Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445039



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      Er sprach ein wenig lallend und machte eine Pause, so als wollte er ihr die Chance geben, sich die Ohren zuzuhalten und sich vor seine Füße zu werfen, um ihn anzuflehen, doch zu schweigen, wie sie es sonst immer tat, diesmal aber nicht.

      Also sagte er es.

      »Ich habe in letzter Zeit oft mit Ylva geredet und wir sind uns wieder etwas näher gekommen. Wenn man ein Kind mit jemandem hat, wird alles irgendwie . . . so innig.«

      »Innig?«

      »Ja. Innig.«

      Sie fühlte sich auf einmal seltsam leicht und hatte das Gefühl, ihre Füße würden vom Moos abheben und sie würde zwischen den Baumstämmen schweben. Der Sturm hatte im letzten Frühjahr hier gewütet, an mehreren Stellen lagen umgestürzte und abgeknickte Bäume. Ulf saß auf einem Baumstamm. Sie dachte, dass seine Hose Harzflecken bekommen würde, aber dass ihr das jetzt auch egal sein konnte, Ylva, seine frühere Frau, würde sich darum kümmern, so wie sie sich um alles kümmern würde, was mit ihm zu tun hatte. Um seine Kleider, seine Gedanken, seinen Sohn.

      »Weiß Albin davon?«

      Sie hatten sich hingelegt, aber das Zimmer drehte sich in der Dunkelheit.

      »Was meinst du, was soll Albin wissen?«

      »Dass du und Ylva euch trefft.«

      »Wir haben nie aufgehört uns zu treffen.«

      »Ja, aber so, wie du gesagt hast. Innig.«

      »Es kann Albin ja wohl kaum schaden, dass seine Eltern sich nicht mehr streiten.«

      Beth riss sich das Betttuch vom Leib, es drückte auf ihre Brust und machte ihr das Atmen schwer.

      »Wie ist es dazu gekommen?«, flüsterte sie. »Wie konnte diese Innigkeit wieder aufleben? Doch! Ich will es wissen.«

      Ulf saß auf der Bettkante, nackt und aufrecht.

      »Ich weiß nicht, sie ist doch jetzt allein, Robban ist ausgezogen. Aber ich weiß nicht, wie es gekommen ist, dass wir . . . Auf so eine Frage gibt es keine Antwort.«

      Sie weinte, konnte nicht mehr klar denken.

      Er hatte sich jetzt zu ihr umgedreht, seine Stimme war schneidend und kalt.

      »Beth, du hast mich doch selbst gezwungen, es zu erzählen!«

      »Was meinst du mit innig?« schrie sie.

      »Was?«

      »Du hast gesagt, dass alles so innig wird, wenn man Kinder mit jemandem hat. Das hast du da oben auf dem Kahlschlag gesagt.«

      »Ach was, ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt, musst du immer jedes Wort auf die Goldwaage legen! Aber ein Kind schweißt einen eben zusammen. Das lässt sich doch nicht abstreiten.«

      Beth machte das Licht über ihren Betten an. Er sah krank aus, die Haare auf seinen Armen sträubten sich. Als würde er hier oben unter dem Dach frieren, als wäre es auf einmal Herbst, November.

      »Aber es muss natürlich ein lebendiges Kind sein«, sagte sie.

      »Nein, fang jetzt nicht wieder damit an.«

      »Sollte einen ein totes Kind dann nicht noch mehr zusammenschweißen? Oder zwei wie bei uns. Zwei kleine, tote Zwillinge . . . die einen Tag gelebt haben . . . und dann gestorben sind.«

      »Reiß dich zusammen, das geht zu weit.«

      »Wenn du mir damals eine Stütze gewesen wärst . . . wenn du dich nicht von mir abgewandt und mich allein gelassen hättest . . . dann hätten wir gemeinsam trauern können. Wenn du nicht so egoistisch gewesen wärst. Du hast mir Angst gemacht, ich saß die Tage und Abende da, Juni rief an, bist du etwa ganz allein, du darfst jetzt nicht allein sein, dann kam sie vorbei und hatte Pastete und dunkle Trauben gekauft, du musst essen, Beth, du musst jetzt stark sein!«

      »Das geht unter die Gürtellinie. Ich habe das alles schon hundert Mal gehört, so oft, dass es nicht mehr . . . und das weißt du auch, es hat keinen Sinn, weiter mit dir zu reden, es funktioniert nicht, ich komme nicht an dich heran, das ist mir noch nie gelungen, jedenfalls nicht, wenn es um dieses Thema geht.«

      Sie konnte einfach nicht aufhören:

      »Und Juni hat mich gefragt, was ist mit Ulf, wo ist er, hat sie gefragt. Was sollte ich denn antworten? Er ist auf der Arbeit, ich glaube, es sind ein paar Leute ausgefallen, deshalb musste er . . . Wenn ich dich ausgeliefert hätte . . . dann wäre das doch auch auf mich zurückgefallen, ich wäre eben nicht in der Lage gewesen, meinen Mann zu Hause zu halten, den Vater der toten Kinder, sie wäre wahnsinnig wütend auf dich geworden und das konnte ich nicht ertragen . . . als hätte ich dich dadurch dann auch noch verloren, Ulf, ich brauchte dich doch so sehr. Ja, innig.« Sie lachte auf. »Wenn ich so sagen darf.«

      Er saß mit gesenktem Kopf da.

      »Ich habe doch auch getrauert«, sagte er mit belegter Stimme, »und das weißt du verdammt gut. Aber auf meine Art eben. Es können nicht alle so trauern wie du. Wenn du das doch irgendwann einsehen könntest! Ich konnte nicht schreiben, die Worte verhedderten sich und wurden Buchstabensalat, ich konnte nicht weinen. Nicht wie du, du hast es doch wenigstens irgendwie rausgelassen. In gewisser Weise hast du mir die Trauer abgenommen.«

      »Oh nein, mein Lieber!«, schrie sie. »Das kannst du nicht sagen! Trauer lässt sich nicht messen, sie ist nicht rationiert. Die Trauer reicht für alle, alle.«

      Er schwieg.

      »Albin durfte seine kleinen Halbschwestern nicht behalten«, fuhr sie fort und wusste, dass sie jetzt zu weit ging, aber sie konnte sich nicht bremsen. »Ich weiß, dass er traurig darüber war. Während der ganzen Schwangerschaft haben Albin und ich uns über sie unterhalten, jeden Tag. Über Kinder und wie sie entstehen. Und dann . . . Er wusste, dass er zwei Schwestern bekommen hatte, sie aber nie nach Hause kommen würden, er würde sie nie zu Gesicht bekommen oder ihre kleinen warmen Köpfchen anfassen dürfen, die Fontanellen, ich hatte ihm das alles erklärt, er war alt genug, um es zu verstehen, fünf Jahre alt. Er war ein aufgeweckter kleiner Junge, dein Albin. Trotz allem, was er durchgemacht hatte.«

      Ulf stand bei den Kleidern, suchte in seinen Taschen nach Zigaretten. Seine Fersen donnerten die Treppe hinunter. Sie folgte ihm in ihrem nahezu durchsichtigen Nachthemd.

      Nylon, dachte sie. Aber es war aus gewöhnlicher Baumwolle.

      Sonst!

      Hätte sie!

      Mit der Glut zu nahe kommen und in Flammen aufgehen können.

      Sie standen auf der Treppe und rauchten. Hier draußen war es kühl und feucht, die Sträucher hatten tiefere Farben bekommen. Ihre Fußsohlen brannten, sie tauchte sie ins Gras, schauderte. Weiter weg am Waldrand sah sie etwas Helles. War es die Katze, die auf Mäusejagd war?

      »Weißt du, heutzutage darf man seine toten Babys fotografieren«, sagte sie leise. »Man darf sie sogar mit nach Hause nehmen, wenn man will. Ein paar Stunden, einen Abend, es ist ein Stück Trauerarbeit. Anita, die Psychologin, mit der ich damals gesprochen habe, hat mir das erzählt.«

      »Das ist doch krank!«, sagte er gepresst. »Mit Leichen nach Hause zu fahren!«

      »Es sind immerhin die eigenen Kinder.«

      »Ja, aber trotzdem!«

      »Man darf sein totes Baby waschen und ihm eine Windel anlegen. Wenn man will, kann man ihm die Kleider anziehen, die man bereitgelegt hatte, ein paar Kerzen anzünden und eine schöne, stimmungsvolle Atmosphäre schaffen, damit sie nicht einfach nur verschwinden wie unsere. Sie verschwanden irgendwo im Keller in einer Kühlbox. Die kleinen Körper, die ich fast sieben Monate lang gewärmt habe, mit meinem eigenen Blut gewärmt habe, sollten plötzlich mir nichts dir nichts in die Kälte.«

      »Ich habe sie doch gesehen«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich habe sie gesehen, als sie herauskamen. Aber nicht lange, sie haben sie genommen und sind mit ihnen losgerannt und dann habe ich sie noch einmal im Brutkasten