Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445039



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dass du sie nicht . . .«

      »Du hättest versuchen sollen mich zu überreden, du musst doch begriffen haben, wie es mir ging nach all dem Schrecklichen. Ich stand unter Schock, verstehst du, ich hatte in diesem Moment einfach nicht die Kraft, für andere als mich selbst da zu sein und musste mich erst erholen, aber nachher, wenn ich gewusst hätte . . .«

      Sie hatte fast dreißig Stunden im Kreißsaal gelegen. Wegen der Schmerzen konnte sie nicht mehr denken, keine Sehnsucht mehr empfinden. Am nächsten Tag hatte man sie in einem Rollstuhl hinübergefahren, aber da war es bereits zu spät. Seite an Seiten lagen die kleinen Mädchen vor ihr, eingewickelt in saubere gelbe Decken. Bei dem einen war die Oberlippe ein wenig hochgeglitten. Beth konnte die blasse Rundung des Gaumens erkennen.

      Sie hatte zu der Ärztin aufgeblickt, konnte ihr aber nicht in die Augen sehen. Sie empfand tiefes Mitleid mit dieser Frau, von der nun eine Erklärung erwartet wurde. Hoch über Beth erklang ihre heisere Stimme:

      »Ja . . . manchmal ist man furchtbar machtlos in diesem Beruf. Und dabei sind es so hübsche Kinder. Sie können mir glauben, ich weiß, was Sie jetzt durchmachen.«

      Nein. Das konnte sie nicht wissen. Nur sie selbst konnte das wissen. Sie, die Mutter, denn sie hatte die beiden unter ihrem Herzen getragen und mit einer fröhlichen und ungeduldigen Sehnsucht in ihrem ganzen Körper erwartet.

      Sie organisierten eine richtige Beerdigung. Der Gottesdienst fand in der Kirche von Hässelby Villastad statt. Der Weg, der zur Kirche hinauf führte, war mit feuchtem Laub bedeckt. Sie erinnerte sich noch, dass sie ausrutschte und fast hingefallen wäre. Sie hatte das Gesicht ihres Vaters vor Augen, es war das erste Mal, das sie ihn weinen sah, seine hochgezogenen Schultern und das schüttere Haar. Und ihre Mutter.

      »Du schaffst das schon, Beth, du schaffst das schon. Ruh dich jetzt etwas aus und dann fangt ihr noch einmal von vorn an.«

      Die Bestatterin, eine Frau namens Margit Gustavsson, hatte nicht darauf bestanden, dass Beth oder Ulf bei den Vorbereitungen dabei waren, was für sie eine große Erleichterung war. Die Frau hatte flache und weiße Hände und mit diesen Händen hatte sie die beiden Kinder in ein Leichentuch gehüllt und in den gleichen Sarg gebettet, die Gesichter einander zugewandt. Beth hatte die Lieder ausgewählt und dabei »Die Blütezeit nun kommet« durchgesetzt, obwohl es ganz und gar nicht zur Jahreszeit passte, aber das Lied machte ihr Hoffnung, Hoffnung auf eine Fortsetzung. Sie war zwar nicht religiös, aber es tat ihr dennoch gut, im Gesangbuch zu blättern, und auf ihrem Platz in der vordersten Kirchenbank sang sie auswendig mit lauter und energischer Stimme.

      Nachher fuhren sie zu Hägerstalunds Wirtshaus, um mit Verwandten und Freunden zu Mittag zu essen. Auf dem Weg zum Wagen sah sie die Schule, in der sie arbeitete. Sie hatte Erziehungsurlaub nehmen wollen. Anderthalb Jahre hatte sie zu Hause bleiben wollen.

      6. KAPITEL

      Er trug sie die Treppe hoch. Manchmal war er so stark und sanft. Er legte sie auf das Bett, nicht schroff, sondern behutsam. Die Wände drehten sich noch, in ihren Ohren rauschte es dumpf. Er lag neben ihr, seine Füße waren klein und kalt. Sie zog das Nachthemd aus, fühlte seine rauen Hände und sie musste sich winden und stöhnen, musste dem Dämmerzustand Lust entlocken. Jetzt schob er ihre Schenkel zur Seite, spreizte sie, jetzt stieß er zu und suchte, aber sie war wie zugeschweißt zwischen den Beinen.

      Das brachte ihn aus dem Konzept.

      »Liebling, ich will«, versuchte sie es, aber ihre Stimme war müde, sie nahm die Hand zur Hilfe und zog und drückte, aber er stemmte sich auf die Seite, schlief.

      Sie schloss die Augen und hatte Tränen unter den Augenlidern, nicht seinetwegen, sondern weil sie durch den Alkohol wie immer verletzlich und deprimiert geworden war.

      Ein Geräusch!

      Sie dachte, Ulf wäre aufgestanden und hätte das Radio angemacht, es klang wie Kirchenglocken. Dann sah sie, dass er neben ihr lag und bekam Angst, weil es zwanzig, dreißig Kilometer bis zur nächsten Kirche waren.

      Dann erinnerte sie sich wieder an den Fisch, einen frisch geangelten Fisch inmitten trockener Tannennadeln. Sie lag in der Kuhle der Matratze, das Zimmer war hell, es musste trotz allem schon Morgen sein.

      Sie wurde von Durst gequält. Ihre Zunge war eine eingeschrumpfte und zusammengezogene Schnecke, die eingetrocknet war um zu sterben.

      »Ulf«, jammerte sie. »Ich höre komische Geräusche, bitte wach auf.«

      Er lag auf der Seite und sah sie unverwandt an. Sie streckte die Finger aus und berührte seine Stirn.

      »Du lebst doch noch, oder etwa nicht?«

      Es zuckte in seinen Mundwinkeln.

      »Hörst du?«, flüsterte sie.

      Er schüttelte den Kopf.

      »Doch, hör genau hin, das musst du doch hören, es klingt wie Kirchenglocken!«

      Während sie beobachtete, wie er sich aufrichtete, spürte sie, wie verschwitzt sie war, ihr Nachthemd war ganz feucht, sie bekam eine Gänsehaut. Dann setzte sie sich ebenfalls auf.

      »Nein«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich höre nichts.«

      »Jetzt ist es weg, aber gerade eben war es noch da. Es war ganz nah und klang, als würde gleich nebenan ein Glockenturm stehen und jemand am Seil ziehen.«

      »Tut mir Leid«, sagte er, »aber ich habe nichts gehört.«

      »Dann wirst du noch geschlafen haben.«

      »Ich habe wach gelegen und gedöst. Und nachgedacht.«

      Das Wort nachgedacht stieß ihr übel auf, ihr fielen die Ereignisse der letzten Nacht wieder ein, und ihr Gespräch.

      »Wie viel Uhr ist es?«, murmelte sie.

      »Kurz vor sieben.«

      »Sieben. Ich würde gerne noch etwas schlafen, ich könnte den Schlaf wirklich gebrauchen, aber ich kann nicht.«

      Er legte sich auf den Bauch, warf einen Arm über ihre Beine und weinte.

      Vorsichtig legte sie sich neben ihm wieder hin, presste sich an seine Seite, gegen seine Achselhöhle.

      »Es tut mir Leid wegen gestern«, sagte er undeutlich. »Man sagt manchmal Dinge, die man . . . so vielleicht gar nicht sagen wollte. Die Worte klingen dann so falsch und hässlich.«

      Sie streichelte sein Haar, presste ihre Lippen auf seinen Nacken.

      »Wie kann es nur so weit kommen, Beth? Warum kommt es zum Streit zwischen uns, kannst du mir das erklären?«

      »Das passiert eben manchmal, aber jetzt vergessen wir das wieder! Wir beschließen einfach es zu vergessen.«

      »Du meinst, zu verdrängen?«

      Das Gesicht in das Kopfkissen gedrückt, stöhnte sie kurz auf. Der ranzige Geruch ihres Haars hing im Stoff des Kissens.

      »Ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen, Ulf, du nicht auch, tut dir nicht auch der ganze Kopf weh?«

      »Das kommt vom Madeira. Oder vielleicht auch nicht . . . wir hätten nicht durcheinander trinken sollen.«

      »Stimmt.«

      Beth zog ihr Nachthemd aus und legte es auf den Fußboden.

      »Ich friere . . . flüsterte sie. »Aber irgendwie ist mir trotzdem heiß.«

      Sie nahm seine Hand und zog sie unter sich, unter ihren Bauch.

      »Ich hab jedenfalls auch Kopfschmerzen«, flüsterte er.

      »Leg dich auf den Rücken, dann massiere ich dich.«

      Er lag mit dem Kopf auf ihren Oberschenkeln. Sie war benommen und völlig erledigt. Ihre Fingerspitzen begannen zu glänzen, sie massierten seine Stirn, bewegten sich bis zur Nasenspitze herab, kreisten in seinen dichten und lockigen Haaren. Ihr fiel auf, dass seine Augenbrauen sich verändert hatten, die Härchen waren länger und dicker