Fahrt heran.

      ‚Du musst den Mann da hinten unbedingt warnen‘, dachte der Kriminalpolizist noch. ‚Der hat womöglich gleich eine Pistole am Kopf. Aber wie komme ich dann ungeschoren hier raus? Das ist Wahnsinn, so ganz ohne Waffe.’

      Doch er kam nicht mehr zu irgendeiner Aktion. Der Wagen oben fuhr vorbei, nahm Tempo auf und bremste kurz darauf scharf ab. Dann hörte er plötzlich lautes Rufen. Kommandos hallten durch das Tal. „Waffe weg – Sofort! Waffe weg – Waffe weg!“ Die Aufforderung war ultimativ, duldete keinen Widerspruch. Wieder kurze Stille. Dann: „Okay, so ist‘s gut. Und jetzt auf den Boden. Runter auf den Bauch! Runter! Und Handflächen nach oben! … Okay.“

      Für Momente war nichts mehr zu hören. Dann schlugen eine Schiebetür und mehrere Wagentüren zu. Mehrere Automotoren sprangen an.

      Als Klaiser schließlich die Böschung hoch krabbelte, sah er gerade noch zwei schwarze Mercedes-Limousinen und einen schwarzen Neunsitzer mit verdunkelten Fenstern davon fahren. Am Steuer Männer mit schwarzen Sturmhauben.

      ‚Das SEK‘, dachte er. ‚Schnell und geräuschlos. Wahnsinn!’

      Ute stand mit tränengetränkten Augen in der Tür, als Klaus heimkam. Wortlos fiel sie ihm um den Hals, begann laut zu schluchzen und küsste ihn mit feuchtem Mund ab. Sie wollte gar nicht mehr aufhören. Klaus schloss sie fest in die Arme – und weinte auch.

      Sie wusste längst, was an diesem Abend passiert war und in welch brenzliger Lage er sich befunden hatte. Corinna hatte sie sachte eingeweiht. Ihre Busenfreundin und gleichzeitig Kollegin von Klaus. Eigentlich hätte sie gar nichts sagen wollen und auch nicht dürfen. Aber Ute hatte bei Corinna auf der Dienststelle angerufen, um anzukündigen, dass sie später zum geplanten Cocktail- und Quatschabend kommen werde. Klaus sei ganz gegen seine Gewohnheiten noch nicht heim gekommen. Ohne sich zu melden. Und per Handy sei er nicht erreichbar. Nun hatte Ute ein extrem flaues Gefühl im Magen. Weil Radio Siegen von der Entführung eines Industriellen aus Kirchhundem berichtet hatte. Und davon, dass der Wagen des Entführten in Wittgenstein gesehen worden war. Dessen Fahrer, der mutmaßliche Entführer, sei ein geflohener Schwerverbrecher.

      Corinna hatte zunächst rumgestammelt. Abstreiten konnte sie den Inhalt der Radiomeldung ja nicht. „Aber damit bin ich überhaupt nicht befasst. Ich hatte heute viel zu viele andere Dinge auf dem Tisch. Gerade eben kam noch ein Tankstellenbetrug dazu.“ Im Übrigen laufe diese Entführungsgeschichte über den Einsatz- und Führungsstab in Siegen. Die Berleburger Wache sei da eher außen vor. Und überhaupt – bei dem Arbeitspensum, das sie im Moment habe, sei das wirklich nichts, was sie sonderlich interessiere.

      ‚So eine Lügnerin‘, hatte Ute gedacht. Sie kannte ihre Freundin viel zu gut, als dass sie das hätte glauben können. Corinna Lauber, 30-jährige Kommissarin, eigentlich eine grundehrliche Haut, war Polizistin mit Leib und Seele. Und jeder Fall, der über das übliche Tagesgeschäft hinaus ging und mehr war als ein stinknormaler Ladendiebstahl oder ein Trunkenheitsdelikt, interessierte sie brennend. Nein, dieser Frau war eine Entführung mit absoluter Sicherheit nicht egal. Noch dazu eine, die eventuell auch in Wittgenstein stattfand. Ute war sicher, dass da irgend etwas gewaltig brodelte. Und ihr Mann war womöglich mittendrin. Also bohrte sie weiter.

      Corinna wusste, dass sie der Freundin jetzt nichts mehr vormachen konnte. Also musste sie die Hosen runterlassen und erzählen, was sich da gerade abspielte. Soweit sie es überhaupt selbst wusste. Tuschelnd gab sie Ute die wichtigsten Infos im Telegrammstil durch‘s Handy. Sie stand gerade in der Nähe des PvD-Pultes. Und die Kollegen dort mussten das nun wirklich nicht mit bekommen. Doch plötzlich brachen die in einen gewaltigen Jubel aus