Eine Alte Dame Ging Hering. Rich Schwab

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Название Eine Alte Dame Ging Hering
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871889



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eher auf Autofriedhöfen zusammenklaube als bei metro-music?

      Monatelange zermürbende Gruppenhydraulik hatte dann zu der Entscheidung geführt, Penner’s Radio für ein Jahr zu beurlauben. Oder so. Also den Blitz, unsere Anlage und unseren Proberaum an die Kollegen von Coppercabana Silver vermietet, im guten alten Maschinensaal der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik noch ein denkwürdiges Abschiedskonzert hingelegt, nach dem nicht nur mein Schlagzeug in Trümmern lag, noch mal gemeinsam die Kante gegeben, zwei Tage Komaland – und dann die vorläufige Endabrechnung für fünf Jahre Penner’s Radio abgesegnet (nach Begleichung aller offenen Rechnungen für jeden sechshundert Mark, sowie vierhundert Platten und zweihundert Poster, die jeder selbst zu Geld machen durfte), bevor wir uns in alle Windrichtungen zerstreuten, um auf den Serpentinen der Selbstfindung und Selbstverwirklichung ein paar Raststätten weiterzukommen. Hardnose the highway*

       3

       Karrieren

      »Dat war ’n Abschiedsgig, wa’, ’noh?« Er hockte vor mir und drehte sich meinen Schädel zurecht, um mir die Blutkruste abzuwaschen. Leider benutzte er Meerwasser dazu, und ich war nahe dran, ihm eine zu kleben, aber ich hatte keine Hand frei – in der einen hielt ich eine halb volle Pulle Rotwein und in der andern eine von diesen dicken krummen Zigaretten, die Françoise spliff nannte. Eigentlich mochte ich sie nicht sonderlich (die Zigaretten), aber sie (Françoise) hatte mich überzeugt, dass sie gut gegen all meine Wehwehchen seien. Ich fand, dass sie mich nur besoffen machten, und nahm noch einen ordentlichen Schluck Roten, um gegenzusteuern.

      »Dich kann man auch nich’ mal einen Abend alleine lassen, wie?«, knurrte er.

      »Ich war nich’ allein.«

      »Ach?«

      »Na ja – am Anfang je’nfalls nich’. Un’ dann war ich noch kurz so was hier trinken«, erklärte ich und schwenkte die Flasche Richtung Kehle. »Un’ dann kam Blondie dazu.« Ich begann darüber nachzugrübeln, wie das Treffen überhaupt abgelaufen war.

      »Mach’s nich’ so spannend, Büb!« Ich zuckte mit den Schultern. Autsch!

      »Ich glaub’, er mag unsre Musik nich’. Er meint, wir würden ihm und seinem Rauschgoldengel das Geschäft versauen. Ich sag’ ihm, dass mich sein Geschäft nich’ interessiert, ein Wort gibt das andere …«

      »Un’ dafür schlägt er dir den Schädel ein?«

      »Na ja – er schreit reichlich rum un’ geht mir auf’n Sack, deswegen setz’ ich ihn draußen in den Blumenkasten vorm Boubou. Dann kommt er ziemlich sauer wieder rein und meint, wir sollen uns ’nen andern Platz suchen und schlägt so was wie Auschwitz vor. Daraufhin schlägt – eh, ich weiß nich’ mehr, wie sie hieß –, ihm vor, sich zu verpissen. Er gibt ihr ’n paar unfeine amerikanische Namen, un’ sie haut ihm ihre Crêpe Niçoise in die Fresse. Mit Teller. Er scheuert ihr eine, ich sag’ ihm, das reicht, und er –«

      »Meinste, damit kriegste deine Erbsenprinzessjen endlich rum? Mit Blumenkinder verhauen?«

      »Das waren keine Blumen – das war ’n Stilett. Un’ außerdem woll’n wir beide uns doch wohl nich’ unsere – eh …, Urlaubsbekanntschaften vorhalten …« Ich warf einen Seitenblick auf Françoise, die auf einer Bastmatte zwei Meter weiter im Lotussitz neben dem schnarchenden kleinen Frankfurter hockte und sich die meterlangen Haare frottierte. Sie strömte einen Moschusduft aus, dass ich mich wunderte, noch keine Büffel antraben zu hören. ’noh schnüffelte und grinste.

      »Immerhin hat mir meine heute Mittag nach meinem kleinen Solokonzert in St. Raphael genug Zlotys für’n Abendessen eingesammelt. Ohne Tamburin.« Ich schielte fragend an ihm hoch. »Und ohne Oberteil,« fügte er achselzuckend hinzu.

      »Und was hast du gesungen?«

      »So – fertig,« verkündete er und erhob sich. »Siehs’ wieder halbwegs menschlich aus. Wenn du bis heut’ Abend wieder nüchtern bist, laden wir dich ein.« Ich stöhnte. Schon wieder Saufen?

      »Zum Essen!« Ach so.

      »Und was hast du gesungen?« Er nahm seine Klampfe und schüttelte eine Art Doobie Brothers-Riff aus dem Ärmel. Dann räusperte er sich und gab mit Falsettstimme When You’re In Love With A Beautiful Woman zum besten, die Nummer, mit der Dr. Hook letztes Jahr in die Hitparade geraten waren »Ach du Scheiße – kann man sich in St. Raph’ auch nich’ mehr blicken lassen! Langer Weg vom Freaker’s Ball bis dahin …« Aber er ließ sich nicht stören. Gitarre spielen konnte er ja, das musste ich ihm lassen.

      ***

      Deswegen hatte er ja auch so wohlgemut die Pause von Penner’s Radio angetreten – es hatte ja tatsächlich schon ein paar von den EMI-, OMI-, IMI- und ATA-Talentscouts gegeben, die was von ihrem Job zu verstehen schienen und ihn für ihre jeweilige Firma abzuwerben versucht hatten. Aber jedes Mal hatte er abgewinkt, wenn sie nicht bereit waren, unsere gesamte Kapelle unter Vertrag zu nehmen – obwohl es ihn schon schwer gereizt hatte:

      »Da oben am Front-Mikro stehen, Büb, ’ne Platin-Platte im Rücken, weltweit, versteht sich, ’ne Riesenhalle voll kreischender Fans …! Du singst, und die Mädels machen sich nass, un’ dann spielste ’n Solo, un’ die Jungs machen sich auch nass… un’ dann machste noch mal einen einzigen Benefiz-Gig – im Wembley-Stadion zum Beispiel –«

      »Wembley? Benefiz? Für wen – die Queen?«

      »Wat weiß ich, für wen – die Pest in Indien, Demokratie in Russland, Hunger in Afrika, datt die Berliner Mauer fällt, ejal! Un’ dann da oben, im Duett mit Tina Turner …!«

      »’noh – die is’ doch schon lang in der Versenkung –«

      »Die kütt widder, Büb! Die kütt widder! Un’ ich sing’ mit der! Un’ Millione’ luuren zo! Dä Fernseher! Weltweit! Wie beim Ali jejen Frazier! New York! Rio! Tokio!«

      »Un’ Esch, Pesch, Wiggepesch! Wie alt willste weede, ’noh, öm dat ze erlääve – nüngßisch? Hundertveezisch?«*

      »Wart’s ab, Büb! Du wirs’ noch von mir hören!«

      ***

      Ich hörte von ihm – ein paar Monate später, ich war schon in München. Ich guckte mir einen dieser Fernsehkrimis an, die ablaufen, als seien sie von der Berufsberatungsstelle des BKA gesponsert. Der kleine dicke Inspektor hatte den Mörder eingeliefert und machte die letzten stimmungsauflockernden Witzchen mit seiner frischgeföhnten Frischverlobten, und ich wollte gerade abschalten, als nach ein paar bei Rachmaninov geklauten Klavierakkorden eine Stimme erklang, die mir schwer bekannt vorkam. Eine Ballade, nach der sich meine Schwägerin, Schaltertante bei der Raiffeisenbank Opladen, garantiert am nächsten Morgen bei Radio Nord erkundigt hatte: »Dat lief doch jestern in dem Film! Janz am Schluss! Un’ im Refräng singk der so unjefähr Änt venn se wummen trietz him reit, se mähn känn ßieh se scheining leit* …« Und darüber lief der Abspann, und nach dem zweiten Refrain blendeten sie aus – und wenn die paar Töne E-Gitarre, die man irgendwo zirpen und im Hall absaufen hörte, von unserm Veedelnoh gespielt waren, würde ich Heiligabend in einem Bett im Kornfeld verbringen.

      Mit derselben Ballade, die inzwischen im Musikmarkt auf Platz vierundvierzig rangierte, Pfeil nach unten, und einer fröhlicheren Nummer zum Mitklatschen (Show me where the sun is and I show you where the fun is*) sah ich ihn dann drei Wochen später in der Tele-Rundschau – sie hatten ihn zum Friseur und in Karstadts Young Fashion-Abteilung geschickt, ihm seine Gitarre weggenommen, seine eigenen Songs in die Tiefkühltruhe geschmissen und ihm zwei Stunden bei Rex Gildos Schauspiellehrer spendiert, inklusive Sonnenbank, und als er das Brötchen in der Frisur der Moderatorin küsste, die