Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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      »Hat der denn hier verloren?«, murmelte ich Pfundig ins Ohr, während ich ihn umarmte und ihm ein paar Männergruppenklapse auf den Rücken gab.

      Dr. Dr. Dietmar Dörmann hatte mehr Gesichter als Graf Ferrarys berühmte Briefmarkensammlung, wenn auch eventuell nicht ganz so viel Kohle wie jener – allein die Versteigerung dieser Sammlung hatte dem französischen Staat in den Zwanziger Jahren sechs Millionen Goldmark eingebracht.

      ’Ne Weile her, dass wir miteinander zu tun hatten. Also Dörmann und ich, nicht Ferrary. Er war Brittas Bruder, und was er mit der in ihrer Jugend angestellt hatte, war alles andere als schön. Jedenfalls nicht für sie. Immerhin hatte er mir vor zehn Jahren geholfen, sie aus den Händen ein paar mieser Kidnapper zu befreien.

      »Wirst’s net glau’m«, sagte Pfundig und verpasste mir seinerseits gleichzeitig einen Schmatz auf die Wange und einen Leberhaken. Na ja, er war in einer bayrischen Männergruppe gewesen. Mittlerweile war er hauptberuflich Präsident seines eigenen kleinen, aber feinen Musikimperiums – nachdem er in den Siebzigern mit dem Buchen von Auftritten für Sallinger, den ewigen bayrischen Lokalmatador, ein Händchenvoll Geld gemacht hatte, war es ihm gelungen, noch mehr Händchen zu beweisen, indem er eine Truppe von Rock-Komikern aus Österreich für den deutschen Markt entdeckt und so geschickt aufgebaut hatte, dass sie Stammgast in der ZDF-Hitparade waren und er sich seit fünf Jahren den Spaß leisten konnte, nebenher das Booking für Penner’s Radio zu machen; er hatte uns sogar aus unserem beschissenen Bierdeckelvertrag mit der Münchener Konkurrenz rausverhandelt, und dank seiner Rührigkeit, seiner Kontakte vom Feinsten und seiner Loyalität seinen Künstlern gegenüber schien unsere letzte Platte sogar ein bisschen was für uns abzuwerfen – im Land der Neuen Deutschen Welle beileibe keine Selbstverständlichkeit.

      »Wieso?«, fragte ich.

      »Glei’«, sagte Pfundig, stand auf und klopfte mit einem Kaffeelöffel an seine Tasse. »So, Leit’«, sprach er die ganze Runde an, »jetzt sind wir wohl alle vollzählig, erst mal zumindest. Wie ich eben erfahren hab’, wird der Rothenberger es heut’ wohl nimmer her schaffen. Und ’s Management vom Broth hat a Fax g’schickt, in dem alles drin steht, was sie wie geregelt haben woll’n. Schätze, da wer’ma später noch drauf kommen – des sind neun Seiten.« Geringschätziges Gelächter um den Tisch herum. »Für den Fall, dass ihr euch eh net alle scho’ kennt, werd’ ich mal kurz die Vorstellung übernehmen. Also …«

      »Nette Runde«, sprach Veedelnoh aus, was ich gerade dachte, und verzog das Gesicht, als hätte er gerade ein warmes belgisches Kirschbier auf Ex getrunken.

      »Wolltest ja unbedingt mit«, erwiderte ich.

      »Mh, weil du ja immer gleich alles wieder vergisst, was bei solchen Konferenzen Wichtiges verhandelt wurde, Büb.«

      »Pah.«

      »Büb!«, ermahnte mich Pfundig. Womit ich dann auch schon, nein, nicht vergessen, aber verpasst hatte, wer die beiden Gestalten am anderen Ende des Tischs waren, die aussahen, als seien sie von einer altbayrischen Trachtengruppe ausgeschickt worden, um mal Bericht zu erstatten, wie es in der Kulturszene Preußens so zuging. Wie sich herausstellte, saßen sie beide im Stadtrat von Scherdorf, der zuständigen Kreisstadt für Pöckensdorf und alles, was dort genehmigungspflichtig war. Falls es dort irgendetwas gab, das nicht genehmigungspflichtig war.

      Pfundigs Konferenztisch war ungefähr so groß wie die meisten Bühnen, auf denen wir spielten. Er stand im Innenhof eines Hinterhauses in Haidhausen, umgeben von Hydrokulturbäumchen und überspannt von einem grünlichen Glasdach. Wir alle sahen aus, als säßen wir in einem Riesenaquarium. Auf dem Tisch gab’s ein paar schwere Aschenbecher, Unmengen von niedlichen grünen Wasserfläschchen, ein paar verchromte Thermoskannen und Kaffeegeschirr, Schälchen mit Obst und Keksen, eine Karte vom Kreis Scherdorf und eine Menge Papierkram. Eine Menge Papierkram.

      Kein Bier.

      Noh und ich guckten uns an und nickten. Siehste, sagten unsere Blicke. Er klappte seinen Rucksack auf und holte ein paar Büchsen heraus. Der kluge Mann baut vor. Zisch.

      »Büb«, sagte Pfundig noch einmal.

      »Ja, ja, ich hab’s mitbekommen – Herr Janssen vom bayrischen Innenministerium. Prost, Herr Janssen.« Herr Janssen nickte gnädig. Die junge graue Maus neben ihm, die uns die ganze Zeit mit halb offenem Mund angestarrt hatte, sah daraufhin ihn an und begann dann hektisch, Notizen in einen Spiralblock zu kritzeln – exotisch, wenn nicht gar verdächtig aussehende Musiker trinken Bier; Janssen nickt …? Sicher würde sie spätestens morgen Mittag unsere Lebensläufe vor sich liegen haben.

      »Möchten Sie auch eins, Frollein?«, fragte Veedelnoh, als sie zwischendurch zu ihm hoch schielte. Sie schüttelte so heftig den rot gewordenen Kopf, als hätte er ihr angeboten, gemeinsam Herrn Janssens trotz offensichtlichen Festbügelns leicht verrutschtes Toupet zu bepinkeln, und konzentrierte sich fortan auf ihren Block.

      »Xaver ist für’s Catering zuständig«, sagte Pfundig gerade. Ich prostete auch Xaver zu; den kannten wir schon seit Jahren, von unzähligen Festivals. Er grinste mich breit an, breit wahrscheinlich in mehrerer Hinsicht, und grinste noch breiter Veedelnoh an, der ihm ein Bier rüber warf.

      Alle sind käuflich im Showgeschäft.

      Weiter ging’s im Uhrzeigersinn. Anwesend waren noch die Vertreter dreier großer Plattenfirmen, zweier mächtiger Musikverlage und des Bayrischen Rundfunks, ein Herr von der ARD und je eine Dame von WDR und ZDF, die Vertreter von drei Bands, die man wohl ohne weiteres auf der Top Act-Liste finden würde, der Konzertveranstalter Franjo Homburg und zwei Vertreterinnen der Bundes-Grünen. Ebenfalls aus Scherdorf kam ein Pärchen von der Scherdorfer Anti-Atomkraft-Gruppe – zwei Freaks, die schon seit fünf Jahren in Pöckensdorf ein Anti-Atom-Festival organisierten –, während drei weitere Freaks in Sachen Licht und Ton aus Hamburg, Frankfurt und Köln angereist waren. Wo Dörmann inzwischen wohnte, wusste ich nicht; vielleicht immer noch in seinem Wasserschloss bei Wiesbaden. Aber mehr interessierte mich eigentlich auch, wieso er hier war.

      Die Intelligenz ist ja nur das Vorzimmer unserer wahren Persönlichkeit, hatte Manuel Réja schon 1907 in »Die Kunst der Verrückten« geschrieben, seinem Standardwerk der Psychopathologie. Ich wusste nicht, ob Señor Réja noch lebte, aber weiter als in Dörmanns Vorzimmer schien er es bei seinen Recherchen nicht geschafft zu haben – dahinter sah es eher aus wie in Opa Klütschs ehemaligem Werkzeugschuppen: voller Staub und Dreck und Schmiere und Taubenkacke und Spinnweben und toten Fliegen, Asseln und Mäusen, und es stank nach Verwesung, nach Farbresten, Terpentin, Öl, Benzin und alten Gummischläuchen und Fahrradreifen, nach abgestandenem Rauch, feuchtem Mörtel, Schimmel und Schwamm. Nach Schwarzem Mann und nicht nachvollziehbaren Strafmaßnahmen, nach Gemeinheiten, Schrecken, Schmerzen und Tränen.

      Klar war Dörmann intelligent, in hohem Maße, aber wahrscheinlich hatte er es auch schon seit dem ersten Kindergartenwettbewerb »Wer malt das schönste Christkind?« auf den Tod nicht ausstehen können, bei irgendetwas Zweiter zu sein, egal was es war. Es ist ja die Sorte Mensch schon schlimm genug, die meint, ständig überall dabei sein und überall und zu jedem Thema mitreden zu müssen – aber wenn jemand dann auch noch an Logorrhoe leidet, der Laberkrankheit, und darüber hinaus von keinem Zweifel beschattet ist, er könne nicht von allen am besten Bescheid wissen, er sei es, der auf jeden Fall und immer recht habe … Ich konnte ihn jedenfalls nicht leiden; von den unappetitlichen Einzelheiten seiner familiären Vergangenheit mal ganz abgesehen.

      Aber er war hier und heute so ganz in seinem Element. Irgendeine Arschgeige aus den oberen Stockwerken der Polit-Hierarchie hatte anscheinend auf den letzten Drücker die gloriose Idee gehabt, der Dörmann, der habe doch schon vor ein paar Jahren so hervorragende Arbeit als Organisator der Kasseler Rock gegen Rechts-Festivals geleistet. Und dann noch die zwei Doktortitel – also war er quasi der Mann für ein so heikles Unternehmen wie das Paaf!.

      Und wir hatten ihn am Hals.

      Einem bereits nach einer halben Stunde ziemlich dicken Hals, und das galt nicht mal nur für mich.

      Die Leutchen von der Scherdorfer Festivalgruppe waren sauer, weil ihnen