Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
In Schillers Anthologie findet sich auch das Ludwig Schubart zugeschriebene, dem Duktus schillerscher Jugendlyrik durchaus gewachsene Gedicht Aufschrift einer FürstengruftAufschrift einer Fürstengruft: „Zurük! Hier ruhn die Erdenriesen, / Fern von dem Volk in ihrer Gruft – / Um mit dem Volk nicht auferstehn zu müssen, / Wenn einstens die Trompete ruft.“25
SchubartsSchubart, Christian Friedrich Daniel Gedicht Die FürstengruftDie Fürstengruft kann als Palimpsest von SchillersSchiller, Friedrich Schlimmen MonarchenSchlimme Monarchen gelesen werden.26 Es erschien erstmals im Frankfurter Musenalmanach auf das Jahr 1781 und wurde 1781 im Leipziger Musenalmanach sowie 1782 im Deutschen Museum nachgedruckt. Die Fürstengruft gehört zu den bekannteren Schubart-Texten. Formal ist es, wie alle Gedichte Schubarts, durchweg konventionell. Schubart teilt mit den Autoren des Sturm und DrangSturm und Drang die Verehrung für KlopstockKlopstock, Friedrich Gottlieb. Der junge GoetheGoethe, Johann Wolfgang hatte bereits am 10. Juni 1774 sein Klopstock-Bekenntnis brieflich niedergelegt, bevor er dann selbst als neue Literaturikone aufs Podest kongenialer Bewunderung gehoben wurde27: „Klopstocks herrliches Werck hat mir neues Leben in die Adern gegossen. Die Einzige Poetick aller Zeiten und Völcker, die einzige Regeln die möglich sind!“28
Will man Schubart als politisch kritischen Lyriker klassifizieren, dann zeigt der direkte Vergleich etwa mit der Feudalismuskritik in Johann Anton Leisewitz’Leisewitz, Johann Anton (1752–1806) Text Die PfandungDie Pfandung (1775) erhebliche Differenzen in den Möglichkeiten soziohistorischer Analyse und sprachlicher Direktheit. Schubarts Gedicht Der Bauer im WinterDer Bauer im Winter (1774) ist harmlos idyllisch und beschwört anakreontisch das Landleben – die Schlussfrage, zudem leicht als rhetorische Frage zu erkennen – wirkt geradezu provokant, angesichts der konkreten Nöte der Bauern in den 1770er-Jahren: „Kann wohl ein Mensch vergnügter seyn?“29 In den beiden KapliedernKaplieder (1787) wird den Soldaten und ihren Familien Mut zugesprochen. Auch wenn sie im fernen Südafrika für deutsche Interessen stürben, sei Gott mit ihnen, denn schließlich gehe es um „Ehre und Gold“30 und vaterländische Pflicht. Die konsolatorische Funktion dieser Gedichte hebt SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel in seinem Brief an den Verleger HimburgHimburg, Christian Friedrich vom 22. Februar 1787 hervor, die Gedichte seien Klagelieder, die Mut und Trost spenden sollten. In diesem Zusammenhang kann nochmals an Reiner Wilds Unterscheidung von zwei Funktionsgruppen in der Literatur im Prozess der Zivilisation erinnert werden, die stabilisierenden Funktionen und die reflexiven Funktionen von Literatur. Zu den stabilisierenden Funktionen zählen die didaktische Funktion, die gesellige und sensibilisierende Funktion, die entlastende Funktion und die erfahrungserweiternde Funktion. Zu den reflexiven Funktionen gehören die kritische Funktion und die antizipierende Funktion von Literatur im Prozess der ZivilisationZivilisation. Die didaktische Funktion von Literatur besteht in der Vorführung und Einübung zivilisatorischer Standards. Der bloße Appell in pragmatischer Literatur wird durch die Vorstellung von personal und figural gestalteten Möglichkeiten zur Identifikation in der fiktionalen Literatur ergänzt. Die Psychologisierung in der Darstellung und Gestaltung literarischer Figuren entspricht der zunehmenden Psychologisierung des Menschenbilds, wie sie Norbert EliasElias, Norbert im Zivilisationsprozess beobachtet und beschrieben hat. Die gesellige oder sensibilisierende Funktion von Literatur nennt Wild auch als die Außen- und Innenseite einer Funktion die eigentliche zivilisatorische Funktion von Literatur. Diese Funktion meint ein besonderes Merkmal von Zivilisiertheit, nämlich den Umgang mit Literatur. Daran, wie ein Einzelner mit Literatur umgeht, wird der Grad seiner Zivilisiertheit abgelesen. Die Literatur selbst bekommt die Funktion zugeschrieben, den Umgang mit Literatur als Ausdruck zivilisatorischen Höhenbewusstseins zu vermitteln und entsprechend einzuüben. Die in der Literatur vermittelten Formen zivilisatorischer Standards werden zur Messlatte individuellen Verhaltens. Die sensibilisierende, psychologische Funktion von Literatur besteht darin, die im Zivilisationsprozess vom Einzelnen abverlangte Affektmodellierung und Selbstkontrolle zu unterstützen, wobei der Begriff der Sensibilität auch „die vorbewußt bleibende Steuerung eines entsprechend sensiblen Verhaltens“31 meint und insofern die Innenseite der geselligen Funktion darstellt. Die Sensibilität betrifft eigenes Verhalten ebenso wie das Verhalten anderer. Die entlastende Funktion von Literatur nennt Wild auch die kompensierende Funktion. Damit wird deutlich, welches Gewicht der Literatur bei der Triebabfuhr im ZivilisationsprozessZivilisationsprozess zukommt. Wild beschreibt dieses Verhältnis wesentlich differenzierter und exakter als EliasElias, Norbert. Da der zivilisatorische Druck auf den Einzelnen mehr und mehr zunimmt, erfordert dies – nach Elias – auch einen zunehmenden Triebverzicht. Die affektiven Ansprüche und Bedürfnisse werden entweder verdrängt oder sozialverträglich umgewandelt. Die individuelle Selbstkontrollapparatur und die gesellschaftlich institutionalisierte Triebkontrolle „verlangt Möglichkeiten der Kompensation der unterdrückten Wünsche, durch die sie in einer Weise ‚ausgelebt‘ werden können, die den zivilisierten Umgang der Menschen miteinander nicht stört oder behindert. Eine solche Möglichkeit ist auch die Literatur“32. Die erfahrungserweiternde Funktion von Literatur besteht in der Vermittlungsleistung der Literatur von Kenntnissen über das grundsätzlich Andere, das Fremde. Diese Funktion entspringt einem vermehrten Informationsbedürfnis der Menschen als Folge der zunehmend differenten gesellschaftlichen Funktions- und Arbeitsteilung. Wild bezeichnet die erfahrungserweiternde Funktion als eine der zentralen und wesentlichen Funktionen von Literatur, da sie Einsichten, Erfahrungen, Erkenntnisse und Kenntnisse des gesamten Spektrums menschlichen Verhaltens vermittelt. Doch ist die erfahrungserweiternde Funktion mehr als bloße Informationsvermittlung, da sie in der Erfahrung des Anderen die Möglichkeit und den Appell zur Selbsterfahrung mittels Identifikation oder Kontraidentifikation mitliefert. Die kritische Funktion von Literatur gehört zur Gruppe der reflexiven Funktionen. Während nach Wild die stabilisierenden Funktionen von Literatur in der Möglichkeit gründen, menschliche Bewusstseinsformen und Verhaltensweisen abbilden zu können, konstituieren die reflexiven Funktionen, also die kritische und die antizipierende Funktion, die Reflexion des Zivilisationsprozesses in der literarisch dargestellten Reflexion der zivilisatorischen Standards. Die kritische Funktion von Literatur ermöglicht den Lesern eine distanzierende Reflexion. Die Funktion besteht also darin, dass bestimmte zivilisatorische Standards „als dem erreichten Stand der Zivilisation nicht, nicht mehr oder noch nicht angemessen dargestellt werden“33. Die antizipierende Funktion von Literatur folgt schlüssig aus der kritischen Funktion. Denn bemisst die kritische Funktion den Rahmen dessen, was noch nicht als Stand des Zivilisationsprozesses erreicht ist, so tut sie dies von einem utopischen Denken aus. Vom Entwurf her kritisiert Literatur dann die Unzulänglichkeiten des Gegenwärtigen. Die antizipierende Funktion bedeutet für Wild die „Konkretisierung der utopischen Qualität“34 von Literatur. Wollte man Wilds Funktionenmodell weiterführen, könnten die sechs Funktionsgruppen in einer einzigen, basalen Funktion der Literatur im Prozess der Literatur aufgehen, der kathartischen Funktion von Literatur, zu der dann auch die oben genannte konsolatorische Funktion gehörte.35
„Der Zweck der Dichtkunst ist, nicht mit Geniezügen zu prahlen, sondern ihre himmlische Kraft zum Besten der Menschheit zu gebrauchen“36, schreibt SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel. Damit ist zugleich sein poetisches Programm auch der 1770er-Jahre ziemlich genau beschrieben. Das Freyheitslied eines KolonistenFreyheitslied eines Kolonisten (1775) bezieht sich direkt auf die Ereignisse des Nordamerikanischen Unabhängigkeitskriegs und ist nur schwer mit europäischen, schon gar nicht mit deutschen Verhältnissen zu verrechnen. Die exotische Ferne Amerikas generiert ein Freiheitspathos, das in Schubarts Gedicht nur als rhetorische Geste angemessen zu verstehen ist. Die Worte: „Wer nicht für unsre Freyheit ficht; / Den stürzet ins Meer!“37 suggerieren zwar eine radikale Kompromisslosigkeit, die möglicherweise, gleichsam subkutan, die Frage nach der politischen Freiheit in der duodezfürstlichen Heimat mitdenken lässt, sie aber explizit nicht stellt, geschweige denn beantwortet. Eine deutliche Ausnahme von dieser Art Dichtung bildet Schubarts Gedicht Der GefangeneDer Gefangene (1782), worin der Autor seine eigene Kerkerhaft auf dem Hohenasperg schildert. Die Erfahrungen absolutistischer Willkürherrschaft – Schubart wusste ja nicht, weshalb er inhaftiert war – am eigenen Leib erzeugen eine depressive Grundstimmung, die durch