Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445039



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seine Frau bei den Schultern.

      »Susanne«, flüsterte er. »Bist du müde? Möchtest du dich vielleicht ein wenig ausruhen?«

      Sie sackte zusammen, ihre Wange ruhte an seiner Schulter. Eine weiße Haarsträhne fiel auf ihre Lippen herab.

      »Obwohl es eigentlich nicht gut ist, wenn sie tagsüber schläft, denn dann ist sie nachts umso aktiver. Und ich muss doch auch irgendwann einmal schlafen.«

      »Papa, willst du nicht versuchen, sie irgendwo unterzubringen?«

      Er schwieg.

      »Du hältst das sonst nicht durch. Du bist doch auch nicht mehr der Jüngste. Dann könntest du uns auch einmal in Hässelby besuchen kommen und wir könnten ins Technische Museum gehen und so. Dinge tun, die dir Spaß machen. Ein Konzert besuchen oder ins Theater gehen.«

      »Wir werden sehen, Beth. Wir nehmen jeden Tag, wie er kommt. Ich will auf keinen Fall etwas beschleunigen, verstehst du.«

      Er half der alten Frau zum Sofa, hob ihre Beine hoch und zog ihr die herabgerutschten Strümpfe wieder hoch. Anschließend holte er ein Betttuch und deckte ihren zusammengekauerten Körper vorsichtig damit zu. Ihre Mutter lag da wie ein kleines Mädchen.

      »Möchtet ihr noch eine Tasse Kaffee?«, fragte er.

      »Ich glaube nicht, wir werden uns bald wieder auf den Weg machen«, erwiderte Ulf.

      »Ja, natürlich, ach übrigens . . . Ich habe in der Zeitung gelesen, dass aus dem Gefängnis in Tidaholm zwei Häftlinge entflohen sind. Sie sollen extrem gefährlich sein. Ihr seid doch vorsichtig, nicht wahr?«

      »Ja, das habe ich auch gelesen«, meinte Ulf.

      Beth stand auf. Ihr lief ein Schauer über den Rücken.

      »Und wie stellt man das bitteschön an«, sagte sie hitzig. »Vorsichtig zu sein, meine ich? Wenn sie ausgebrochen sind, dann sind sie eben ausgebrochen. Daran können wir jetzt auch nichts ändern. Wir können nur zu Gott beten, dass sie nicht zufällig auf die Idee kommen, ausgerechnet unsere bescheidene Bleibe heimzusuchen.«

      Ulf starrte sie an.

      »Sie sollen bewaffnet sein«, fuhr ihr Vater fort. »Keine Ahnung, wie sie an Waffen gekommen sind. Das kann man sich nun wirklich fragen. Aber wir wollen hoffen, dass die Polizei sie schnappt, ehe sie etwas anstellen können.«

      »Darf ich mal sehen, wo steht das denn?«, fragte Beth.

      »Hier, schau.«

      Er schlug die Zeitung auf. Die Schlagzeile prangte auf der Titelseite:

       Gefährliche Häftlinge aus Tidaholm ausgebrochen.

      Sie dachte an die Kätzchen und hatte keine Ruhe mehr:

      »Wir müssen los.«

      9. KAPITEL

      Als sie die Treppe hinabgingen, saßen zwei Mädchen auf ihr. Sie waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie Beth und Ulf nicht kommen hörten, und erst als Ulf sie bat, ein wenig Platz zu machen, blickten sie auf. Beide hatten ein Plüschpferd mit einer langen und glänzenden Mähne im Arm.

      »Wie heißt ihr?«, fragte Ulf, aber sie starrten ihn nur schüchtern an und antworteten nicht.

      Im Auto begann Beth zu weinen. Er stellte keine Fragen, ließ den Wagen an und setzte rückwärts aus der Parklücke.

      Nach einer Weile meinte er: »Das mit Susanne tut mir Leid. Es geht offensichtlich rapide bergab mit ihr.«

      Beth schluchzte auf.

      »Papa tut mir so Leid.«

      »Sie können einem beide Leid tun.«

      »Klar, aber ich glaube, sie bekommt gar nicht mehr so viel davon mit. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, in der sie stark und irgendwie zufrieden zu sein scheint.«

      »Ja, man kann froh sein, dass man nicht weiß, was die Zukunft einem bringt.«

      Beth zündete sich eine Zigarette an.

      »Was ist eigentlich, wenn das erblich ist«, sagte sie leise. »Stell dir vor, ich werde auch so verrückt und absonderlich wie sie. Dann weißt du, was dich erwartet.«

      »Keine Sorge, ich werde dich einfach in einem Heim unterbringen«, lachte er.

      »Das wagst du nicht. Ich würde es dir heimzahlen. Nein, das war nur ein Scherz. Manchmal habe ich fast Angst vor ihr, so als wäre sie ein ganz anderer Mensch. Und dieser andere Mensch, diese fremde und gefährliche Susanne, muss es doch die ganze Zeit schon gegeben haben. In ihrem Inneren, meine ich. Als wir noch klein waren, Juni und ich, als sie Papa kennen gelernt hat. Schon immer. Obwohl man nichts davon geahnt hat. Das macht die Sache so beängstigend.«

      Als Beth ihrem Vater nach dem Essen beim Abwasch geholfen hatte, war ihre Mutter in die Küche gekommen und hatte eine Milchtüte aus dem Kühlschrank geholt. Ehe sie jemand daran hindern konnte, hatte sie die Milch auch schon in die Toilette geschüttet. Anschließend schnitt sie die Verpackung auf und benutzte sie als Nachttopf. Als Beths Vater versuchte sie ihr abzunehmen, boxte sie mit den Fäusten gegen seine Stirn. Er wandte sich ab, aber Beth hatte trotzdem gesehen, dass ihm Tränen in den Augen standen.

      »Vielleicht gibt es einfach nicht genug Dinge, mit denen sie sich beschäftigen kann«, überlegte Beth. »Wenn wir, Juni und ich, ihr Enkelkinder geschenkt hätten, wenigstens eine von uns, hätte das den Verfallsprozess vielleicht hinausgezögert, manchmal glaube ich das wirklich.«

      Sie schluckte und fügte hinzu: »Ich habe es zumindest versucht.«

      »Wir«, korrigierte er sie.

      »Okay, wir. Juni und Werner aber nicht.«

      »Woher willst du das wissen, vielleicht haben sie es auch versucht und wollen nur nicht darüber sprechen.«

      »Juni mag keine Kinder, sie kann mit Kindern nichts anfangen. Das hat sie mir gegenüber schon mehrmals gesagt. Aber vielleicht sagt man so etwas auch nur, um sich keine Blöße zu geben.«

      »Jeder will Kinder haben!«, erwiderte er knapp.

      Daraufhin fing sie erneut an zu weinen, weil ihr alles wieder in den Sinn kam. Sie war damals nach einem anstrengenden Tag in der stickigen Luft des Klassenzimmers, von der sie Kopfschmerzen bekommen hatte, nach Hause gegangen. Die Schüler hatten ständig Unfug getrieben und nicht richtig zugehört und sie hatte nach dem Zeigestock gegriffen und so fest damit auf die Pulte geschlagen, dass er zerbrach. Ein Mädchen begann keuchend zu atmen und zu zittern, so als würde sie einen epileptischen Anfall bekommen, und Beth gelang es nicht, sie wieder zu beruhigen.

      Sie kannte die Klasse erst seit zwei Monaten, aber vom ersten Tag an war die Stimmung im Klassenzimmer abweisend, ja fast feindselig gewesen. Eigentlich hätten sie eine andere Lehrerin bekommen sollen, die aber in letzter Sekunde gekündigt hatte. Man hatte beschlossen, dass Beth nicht ihre Klassenlehrerin werden sollte, da sie eh bald in den Mutterschutz gehen würde. Die Situation war weder für sie noch für die Klasse befriedigend. Dann gab es plötzlich keinen anderen Ausweg mehr.

      Sie ging zu Carin Lagman, der Rektorin. Sie hatte stechende Kopfschmerzen.

      »Ich muss nach Hause«, sagte sie und hob die Finger an die Stirn.

      Carin Lagman saß an ihrem Computer. Beth konnte sich noch genau an die Bluse erinnern, die sie trug. Sie hatte ein Muster aus kleinen Hufeisen und Steigbügeln gehabt.

      »Du liebe Zeit, es ist doch nicht etwa schon so weit?«, fragte sie besorgt.

      »Nein, das ist es nicht. Aber mir geht es nicht gut, ich gehe jetzt nach Hause.«

      »Soll ich jemanden bitten dich zu begleiten?«, fragte Carin Lagman, stand auf, legte den Arm um Beth und strich über ihren dicken Bauch. Beth schüttelte den Kopf.

      »Nein, ist schon okay. Ich habe nur fürchterliche Kopfschmerzen.«

      Es war ein sonniger