Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Skrupellose - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445015



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und sorgte sich um ihn.

      »Du machst dir zu viele Gedanken, Liebling. Wir tun diesem kleinen Wesen einen Gefallen. Das haben wir doch von Anfang an gesagt, hast du das etwa vergessen? Wir ziehen einen Schlussstrich unter alles, was früher gewesen ist. Wir fangen jetzt von vorn an, du und ich und das Kind. Bei Null! Wir fahren nach Gällviken und werden eine große, gesunde Familie.«

      Sie schenkte Cidre in ihre Gläser und prostete ihm zu, als wäre es Champagner.

      »Da fällt mir ein, wir müssen ihr noch einen Namen geben, was meinst du, wie könnte sie ihrem Aussehen nach heißen?«

      Er mühte sich redlich, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, Freude zu empfinden.

      »Wir haben Mai!« Sie holte einen kleinen, roten Kalender heraus und blätterte in ihm. »Hier gibt es jede Menge schöner Namen, Vivan, Filippa oder Mona. Sieht sie aus, als könnte sie so heißen? Nee, eigentlich nicht. Warte, wie wäre es hiermit: Linnea, Sonja oder Hilma«, und sie summte und tanzte aufreizend durch die Küche.

      Aber er fühlte sich innerlich leer.

      »Nora«, sagte sie schließlich. »Ein Maikind. Der Namenstag wird gleichzeitig auch ihr Geburtstag sein. Nächste Woche hat die kleine Nora Geburtstag. Dann sind wir zu Hause und werden feiern.«

      Er sah sie mit einem Glas zu dem Kind gehen. Sie hatte ein Pulver in das Wasser geschüttet.

      »Sie kommt mir so heiß vor«, hörte er sich sagen. »Ich glaube, sie ist krank. Vielleicht sollten wir sie zum Arzt bringen.«

      Sie wandte sich zu ihm um, und er sah einen Blick in ihren Augen, den er auch früher schon einmal gesehen hatte.

      In seinen Eingeweiden brannte es wie Feuer.

      »Vertrau mir, Kennet, ich kenne mich da aus.«

      Sie saß bei dem Kind, und das Wasser lief ins Kissen. Er begann zu zittern, und seine Hände waren eiskalt und feucht.

      »Du«, sagte er gepresst. »Ich glaube, wir müssen auf jeden Fall umdenken ...so geht es einfach nicht weiter.«

      Sie fuhr herum wie ein Reptil.

      »Wie bitte? Willst du jetzt etwa aussteigen!«

      »Nein, aber ...«

      Aus den Augenwinkeln ahnte er eine Bewegung, das Mädchen war offenbar dabei, wach zu werden.

      »Denk doch mal an ihre Familie«, sagte er flehend, aber sie kam auf ihn zu und ihre Haare schienen Funken zu sprühen.

      »Wir, wir sind ihre Familie, hast du das vergessen, hast du alles vergessen, was wir geplant haben?!«

      Er war jetzt im Zimmer, griff nach ihr. »Liebling, natürlich habe ich das nicht vergessen.«

      Sie war in der Küche beschäftigt. Er hörte ihre Geräusche, setzte sich neben dem Bett auf den Fußboden. Sie hatte dem Kind die Augen verbunden, warum hatte sie das getan? Was durfte das Kind nicht sehen? Die Arme des Mädchens waren so klein und dünn, er sah die Adern wie Blattnerven in der Haut.

      Ich habe sie gestochen, dachte er. Ich habe ihr Schmerz zugefügt. Oh, wir haben ihr ja so wehgetan.

      Sein Gesicht näherte sich ihrem, atmete sie? Ja, ein kaum merklicher Lufthauch traf seine Oberlippe, das geht einfach nicht, schoss es ihm durch den Kopf, wir können das nicht tun. Daraufhin brach er in Tränen aus, presste die Handflächen an die Wangen, wo es nass und salzig war, ich liebe dich so sehr, komm und rette mich.

      Sie war nicht mehr wütend. Das war schön. Sie brachte ihn dazu, sich auf dem Boden auszustrecken, strich ihm über den Kopf: »Nimm diese Tabletten hier, sie werden dich beruhigen, Kennet, du hast einen schweren und anstrengenden Tag hinter dir, aber es wird alles gut werden, und du hast mir das schönste Geschenk meines Lebens gemacht.«

      Ihr Arm schob sich in seinen Nacken, und er schluckte die Tabletten, eine nach der anderen. Ruhe breitete sich in ihm aus und ließ seine Glieder schwer werden.

      In deine guten Hände lege ich nun mein Leben.

      Das wollte er ihr sagen, laut, damit sie es hörte, aber seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr, er brachte nur ein unverständliches Lallen heraus.

      Sie versteht auch so, was ich sagen will, dachte er, und während er in den Schlaf hinüberglitt, nahm er entfernt wahr, dass ihre Hände ihm etwas um den Hals schlangen, es war ein Halstuch, er sah noch für einen Moment die hellgrüne Farbe, und sie strich ihm über die Wangen und wischte sie mit den Enden des Halstuchs trocken, und kurz darauf, als er eingeschlafen war, zog sie zu, so fest sie konnte.

      Doch da hatte er die Fähigkeit, etwas zu fühlen, bereits verloren.

      14. Daniel

      Der Morgen war klar und kühl. Es ging ein leichter Wind, das erste Morgenlicht zeigte sich in rosa Streifen am Himmel. Auf den Dächern hatten die Spatzen und eine lebensfrohe Amsel ihr Morgenkonzert begonnen.

      Plötzlich glaubte er, seine Schlüssel nicht mehr zu haben, sie verloren oder in Ulrikas Wohnung liegen gelassen zu haben. Auf dem Bürgersteig vor dem Mietshaus musste er alles, was in den Tüten war, auspacken, und dort, auf dem Boden der einen Tüte, lag sein Schlüsselbund. Er sah die kleine, gelbe Hasenpfote, die er einmal im Vergnügungspark Gröna Lund gewonnen hatte, aber es fehlte ein Schlüssel. Ulrika hatte den Schlüssel zu ihrer Wohnung in der Vittangigatan entfernt.

      Schlampe, dachte er erneut, und sein Unterleib schnürte sich zusammen. Jetzt lagen sie dort im Bett, der Typ im Jackett und sie, vielleicht hatten sie Sex, vielleicht schliefen sie mit schlaffen, weit aufgesperrten Mündern. Der Gedanke ließ ihn wimmern.

      Er gelangte in den Keller, ohne entdeckt zu werden.

      »Und wenn schon«, murmelte er, »ich arbeite doch hier, es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass eure Treppen sauber sind, ich bin ein gewissenhafter Arbeiter, ich führe nur eine Kontrolle durch. Von zuvor ausgeführten Arbeiten.«

      Die Kammer mit den Putzutensilien war nicht sonderlich groß. Außer dem Ausguss fand kaum mehr Platz als die Dinge, die er zum Putzen benötigte: ein Besen, ein Kehrblech, der Schrubber und der Wassereimer. Sowie ein paar Aufnehmer und Verpackungen mit Schmierseife und anderen Putzmitteln. Vorsichtig drehte er den Wasserhahn auf und wusch sich, so gut es eben ging. Er hatte Schmerzen, war voller Wunden und Beulen. Na ja, danach war er jedenfalls halbwegs sauber.

      Anschließend legte er die beiden Einkaufstüten in die Kammer, sank auf sie herab, nahm den Eimer zwischen die Beine und saß mit angezogenen Knien.

      Nach mehreren Versuchen gelang es ihm schließlich, sich nach vorn zu strecken und die Tür zuzuziehen. Die Luft in dem Verschlag war stickig, aber es war zumindest einigermaßen warm in dem Raum, er würde nicht frieren müssen und seine Ruhe haben.

      Verschiedene Auswege aus seiner Lage schwirrten ihm durch den malträtierten Kopf. Von seinem spärlichen Lohn als Putzkraft würde er sich keine eigene Wohnung leisten können. Aber irgendwo musste er wohnen. Der Gedanke, umherzuziehen wie Victoria und ihre Freunde, schreckte ihn ab. Etwas Respekt vor sich selber sollte man sich schließlich bewahren.

      Hatte er Verwandte? Freunde? Jerry wäre keine gute Lösung. Jerry und seine schnippische Freundin, nein, sie würde sich bestimmt sogar ausdrücklich widersetzen. »Du bist sein großer Bruder, du wirst weiß Gott alleine klarkommen müssen, komm bloß nicht zu uns und versau uns alles.« Er hatte ihre spitze Stimme im Ohr und sah sie mit ihren Reißzähnen vor sich, dünn und knochig war sie, die Haare trug sie kurz wie ein Mann. Sie war eine dieser Frauen, die ins Fitness-Studio gingen und ihre Möbel in teuren Designerläden kauften. Jerry und sie waren in der Computerbranche tätig und konnten sich so etwas leisten. Er dachte an den BMW, den Jerry eine Zeit lang gefahren hatte, es war ein Sportmodell gewesen, zwar gebraucht, aber immerhin. »Willst du mitfahren, Bruderherz?«, und er war auf der rechten Seite eingestiegen, und es hatte neu nach Leder und Fabrik gerochen, obwohl der Wagen schon ein paar Jahre alt war. Man lag fast in den Sitzen.

      Sie hatten eine Spritztour