Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Skrupellose - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445015



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bewegte.

      Ein Kind, dachte er träge. Dann aber sah er, dass es ein Tier war, erblickte eine spitze Schnauze und zwei glänzende Augen. Er reckte den Hals und versuchte mehr zu sehen.

      Die Frau öffnete eine Dose Bier, die überschäumte.

      »Mein Baby«, sagte sie und schaukelte den Wagen ein wenig. Die Schnauze verschwand zwischen den Lumpen.

      Sie reichte ihm die Dose, und er trank vorsichtig einen Schluck. Er hatte schrecklichen Durst. Dann musste er sich aufrappeln und ein wenig zur Seite gehen. Er pinkelte an die Wand. Vor ihm war schon jemand an dieser Stelle gewesen, er sah einen Haufen Kot und Papier.

      Als er sich wieder umdrehte, sah er, dass die Frau aufgestanden war. Sie trug eine schwarze Jeans, die über den Knien aufgerissen war. Ihr Bauch stand vor, als wäre sie schwanger. Ein grober Strickpullover hing herab und verbarg ihre schmächtigen Schenkel. Mit zitternden Händen steckte sie sich eine Zigarettenkippe an und begann augenblicklich zu husten.

      »Setz dich«, brummte einer der Männer, er hatte linkisch gestochene Tätowierungen auf den Händen. »Victoria, nun setz dich schon hin, verdammt, du wirst dich noch erkälten.«

      Sie wandte sich ihm zu, stand schwankend in der Dunkelheit.

      »Gib ihm mehr Bier«, sagte sie gellend. »Er kann es gebrauchen, er hat eine Tracht Prügel bekommen. Hast du eine Tracht Prügel bekommen, Daniel? Wer ist so gemein gewesen und hat dich derart vermöbelt? Einen so lieben und hübschen Jungen wie dich.«

      »Ach, das ist halb so wild.«

      Sie kam zu ihm, kam nahe heran, roch nach Fisch und Rauch.

      »Wir setzen uns hin, verdammt, so ist es gemütlicher, gemütlicher für uns alle.«

      Sie zog ihn zu sich herab, klopfte auf die Zeitungen. »Setz dich, du darfst bei mir bleiben.«

      Eine seltsame Ruhe breitete sich sachte in ihm aus.

      Der Mann mit den Tätowierungen zog eine Flasche heraus und reichte sie schweigend weiter. Daniel trank. Es brannte wie Pfeffer in seiner Kehle, und er musste sich etwas hinlegen. Ihm wurde erneut schwindlig, die bohrenden Kopfschmerzen meldeten sich wieder. Victoria ordnete ihre Haare. Er fror ein wenig, und ihm war schlecht, er kauerte sich zusammen, zog Arme und Beine an den Körper.

      »Was ist das für ein Tier?«, flüsterte er.

      »Was denn, meinst du die Ratten oder die Tauben? Oder vielleicht die Läuse, denkst du eher an sie?«

      »Ich meine in dem Wagen.«

      »Ach so, das ist Sally, sie ist mein Baby, mein Kind.«

      »Ich habe euch manchmal gesehen«, flüsterte er, war aber nicht sicher, ob einer von ihnen es hörte. »Wohnt ihr hier?«

      »Ja, wir wohnen hier in der Säulenhalle.«

      Die Frau hatte angefangen zu singen. Sie hatte eine heisere und melodische Stimme, ihre Finger kraulten seine Haare.

      Er musste eingeschlafen sein, hörte dann aber das Geräusch einer rollenden Büchse. Sein Kopf lag direkt auf dem Steinboden, neben seiner Wange war Stoff. Die Frau lag da wie tot.

      »Hoch mit euch!«

      Daniel öffnete die Augen und setzte sich auf.

      »Ihr könnt hier nicht bleiben. Haut ab!«

      Er hörte das Geräusch fließenden Wassers, das Flattern von Flügeln, ein knatterndes Donnern, das immer lauter wurde. Die Tauben.

      Er musste wieder pinkeln und beugte sich über die Tüten, er fühlte sich schlapp. Die anderen blieben liegen, wie ein Haufen alter Stofffetzen. Langsam erwachten die Lumpen zum Leben und begannen, sich zu rühren.

      Ich will nicht, dachte er, hätte aber nicht sagen können, was er damit eigentlich meinte. Vicoria wankte zur nächstgelegenen der breiten Säulen, die über den ganzen Platz verteilt waren, zog ihre Jeans herunter und ging in die Hocke. Er sah ein Stück ihres mageren, graubleichen Pos.

      »Hör mal, verdammt!«, rief einer der Männer im Overall und richtete den Wasserschlauch in ihre Richtung. Sie blieb in der Hocke, bis sie fertig war, und kehrte anschließend mit einer Art stiller Würde zurück. Ihre Hände, ihr ganzer Körper zitterten vor Kälte.

      Er dachte, dass er sich davonstehlen musste. Sie durften ihn nicht sehen, ihre Augen würden ihn festhalten und verhindern, dass er sie verließ. Er stand mit seinen beiden Tüten da und rührte sich nicht.

      »Verdammt, was macht ihr hier nur für einen Dreck jede Nacht«, rief der Mann mit dem Wasserschlauch. Keiner von ihnen erwiderte etwas, an Vorhaltungen dieser Art waren sie sicher gewöhnt, hörten wahrscheinlich überhaupt nicht mehr hin.

      »Aber das wird bald ein Ende haben«, fuhr der Mann fort. »Bald bleibt es uns erspart, eure verdammte Scheiße wegzuspülen, wisst ihr das eigentlich? Das Ganze hier wird zu einer Einkaufsgalerie umgebaut. Ich freue mich schon richtig darauf, wenn hier gründlich aufgeräumt wird. Das hätte man schon viel früher machen sollen.«

      Der Mann mit den Tätowierungen hustete. Er schüttelte sich, vergrub die Hände in den Taschen, setzte sich in Bewegung. Widerwillig folgten ihm die anderen. Victoria öffnete den Mund, ihr fehlte ein Zahn, das war ihm vorher gar nicht aufgefallen. Sie gähnte ausgiebig und traurig und reckte sich nach dem Kinderwagen.

      Plötzlich begann sie zu deklamieren:

      »So treibt es uns, verlorene Seelen, von Lagerstatt zu Lagerstatt, nichts wissend von der nächsten Rast und von der Reise Ziel.«

      »Gedichte kannst du woanders aufsagen! Haut jetzt endlich ab!« Das Wasser spritzte in kleinen harten Tropfen vom Boden auf. Victoria erhob die Stimme und breitete die Arme aus.

      »Wisse, hier wechseln Nacht und Tag, schwerer Abend und mächt’ger Sonnenaufgang, und dass unsere Reise mal kurz erscheint, mal unbarmherzig lang.«

      »Wenn ihr einen Sonnenaufgang sehen wollt, müsst ihr rausgehen«, sagte der Mann mit dem Schlauch. »Hier unten gibt es verdammt noch mal keine Sonne, nur jede Menge Dreck und Müll.«

      Daniel blieb stehen und sah sie davongehen. Victoria schob den Kinderwagen, der Tätowierte zündete sich eine Zigarette an. Sie drehten sich nicht um, forderten ihn nicht auf, sie zu begleiten, schienen ihn vergessen zu haben. Er hob seine Tüten an, die eine war am Boden feucht geworden. Einer der Männer hob seinen Schlauch wie eine Waffe und zielte direkt auf Daniel.

      »Das gilt auch für dich!«

      »Okay, verdammt, ich habe schon begriffen«, sagte er leise. Die eine Tüte an die Brust gepresst schlich er zur Treppe.

      12. Kennet

      Es ging leichter, als er sich das jemals vorgestellt hätte. Das Schicksal meint es gut mit mir, schoss es ihm durch den Kopf, und der Gedanke stimmte ihn fast schon fröhlich. Das Mädchen lag in dem Kinderwagen, war allein und schlief.

      Sie lag da wie bestellt.

      Sie wollten ihr ja auch gar nichts antun. Im Gegenteil. Die Kleine würde es in Zukunft viel besser haben. Wie sie dort lag, glich sie einer Puppe mit dichten Wimpern. Ihre Wangen glühten wie auf einem billigen Druck, der ihm aus seiner Kindheit in Erinnerung geblieben war.

      Sie war so feingliedrig.

      Als er behutsam den Arm unter ihren Rücken schob, zuckte sie zusammen und wurde langsam wach. Er legte ihr die Hand auf den Mund und sah, wie sich ihre Augen vor Überraschung und Entsetzen weiteten.

      Da nahm er sie in den Arm und lief los.

      Sie wehrte sich kaum, was ihn im Nachhinein wunderte. Er öffnete die hintere Tür und legte sie auf die Rückbank, zog ihr Kleid ein wenig nach oben und presste die Nadel der Spritze kurz über dem Knie in ihr Fleisch. Daraufhin gab sie einen kurzen, krächzenden Schrei von sich, aber nicht laut, niemand außer ihr selbst konnte ihn hören. Ihr Bein zuckte ein wenig, aber nur schwach, sodass es ihm gelang, die Spritze festzuhalten, bis sie