Eine Alte Dame Ging Hering. Rich Schwab

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Название Eine Alte Dame Ging Hering
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871889



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an.

      »Der Zak? Der fährt nich’ mehr – is’ jetz’ Sannyasin un’ arbeitet in der Bhagwan-Disco«, erklärte er mir mitleidig. Bhagwan-Disco? Der Zak Sanny– ja wo simmer dann he? Demnächst vielleicht noch ein Kinopalast so groß wie die Sporthalle? Ein Museum mit goldenen Dächern? Die Südstadt ein Touristenzentrum? Eigentumswohnungen im Stollwerck?* Parkausweise für Anwohner? Ein privater Radiosender, von Werbung für Autohäuser, Sonnenstudios und Mundart-Pop finanziert? Ein Fernsehsender womöglich – mit Anna Mingdroppe als Moderatorin? Marius Müller-Westernheld im Müngersdorfer Stadion und Heinz der Fiedler im EMI-Studio? Nikotinfreie Zigaretten? Alkoholfreies Bier? Und die Stadt-Revue bringt für all die Blindgänger ein Sonderheft raus – Poppe, Suffe, Kaate en Kölle – Rund öm de Uhr … ???*

      »Fahr mich zum Exodus, aber schnell!« Ich hatte einen Brand, als hätte ich das Sechs-Tage-Rennen schon hinter mir. Meine nächste Bestellung würde wahrscheinlich lauten: Fuffzehn Jespritzte un’ ene Meter Bier …*

      ***

      Ich kam gar nicht zum Bestellen.

      »Dä Büb!« schrie Veedelnoh und fiel mir von seinem Hocker runter in die Arme. »Leckensamarsch! Wat mähs du dann he? HELLJAA! STOFF! Dä Büb es widder do! Dä Kanaldeckel’s Büb!«* Dafür, dass wir uns letztes Jahr mit einem ziemlichen Krach getrennt hatten, fiel die Begrüßung wirklich freudig aus.

      »Wat es, ’noh – wor nix met Hitparade?«

      »Halt bloß die Fress’, do Sackjeseech! He – suff!«*

      Bevor wir überhaupt weiterreden konnten, hatte ich schon anderthalb Promille im Kopp. Dann erzählte er mir voller Abscheu und Zorn, was sein Ausflug ins Big Business der Popmusik ihm eingebracht hatte. Sie hatten ihm das Blaue vom Himmel herunter gelogen, ihm das Fell über die Ohren und ihn über alle Tische gezogen und dann mangels Erfolg fallen lassen wie eine bepisste Unterhose. Aber er hatte schon wieder neue große Pläne – jetzt würde er alles ganz anders machen:

      »Isch nemme ming Schrumm, fahre an die Côte d’Azur un’ spille op dr Strooß. Büb, dat is et! Zwei Stund’ – ach wat: ein Stund Arbeit am Daach, kilowies Schotter, immer jet ze suffe un’ Wiever, Wiever … ! Un du fährs’ mit! Büb, mir zwei! Cannes! Nizza! Sang Tropez! Monte Claro! Un et janze Johr Sommer!«

      »Du Jeck, ich kann doch jaanit Jitta’ spille!«

      »Bring’ isch dir bei, Büb! Bring’ isch –«*

      »Klasse! Und ich komm’ euch dann im Urlaub besuchen …« Von links schob sich Lucky Luke in mein Blickfeld. Er kam gut raus bei dem Ausschnitt in dem hautengen schwarz-silbernen Oberteil. So’ne Tätowierung konnte sich auch nicht jede Frau leisten – drei Zentimeter über der linken Brustwarze. »Im Hotel de Paris vielleicht?«

      »Jute Idee«, brachte ich heraus, nachdem ich mich zweimal geräuspert hatte, »Tach, Kathrinchen. Schön, dich zu sehn.« Ich beugte mich runter und gab Lucky Luke einen langen, warmen Kuss, was dem Resonanzkörper hinter ihm ein tiefes Gurren entlockte. Wir konnten alle drei noch nicht wissen, dass dies ihr letzter Sommer sein würde.

       1

       Anton I

      Der dicke, über und über mit lockigem grauem Pelz bewachsene Mann stöhnte noch einmal, dann half er der Frau galant von ihm herunterzuklettern. Automatisch griff er nach der halbgerauchten Zigarre, die in dem schweren Bronzeaschenbecher auf dem antiken Nachtschränkchen lag. Ein dünnes Rauchfädchen stieg von ihr auf. Früher waren die kalt, bis ich fertig war, dachte er einen Augenblick bedauernd, aber dann siegte die postkoitale Wohligkeit: Er hatte doch gehabt, was er brauchte. Er kriegte doch immer, was er brauchte. Genüsslich zog er an dem dicken Stumpen einer Cohiba Robusto und betrachtete eine Minute seine Frau, die sich mit einem schwarz glänzenden Vibrator ihren Teil holte. Liebevoll legte er seine freie Hand auf ihren sonnenbankverbrannten Busen und knetete ihn ein wenig. Nun stöhnte auch sie. Eine Welle von Zuckungen ging durch ihren ganzen Körper. Sie schaltete den Dildo aus, behielt ihn aber in sich, drehte sich zu ihrem Mann um und drückte seine Hand.

      »Jetzt erzähl«, sagte sie heiser, schwer atmend.

      »Eine Million«, stieß er hervor, zusammen mit einer schweren Rauchwolke. Seine Frau stützte sich auf einen Ellbogen und sah stirnrunzelnd auf ihn herab.

      »Is’ ja schön, dass du diesmal auf mich gewartet hast, aber jetzt brauchst du mich nicht mehr auf die Folter zu spannen. Eine Million was? Zuschauer? Eintrittskarten? Totogewinn?«

      »Ablöse«, hustete er, »der jottverdammte Kaaskopp soll eine Million kosten!« Sie schnalzte beeindruckt mit der Zunge. »Und dabei hat der selber noch nisch’ mal Interesse! Aber der Barcelona –«, Barzelona, sagte er, »– is’ bereit, den zu verticken – für eine jottverdammte Million!«

      »Nich’ aufregen, Anton«, besänftigte sie ihn, »denk an deine Pumpe, gerade jetzt!« Anzüglich zupfte sie an seinem verschrumpelten Glied.

      »Nisch’ aufrejen!«, polterte er, »dat is’ mein Traum! Den Mann in meinen Verein holen! Mein Vermäschtnis! Den Weltfußballer des Jahres! Un’ isch hol’ den zum FC! Mach misch unsterblisch!«

      »Noch nie hat ein deutscher Fußballverein eine Million für einen Spieler bezahlt, Anton.«

      »Na un’?! Umso fetter werden die Schlagzeilen! Mit meinem Namen! Un’ wir werden Meister!! UN’ DER WILL NIT!!«

      »Ist es da nicht praktisch, dass wir seinen Schwiegervater ganz gut kennen?« Abrupt richtete er sich auf, wodurch sein Kopf noch violetter wurde.

      »Martha! Du – Menschenskind, du Joldstück von einer Frau! Der Eimermacher! Dä Jütt! Datt isch da nisch’ drauf jekommen bin … !« Er drückte sie an sich. Sie stöhnte, weil er dabei den Vibrator wieder ein Stück weiter in sie hineinschob. »Dat is et! Wenn der Alte sagt: Du jehs’ zum FC, dann jeht der! Un’ schon hammer’n! Mensch, Liebschen! Dä Pokal!« Er küsste sie heftig, und als sie seinen Kuss erwiderte, griff er nach unten und drehte ihrem schwarzen Freund die Batterie wieder an. Sie schloss die Augen und wand sich. Das hatte sie sich jetzt verdient. Hoffentlich brauchte sie nicht wieder so lange, er musste dringend telefonieren. Und eine Portion Sand aus dem Getriebe schippen.

       2

       Irgendwo im Sand

      Anscheinend lag ich irgendwo im Sand.

      Die Sonne brannte mir wie blöde auf den summenden Schädel, meine Zunge fühlte sich an wie ein in alten Senf getunkter und ausgetrockneter Schwamm, und meine Lider streikten. Ich versuchte blind mich aufzusetzen und griff erst ins Leere, dann auf kochend heißes Autoblech. Das öffnete mir die Augen. Ich kniff sie sofort wieder zu. Diese Welt war zu hell für mich.

      Und zu laut – ein paar Meter weiter balgte sich ein Haufen französischer Blagen um einen Wasserball, hinter mir plärrte ein Kofferradio was von J’aime l’été* oder was immer diese hiesigen Piepsmiezen so lieben, auf der Uferstraße über mir knatterte der nie endende Verkehrsstrom, das Mittelmeer rauschte, die Möwen krächzten, und in meinem Schädel brummte es wie in einem ’64er Dynacord-Verstärker. Ich beschloss, ganz schnell hier weg zu müssen.

      Nach höchstens einer Viertelstunde hatte ich es geschafft – ich saß ziemlich aufrecht und hatte den Durchblick. Es war das Stück Strand, wo wir unseren alten Taunus-Kombi geparkt hatten, mit viel Glück unter einem Platanenpärchen, das der Karre am späten Nachmittag soviel Schatten spendete wie ein Knirps. Ein Knirps