Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Skrupellose - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445015



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war eine schöne Vorstellung, ihnen nicht mehr begegnen zu müssen. Ständig hatte er das Gefühl gehabt, mit ihm würde etwas nicht stimmen. Er war nicht gut genug. Aber als ihr Alter einen runden Geburtstag feierte, da war er gut genug gewesen, da hatte er wie ein Butler die Gäste in Empfang nehmen und ihre verdammten Mäntel aufhängen müssen, bis die Garderobe kurz davor war, zusammenzubrechen. Ulrika und ihre Schwester waren in der Küche beschäftigt gewesen, er hatte nichts von ihnen gesehen und sich auch nicht getraut, seinen Platz an der Tür zu verlassen. Er hatte zwischen den nassen Wollmänteln gestanden, und es schneite, und die Leute hatten Probleme, den steilen Hang hinaufzukommen. Aus dem Salon hatte man Lachen und Stimmengewirr gehört. Er war allmählich hungrig und schließlich wütend geworden. Wo war Ulrika?

      Als mindestens eine Stunde lang kein neuer Gast eingetroffen war, hatte er auf die Toilette gemusst, war zum Badezimmer gegangen und hatte vorsichtig die Tür aufgezogen, sie augenblicklich aber wieder geschlossen, denn es war besetzt gewesen, zwei Personen hatten sich in dem Raum aufgehalten, ein Mann und eine Frau. Der Mann war einer der Gäste gewesen, soviel hatte er noch sehen können. Später war ihm der Gedanke gekommen, dass die Frau eventuell Ulrikas Mutter gewesen war. Obwohl er das nicht überprüfen konnte und im Übrigen auch gar nicht wollte, das Lotterleben der Oberschicht ging ihn nichts an. Sie wollten doch immer so vornehm sein. Und dann benahmen sie sich wie pubertierende Jugendliche auf einer Fete in einer sturmfreien Bude.

      Es war ihm so vorgekommen, als wäre es der Alten seither schwer gefallen, seinem Blick zu begegnen. Aber das konnte er sich natürlich auch eingebildet haben. Er erwähnte die Sache Ulrika gegenüber nie.

      Schließlich musste er doch noch eingedöst sein, denn plötzlich wachte er mit einem Ruck wieder auf. Er lag auf der Seite, und die Decke war auf den Boden gerutscht. Sie war zurück. Erst wurde er ganz ruhig, blieb liegen und wartete darauf, dass die Tür geöffnet wurde und sie in ihrem großen weißen Nachthemd im Türrahmen stand, mit leichten Schritten zum Bett schlich, sich zu ihm legte und alles wieder so war wie immer.

      Doch dann hörte er die Stimme eines Mannes. Sie war nicht allein.

      Dann wurde die Tür aufgerissen, und es wurde hell im Zimmer. Er saß im Bett, schlang die Decke um sich und versuchte etwas zu sehen. Ein fremder Mann stand an den Türrahmen gelehnt. In der Hand hielt er Ulrikas langschaftigen Metallschuhlöffel, mit dem er leicht auf seinen Handteller schlug.

      »Hör mal, das Bett da wird gleich besetzt sein, würdest du also bitte die Güte haben und dich verziehen.«

      Er sprach irgendeinen nordschwedischen Dialekt.

      »Wer bist du und was zum Teufel hast du hier zu suchen?!«

      »Frag nicht so viel, hau einfach ab.«

      Jetzt sah Daniel ihn besser, fettige Haare, die in einer Locke in die Stirn fielen, die Andeutung eines Barts. Er trug eine Jeans und am Oberkörper nur ein Jackett, das nicht zugeknöpft war und eine nackte und unbehaarte Brust entblößte. In einem Ohr trug er einen Ohrring.

      »Was zum Teufel redest du da? Ich wohne hier, verdammt noch mal!«

      Irgendwo da draußen hörte er Ulrika, sie öffnete die Kühlschranktür und raschelte mit Plastik. Er wollte nach ihr rufen, aber sein Mund war wie ausgedörrt und blieb stumm.

      Der fremde Mann betrat den Raum und ging bis zur Bettkante. Er lächelte ein wenig, seine Unterlippe war weich und voll.

      »Ich glaube doch wohl eher, dass Ulrika Frölich hier wohnt. Jedenfalls steht ihr Name an der Tür.«

      »Geh raus«, murmelte Daniel, »damit ich mich anziehen kann.«

      Seine Kleider lagen in einem Haufen auf dem Fußboden, und er konnte sich zunächst nicht erinnern, wie sie dort gelandet waren, aber dann fiel es ihm wieder ein. Er sah den fremden Mann an und begriff, dass er wusste, was passiert war.

      Als er in die Küche kam, hatte sich Ulrika an den Küchentisch gesetzt, auf dem Käse und Brot standen, aufgeschnittene Tomaten und zwei Flaschen Bier. Im Bad wurde die Spülung betätigt.

      »Du«, sagte er mit belegter Stimme.

      Sie sah ihn nicht an, spielte mit den Fransen der Tischdecke.

      »Wen hast du denn da angeschleppt?«

      »Angeschleppt!«, wiederholte Ulrika.

      »Ja. Wer ist das? Kommt einfach so rein und weckt mich.«

      »Ein guter Freund«, sagte sie kurz.

      »Ja genau. Ein guter Freund.« Der Mann war von der Toilette gekommen und stand nun dicht hinter Daniel.

      »Du wirst Ulrika nicht mehr belästigen. Sie will, dass du abhaust. Du hast acht Minuten, keine Sekunde länger.«

      »Was zum Teufel verzapfst du da, du hast sie doch nicht mehr alle!«

      »Acht Minuten. Ab jetzt!«

      Der Mann zog seine Armbanduhr aus und legte sie auf den Tisch. Die Ärmel seines Jacketts waren hochgekrempelt, was lächerlich aussah, wie ein Relikt aus den Achtzigern. Der Mann musterte seine Fingernägel und schwang den Schuhlöffel.

      Es war eine unmissverständliche Provokation. Sie hatte ihm versprochen, er dürfe zumindest über Nacht noch bleiben. Das konnte sie doch nicht machen, ihn schlechter behandeln als ein Tier. Er machte einen Schritt auf den Mann zu, um ihm einen Stoß zu versetzen, oder auch nur, um ihm zu zeigen, dass er sich nicht alles gefallen lassen würde. Dann ging alles sehr schnell. Es blitzte über seinen Augen auf, er spürte einen heftigen und stechenden Schmerz, seine Hände fuhren in die Höhe, suchten Halt und zogen etwas mit sich, als er fiel. Glas splitterte.

      8. Magda

      Er wartete vor dem Hauseingang auf sie. Anfangs tat sie, als hätte sie ihn nicht gesehen, und fummelte am Fahrradschloss herum, und ihre Hände zitterten so sehr, dass sie beinahe den Schlüssel verloren hätte. Dann trat er ins Licht und sie sah den gedrungenen Körper und seine zu Schlitzen verengten Augen.

      »Magdalena.«

      Sie schwieg.

      »Ich wusste, dass du kommen würdest. Ich habe nach deinem Fahrrad gesucht.«

      »Hast du?«

      »Aber ich habe es nicht gesehen, also habe ich mir gedacht, sie wird kommen.«

      Das Fahrrad war zwischen ihnen, als markierte es eine Grenze.

      »Du bist hier?«, sagte sie heiser. »Das hätte ich nicht gedacht, ich hatte gehofft, dass du ... dass ihr ...«

      Er sah sie an, sein Gesicht war starr und angespannt.

      »Ich möchte mit dir reden. Ich will alles von dir hören.«

      »Aha«, flüsterte sie und bekam immer größere Angst.

      »Wir gehen rein.«

      Sie holte die Schlüssel heraus und spürte ihn dicht neben sich, als sie das dunkle Treppenhaus betraten. Mama, dachte sie, das Wort tauchte einfach in ihr auf, ein ungewohntes und nie gebrauchtes Wort.

      »Mach Licht«, sagte er.

      »Geht nicht, die Lampe ist kaputt.«

      Sie tasteten sich zu ihrer Tür hinab. Sie öffnete. Er war neben ihr, hinter ihr, fasste sie aber nicht an. Sie hatte Angst, empfand aber gleichzeitig auch Trauer.

      »Ich dachte, dass du ...«, setzte sie an und ihre Stimme brach, und sie sank in die Hocke.

      Als er die große Lampe eingeschaltet hatte, fiel kaltes, weißes Licht auf sie herab und blendete sie. Er stand über ihr, lehnte sich vor, da war etwas an seiner Körperhaltung, was sie noch nie gesehen hatte. Sie griff nach ihm, aber er wich zurück. Sie sah seine Füße in den braunen Stiefeln.

      »Was ist?«, flüsterte sie. »Was ist passiert?«

      Da zerrte er sie plötzlich hoch und presste sie an die Wand. Ein Kleiderbügel fiel klappernd auf den Boden. Sie kniff die Augen