Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Mit der Verssatire Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem JüngerenRhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem Jüngeren (1773), die von HerderHerder, Johann Gottfried postwendend parodiert wird,36 bekennt sich Merck am Ende seiner Dichterkarriere noch einmal als Poet. Die ersten acht Zeilen lauten:
„Der Herrn Poeten giebt es viel.
Zehn fehlen, Einer trifft das Ziel.
Mein liebes Deutschland hast du denn
Drey Dichter auf einmal gesehn?
Es trägt in funfzig Jahren kaum
Ein Sprößchen unser Lorbeerbaum.
Doch greift darnach ein jeder Thor
Als käms aus allen Hecken vor.“ (W, S. 155)
Nach der Poetenware frage man nicht, fährt MerckMerck, Johann Heinrich fort, um dann einige Ratschläge für junge Dichter zu geben. Man stehe früh auf, rufe die Musen an, meditiere und beginne zu schreiben:
„Streich aus, schreib drüber, corrigire,
Setz zu, schneid ab, und inserire,
Und will es gar an einem Ort
Mit der Erfindung nicht mehr fort,
So kratz dich hier, und kratz dich dort.“ (W, S. 157)
Natürlich orientiert sich Merck an SwiftSwift, Jonathan,37 doch das sind fast schon Wilhelm-Busch-Busch, WilhelmTöne, die er da anschlägt. Die Lehre seiner Satire heißt immerhin: „Und jeder kleinere Poet / Beißt immer den, der vor ihm geht“ (W, S. 162). Insgesamt unterstreicht der satirische Ton aber die innere Distanz des Autors zu seinem Medium. Dies lenkt den Blick auf poetologische und poesietheoretische Überlegungen, die Merck vornehmlich in seinen Briefen anstellt, und die möglicherweise die Frage beantworten können, weshalb Merck seine lyrische Produktion abbricht.
Mercks Gedichte sind insgesamt mehr traditionell als innovativ. Verglichen mit den marktgängigen Konkurrenten eines LessingLessing, Gotthold Ephraim, GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig, HagedornHagedorn, Friedrich von oder GoetheGoethe, Johann Wolfgang liegt es nahe, von einer Selbsteinsicht Mercks in die Unzulänglichkeiten seiner eigenen poetischen Produktion zu sprechen. Doch greift dies zu kurz. Mercks Verzicht auf eine Tätigkeit als Lyriker ist eine grundsätzliche, möglicherweise auch eine existenzielle Entscheidung. Als These könnte man formulieren: Der Verzicht Mercks, von einem bestimmten historischen Moment an weiterhin Gedichte zu schreiben, beruht auf der prinzipiellen Einsicht in die Wirkungs- und Folgenlosigkeit der Poesie. Mercks Verzicht bedeutet eine Protesthaltung gegen die Massenware seiner Zeit. Die Bedeutung der Lyrik in Mercks Oeuvre liegt vor allem in Mercks signifikanter Abwendung von der Lyrik. Der Poet Merck legt die Feder aus der Hand, ohne dass wir verlässlich wissen, worauf diese Entscheidung beruht. Vom April 1776 jedenfalls stammt sein äußerst entschiedener Ausruf: „Der Teufel hole die ganze Poesie“ (Br, S. 147). Allerdings finden sich in demselben Brief auch die beachtlichen Worte: „Wir sind doch nur in so fern etwas, als wir was für andere sind“ (Br, S. 147). Diese Koppelung des eigenen Selbstbewusstseins an die Wertschätzung durch andere führt im Umkehrschluss dazu, dass die mangelnde Wertschätzung der eigenen Poesie erheblich die produktive Antriebskraft mindert. Dieser Wandel spiegelt sich wiederum in MercksMerck, Johann Heinrich sich rapide verändernder Wertschätzung KlopstocksKlopstock, Friedrich Gottlieb.
Das führt zur grundsätzlichen Betrachtung von Mercks Poetologie. In dem fiktiven Dialog Ein Gespräch zwischen Autor und LeserEin Gespräch zwischen Autor und Leser (1780) moniert er, dass man in Deutschland so wenig an den Einfluss der Intellektuellen auf das gesellschaftliche Leben glaube (vgl. W, S. 422). In demselben Dialog plädiert er auch für eine strikte Trennung von Werk und Biografie eines Autors. Ob Fürst oder Autor, schreibt er in einem Brief, er wünsche sich von guten Menschen, für gut gehalten zu werden, ungeachtet von Amt und Ansehen (vgl. Br, S. 45). So kritisiert er etwa an dem Halberstädter Vater-Dichter GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig, er habe es nicht verstanden, dass seine Darmstädter Freunde „den Autor von dem Menschen absonderten“ (Br, S. 55). In dieser Trennung von Autor und Werk zeigt Merck übrigens eine erstaunliche Nähe zu LessingsLessing, Gotthold Ephraim siebtem LiteraturbriefLiteraturbrief (1759), worin es heißt: „Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuholen“38. Man kann diese Passagen durchaus als eine sehr frühe radikale Abkehr jeglicher biografistischen Methodik in der Wissenschaft verstehen. Mehr noch, Merck hält auch die Frage nach der Werkintention und der Wirkungsabsicht eines Kunstwerks für völlig belanglos und nähert sich damit erheblich den Überlegungen eines Karl Philipp MoritzMoritz, Karl Philipp zur Kunstautonomie in dessen Schrift Über den Begriff des in sich selbst VollendetenÜber den Begriff des in sich selbst Vollendeten (1785). So betrachtet sind Mercks poetologische Reflexionen erstaunlich modern.
Von der grundsätzlichen Befähigung seiner Landsleute zum Dichten hat Merck wenig gehalten. Über den Deutschen schreibt er in einem Beitrag für LavaterLavater, Johann Caspars Physiognomische FragmentePhysiognomische Fragmente etwa, sein lyrischer Geist wandle auf einsamem Pfad, „daher die großen oft gigantesken Gesinnungen; aber selten der helle Blick des Traumes und der lebhaften Erscheinung“ (W, S. 364). In dem Aufsatz An den Herausgeber des T.[eutschen] M.[erkur]An den Herausgeber des T.[eutschen] M. [erkur] (1777) bemerkt er kritisch über den Bildungsnotstand: „Wenn von der Literatur eines Landes die Rede ist, so fragt man nicht, wie ansehnlich die Bibliothek des Fürsten seye, sondern welche Masse von Kenntnißen unter den Privatleuten circulire“ (W, S. 374). Merck spricht in diesem Zusammenhang von der „Kultur der Kunst“ (W, S. 374), die er als ein „Stück der Sitten-Masse meiner Zeitverwandten“ (W, S. 374) begreift. Er klagt über die Geringschätzung, welche Kunst und Literatur seiner Zeit durch die Zeitgenossen erführen. Auch dies ist eine ebenfalls völlig zeitlose und somit aktuelle Klage. Dass MerckMerck, Johann Heinrich dabei einen textualistischen Kulturbegriff zugrunde legt, wonach beispielsweise ein Gemälde als Text begriffen werde und als ein Text zu lesen und zu verstehen sei, ebenso wie man menschliche Verhaltensweisen und Umgangsformen „Buchstabe vor Buchstabe“ (Br, S. 136) lesen könne,