Durchgeknallt. Wolfgang Breuer

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Название Durchgeknallt
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360024



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den gesamten Einnahmen der Nacht in einem Plastikbeutel quer durch die Stadt gelatscht und hatte angeblich nicht gemerkt, dass er seit Verlassen seines Etablissements von einem Kerl verfolgt worden war. Der hatte in dem Bordell sein ganzes Geld vervögelt und in Champagner für Nutten angelegt.

      Kurz vor dem Nachtschalter der Sparkasse hatte der mittlerweile klamme Freier dem Rotlichtkönig dann ein mächtiges Hörnchen geklopft und ihm die Kohle trotz heftigster Gegenwehr aus den Händen gerissen. Danach war er stiften gegangen. Mehrere Tausend Euro reicher und mit zunächst unbekanntem Ziel.

      Nicht aber mit unbekanntem Gesicht. Denn eine Überwachungskamera hatte das Schauspiel der gewaltsamen Geldübernahme aus dem Bankinneren heraus auf Chip festgehalten. So hatte der Hüter der leichten Damen leichtes Spiel bei der Identifizierung. Trotz einer veritablen Beule, die im Kopf ein gewaltiges Dröhnen verursachte und mit Eisbeutel gekühlt werden musste, hatte er am nächsten Morgen den Mann auf dem Überwachungsvideo sofort wieder erkannt. Als einen überaus großzügigen Kunden, den er wegen seines honorigen Verhaltens über den grünen Klee lobte. Bis ihm klar wurde, dass der ja der Grund allen Übels war.

      War es der viele Alkohol, der ihn so verwirrt machte? Oder hatte er am Ende doch eine Gehirnerschütterung davon getragen? ‚Kaum vorstellbar‘, dachte Klaus. „Wo nichts ist, da kann man nichts erschüttern“, hatte sein Vater schon immer gesagt.

      Sei´s drum. In den Minuten nach dem etwas sehr anstrengenden und zeitraubenden Gespräch mit dem „Sondergastronomen“ ging es Schlag auf Schlag. Der Abgleich der fast Passbild-tauglichen Aufnahmen des Räubers mit Fotos in der elektronischen Gangsterkartei führte verblüffend schnell zu einem Ergebnis. Der Typ, ein Mann aus Siegen-Weidenau, war schon mehrfach wegen Eigentumsdelikten und Überfällen in Erscheinung getreten. Nur Minuten später starteten unauffällige Kollegen vom Weidenauer Revier aus in einem ebenso unauffälligen Fahrzeug, um vor dem Elternhaus des Übeltäters auf dessen Wiederkehr zu warten.

      Dass er auftauchen würde, daran hatten die Siegener Kollegen keinen Zweifel. Denn bei aller kriminellen Energie mit Hang zur käuflichen Liebe zeichnete den 38-jährigen Gelegenheitsjobber eines besonders aus: seine hohe soziale Kompetenz nämlich. Er versorgte seit Jahren eine einseitig gelähmte und bettlägerige Frau, die eine kleine Mietwohnung im Hause seiner längst verstorbenen Eltern bewohnte.

      Nicht, dass er irgendwelche womöglich schrägen sexuellen Ambitionen gehabt hätte. Nein. Es gefiel ihm einfach, für die Endfünfzigerin einzukaufen und sie mit all dem zu versorgen, was die Leute vom sozialen Dienst nicht leisten konnten. Irgendwie war sie wohl so etwas wie ein Mutterersatz für Hendrik Schlemper, den Ganoven mit karitativen Zügen.

      Oft unterhielt er sich stundenlang mit seiner Mieterin. Und sie plauderten über Gott und die Welt. Wenn er nicht gerade mal wieder für ein paar Monate in den Knast eingefahren war. Solange mussten andere die Einkäufe übernehmen.

      ‚Und so einer fährt bis nach Berleburg, poppt sich die Seele aus dem Leib, säuft literweise Dom Perignon und schmeißt mit Geld nur so um sich. Um dann zu erkennen, dass er total pleite ist und daher beschließt, sich die Kohle auf spektakuläre Art und Weise wieder zurück zu holen.’ Klaus schüttelte jetzt noch den Kopf während der Fahrt. ‚Wirklich eine schräge Nummer. Aber in Nullkommanix aufgeklärt. Vielleicht geht er den Kollegen ja bald ins Netz.’

      Den Porsche und seinen bekloppten Fahrer würde Klaiser wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber immerhin hatte er ja seine Nummer. OE-JJ 276. Gleich morgen würde der Kripobeamte das Zentralregister und POLAS abfragen. Ob mit dem Wagen alles in Ordnung ist, wem er gehört und ob der Besitzer schon mal irgendwo aufgefallen ist. Falls denn der Pilot dieses Geschosses auf vier Rädern auch dessen Besitzer war.

      Wer immer heute hinter dem Steuer saß, seine rücksichtslose Fahrweise war nicht mehr zu toppen. Aber leider war die Größe des Fahrers das einzige, was in Bruchteilen von Sekunden in seinem „optischen Gedächtnis“ hängen geblieben war. Ein richtig kompakter Mann, eigentlich zu massig für einen solch schlanken Wagen. Mehr ging in der Kürze des Vorbeirasens in Dotzlar nicht. Das glich einem Versuch, in einen vorbeidonnernden Zug zu schauen. ‚Solch einem Idioten müsste man einfach den Lappen wegnehmen dürfen‘, dachte der Polizist. Fertig aus!

      Als Klaus durch Raumland Bahnhof in Richtung Berghausen fuhr und der altehrwürdige Gasthof Kunze in Sicht kam, musste er unwillkürlich an seinen Kumpel Heiner denken. Der sprudelte förmlich über, wenn er von seinen Erlebnissen in dem ehemaligen Vereinslokal der Sportfreunde Edertal erzählte. Was müssen die hier für tolle Siege mit Unmengen Pils begossen und was für bittere Niederlagen mit eben solchen Mengen hinuntergespült haben. Heiner hatte gar nicht aufgehört zu schwärmen, von diesen „glorreichen Zeiten der Edertaler“.

      Sekundenbruchteile später wurde der Beamte aus seiner Feierabendstimmung herausgerissen. Denn von rechts, vom Stöppel, kam der Porsche in die Einmündung herunter gedonnert, schnitt seinen Weg und veranlasste ihn zu einem abartigen Bremsmanöver. Während Klaus´ rechter Fuß samt Bremspedal das Bodenblech zu durchdringen drohte, er nach links auswich und nur noch auf Krachen, Splittern und Blackout wartete, röhrten die vermutlich mehr als 400 PS dieses Zuffenhausener Wunderwerkes einmal heftig auf. Und schon lag der Irre wieder über der Tempobegrenzung.

      Jetzt kam in Klaiser endgültig der Bulle durch. ‚So nicht, Kumpel‘, jagte es ihm durch den Kopf. Aus der Schockstarre schaltete er in den Jagdmodus um. Doch Vorsicht war geboten. Eine Verfolgungsjagd durch geschlossene Ortschaften – das geht gar nicht. Und bis Berghausen waren es keine 500 Meter um die nächste Kurve herum.

      Sein Dienst-Audi machte einen Satz nach vorn, als er das Gaspedal durchdrückte, während er die Kojak-Lampe aufs Dach knallte. Der Saugnapf hielt auf Anhieb.

      Eine Blaulicht-Verfolgung war zwar eher selten hier in Wittgenstein. Das erinnert mehr an Chicago-Zustände. Aber dem Polizisten war es wichtig, die Menschen auf und an der Straße zu warnen. Auch wenn er deutlich hinter der eigentlichen Gefahr herraste. Vielleicht machten Entgegenkommende ja schon vorsorglich und auf Distanz Platz. Und damit diesem wahnsinnigen Porschekutscher die Fahrbahn frei.

      Aber das reichte nicht. Auch wenn Klaiser erkennen konnte, dass auf der schnurgeraden Straße zur Ortsmitte hinauf nicht so viel Verkehr war. Schnell informierte er per Funk die Wache in Bad Berleburg über seinen Einsatz. Der PvD, der Polizeiführer vom Dienst, versprach, sofort eine Streife loszuschicken.

      Höhe Friedhof jagte der Durchgeknallte gerade wieder an zwei Vorausfahrenden vorbei, hatte aber den Gegenverkehr unterschätzt. Er musste nach rechts ausweichen. Doch auf dieser einen Fahrspur konnte so eine „Dreiernummer“ nicht gut gehen.

      Es knatschte und knallte zweimal recht fies, Reifen quietschten. Und dann rollten ein ziemlich angekratzter Mondeo und ein verbeulter Passat rechts ran. Die Fahrer waren außer sich, als Klaiser wenige Sekunden später vorbei kam. Sie waren unverletzt, stellte er erleichtert fest. Auch das gab er noch per Funk durch. Aber sie mussten jetzt auf die Kollegen warten. Denn die Verfolgung wollte er unbedingt fortsetzen. Unter seinen Rädern krachte es. Ein abgerissener Außenspiegel zerlegte sich in Fetzen.

      Dass den alten Mann mit dem Fahrrad ein paar hundert Meter weiter dieses Schicksal nicht ereilte, dafür sei der Herr im Himmel gepriesen. Klaiser hatte ihn samt seinem Untersatz im Geiste bereits fliegen sehen. Aber der Rentner stand nur wie angefroren da und stierte in die Richtung, in die der Rasende verschwunden war. Sekunden später hörte er die kreischenden Reifen hinter der Rechtskurve. Vielleicht hatte der Senior dabei ja auf ein dumpfes Aufschlaggeräusch gehofft. Doch das war vergeblich.

      Der Porschefahrer ignorierte Klaiser nach wie vor. Obwohl der nun ganz dicht an den Ort des Geschehens herangerollt war und den Wagen rechts abgestellt hatte. Aber der Hüne raste vor Wut und hatte genug damit zu tun, den Lkw-Fahrer zur Sau zu machen. Weil der, von Aue her kommend, sein Gespann nicht um die enge Biegung herum bekam. Mehrere geparkte Pkw am Wegesrand machten dieses Ansinnen noch spannender. Jetzt hätte sich ein Beifahrer einen Orden als Einweiser verdienen können. Hatte der Kranwagen-Chauffeur aber nicht.

      So bekam Berghausens Hauptverkehrsader einen Verschluss. Eine Thrombose, um im Bild zu bleiben. Samt Zufahrt zu allen Nebenstraßen.

      Für den Moment eigentlich nichts