Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
---|---|
Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Anfang Dezember 1788 besuchte der Sohn Ludwig SchubartSchubart, Ludwig Albrecht Schiller in Weimar. Unmittelbar danach schrieb Schiller die kleine Erzählung Spiel des SchicksalsSpiel des Schicksals nieder, die 1789 erschien und die in der Schiller-Rezeption nahezu untergegangen ist. Der Ich-Erzähler weist explizit darauf hin, dass er von dieser Person nur aus „mündlichen Überlieferungen“10 wisse, gedruckte Quellen also auszuschließen seien. Dies ist eine geschickt gelegte blinde Spur des Autors, ermöglicht sie ihm doch gegebenenfalls, auf den Charakter des Mündlichen als einer ungesicherten Überlieferung und nicht wahrheitsgetreuen Darstellung zu verweisen und somit den Wahrheitsanspruch seiner Erzählung der Kritik zu entziehen. Immerhin war es für die zeitgenössischen Leser ein Leichtes, die erzählte Geschichte nahezu auf jeden beliebigen Fürstenhof der Duodezfürstentümer im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu übertragen. Günstlingswirtschaft, Fürstenwillkür und Machtmissbrauch sind auch die Themen der Erzählung, die ja in nahezu allen Texten des jungen Schiller vorzufinden sind. Unausgesprochen steht bei dieser Erzählung wieder die Situation am württembergischen Hof des Herzogs Karl EugenKarl Eugen, Herzog von Württemberg im Hintergrund. Obwohl es keinen Beleg dafür gibt, dass Schiller mit Bedacht auf einen realen historischen Vorfall zurückgreift, geht die Forschung davon aus, dass in der Erzählfigur des Aloysius von G*** Schillers Taufpate General Philipp Friedrich RiegerRieger, Philipp Friedrich (1722–1782) zu erkennen ist. Zunächst Günstling des Herzogs, dann durch eine Intrige gestürzt, wurde Rieger aus dem Militärdienst entlassen und verbrachte vier Jahre in Haft. Nach seiner Rehabilitierung war er von 1776 bis zu seinem Tod Kommandant auf dem Hohenasperg und damit auch für den seit 1777 inhaftierten SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel verantwortlich.11 Auch er war während seiner eigenen Haftzeit zum Pietisten und KirchenlieddichterKirchenlied konvertiert und versuchte Schubart nun (erfolgreich) zur moralischen Bekehrung zu drängen. Am 15. Mai 1782 war RiegerRieger, Philipp Friedrich gestorben, und Schubart vergab ihm großzügig seine Schikanen, konnte aber in einem Brief an seine Frau HelenaRieger, Helena vom Juni 1782 nicht unerwähnt lassen: „Ich habe bei dem vorigen Kommandanten [Rieger] viel schwere Leiden ausgestanden. Er behandelte die Menschen nicht selten wie Bestien“12. Friedrich Schiller – über den es in dem nämlichen Brief heißt: „Schiller ist ein grosser Kerl – ich lieb’ ihn heiß – grüß ihn!“13 – verfasste im Auftrag der württembergischen Generalität eine Trauerode mit dem Titel Todenfeyer am Grabe Philipp Friderich von RiegersTodenfeyer am Grabe Philipp Friderich von Riegers (1782). Auch Schubart besang in einem Gedicht den verstorbenen Festungskommandanten. Ein halbes Jahr vor Schillers Gedicht noch wurde in der Anthologie auf das Jahr 1782Anthologie auf das Jahr 1782 der Geburtstag Riegers mit dem Gedicht Gefühl am ersten Oktober 1781Gefühl am ersten Oktober 1781 gefeiert, das Schubart zugeschrieben wird. Allerdings klingen einige Zeilen darin eher ironisch als aufrichtig, wenn beispielsweise die Vielzahl der Freunde Riegers, die ihn liebten, förmlich beschworen wird. Denn Rieger war für seine Unmenschlichkeit bekannt. Nicht minder unmenschlich ist die Willkür des württembergischen Herzogs zu nennen. Die zehn Jahre Haftzeit Schubarts von 1777 bis 1787 begründete Karl EugenEugen, Karl offiziell damit, „Schubart habe es ‚in der Unverschämtheit so weit gebracht, daß fast kein gekröntes Haupt und kein Fürst auf dem Erdboden ist, so nicht von ihm in seinen herausgegebenen Schriften aufs freventlichste angetastet worden‘“14.
Schillers Anthologie auf das Jahr 1782 bedeutete primär zunächst einen publizistischen Wettstreit mit dem wenig geschätzten schwäbischen Dichterkollegen Gotthold Friedrich StäudlinStäudlin, Gotthold Friedrich (1758–1796) und dessen Schwäbischem Musenalmanach Auf das Jahr 1782Schwäbischer Musenalmanach Auf das Jahr 1782, der im September 1781 erschienen war. Untergründig aber dürfte sich SchillerSchiller, Friedrich auch stark an Schubarts Stimme orientiert und abgearbeitet haben. In der Anthologie findet sich Schillers erstes Drama, die SemeleSemele. In der Forschung wurde und wird wiederholt behauptet, Schiller habe sich bei seinem Drama auf SchubartsSchubart, Christian Friedrich Daniel Gedicht Jupiter und SemeleJupiter und Semele stützen können.15 Als Beleg dient Schubarts Vers „Der Affe gaukelte vor ihr; das Eichhorn putzte sich“16. In der entsprechenden Zeile bei SchillerSchiller, Friedrich sagt SemeleSemele zu Zeus, „mein Herz war dem geweiht, deß Aff du bist“17. Dieses Wort fällt signifikant aus der sonst stark pathetisierenden Sprache Semeles heraus. So philologisch kleinteilig diese Argumentation ist, so sehr spricht dagegen, dass zum einen die Datierung von Schubarts Gedicht äußerst unsicher ist, das Entstehungsjahr 1781 oder 1782 ist nicht nachgewiesen, sondern bloße philologische Annahme. Man müsste also spekulativ davon ausgehen, dass es schon 1779 geschrieben worden sei.18 Zum anderen spricht dagegen, dass Schubarts Text erst 1786 erschienen ist, Schiller ihn also im Manuskript hätte kennenlernen müssen, was zu diesem Zeitpunkt der Entstehung der SemeleSemele (1779/80), immerhin war Schiller da noch Karlsschüler, mehr als unwahrscheinlich ist. Ein anderes Argument, dessen sich die Befürworter der Vermutung, Schubart biete die Quelle für Schiller, bislang nicht bedienten, ist Folgendes: In Andreas Streichers Buch über Schiller berichtet der Autor, Schiller habe auf der Flucht aus Stuttgart in Enzweihingen auf einer Poststation ein Heft mit ungedruckten Gedichten Christian Friedrich Daniel Schubarts hervorgezogen und daraus vorgelesen. Um welche Gedichte es sich dabei handelte, wird nicht überliefert – mit Ausnahme der FürstengruftDie Fürstengruft. Ob diese Gedichte tatsächlich auch ungedruckt waren, lässt sich ebenfalls nicht mehr überprüfen. Fest steht jedoch, dass Schiller Schubarts Gedichte gelesen hat, allerdings war zu diesem Zeitpunkt (Schiller verließ Stuttgart, das von Schubart schon einmal als „Sklavenneste“19 bezeichnet wurde, am 22. September 1782) Schillers Semele bzw. die AnthologieAnthologie auf das Jahr 1782 bereits im Druck, der Almanach erschien im Februar 1782. „Schiller hatte für die dichterischen Talente des Gefangenen, sehr viele Hochachtung. Auch hatte er ihn einigemale auf dem Asperg besucht“20, schreibt Streicher über Schillers Kontakt zu Schubart. In einer späteren Fassung von Streichers Schiller-Buch ist nur noch von einem einmaligen Besuch die Rede.21 Schiller lernte SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel erst im November 1781 persönlich kennen, als er ihn auf dem Hohenasperg besuchte. Schubarts Sohn LudwigSchubart, Ludwig Albrecht war jedoch schon seit 1777 Karlsschüler. Nicht ausgeschlossen ist also, dass Schiller über ihn unveröffentlichte Gedichte des Vaters zu lesen bekam. Und umgekehrt, ist Schubarts Bemerkung, SchillerSchiller, Friedrich sei ein großer Kerl, vielleicht eine Reaktion auf die Lektüre der Anthologie oder auf Schillers Besuch auf dem Hohenasperg?22
In der Anthologie auf das Jahr 1782Anthologie auf das Jahr 1782 ist auch Schillers Gedicht Die schlimmen MonarchenDie schlimmen Monarchenabgedruckt. Mutmaßlich ist es um 1780 entstanden, es gehört damit in die Entstehungszeit der RäuberDie Räuber und der SemeleSemele. Das bedeutet thematisch gesehen, dass sich Schiller in dieser Lebensphase – er war ja bis Ende 1780 noch Karlsschüler – intensiv mit dem Thema der Herrschaftskritik beschäftigt hat. Die intertextuellen Referenzen, welche die Forschung ausmachen konnte, verweisen auch auf Schubarts Gedicht Die Gruft der FürstenDie Gruft der Fürsten, das zuerst in Heinrich Leopold WagnersWagner, Heinrich Leopold Frankfurter Musenalmanach auf das Jahr 1781 erschien und später unter dem Titel Die FürstengruftDie Fürstengruft nachgedruckt wurde. Schiller kannte es ja aus einer Handschrift. Die Nationalausgabe der Werke Schillers spricht sogar von einer „Abhängigkeit des Schillerschen Gedichts von dem Schubarts“23. Allerdings gehört das Thema der Fürstengruft auch zu den zeitgenössisch gängigen literarischen Motiven.
Schiller trägt seine Kritik an absolutistischer Herrschaft im Ton radikal vor. Die kritisierten Monarchen werden als ‚Erdengötter‘ und ‚Gottes Reisenpuppen‘ tituliert, die mit ‚pompendem Getöse‘ ihren ‚Spleen‘