Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445039



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gingen sie wesentlich langsamer. Es war jemand da, der ihr in der Küche half, denn der Pfarrer feierte seinen vierzigsten Geburtstag. Es war eine Frau namens Ragnhild und sie kochte Kaffee und strich Butter auf ein Brot, von dem er noch nie zuvor gegessen hatte. Es blieb ihm als Totenbrot im Gedächtnis.

      Die Frau des Pfarrers regelte alles für ihn. Sie rief Doktor Dahl an, der vorbeischaute und den Totenschein ausstellte. Sie besorgte Männer, die dafür sorgten, dass die Leiche seiner Mutter aus dem Haus geschafft wurde, und darüber hinaus eine Frau, Dora Granberg, die einen gründlichen Hausputz vornahm. Der Geschmack und der Geruch des Todes sollten mit Hilfe von Schmierseife und Wasser aus dem Haus verbannt werden.

      »Du bist ein tüchtiger Junge und hättest das bestimmt auch selbst geschafft, aber ich habe es deiner Mutter versprochen, und Dora Granberg ist zuverlässig, wenn es ums Putzen geht. Deine Mutter hat auf ihr bestanden.«

      Er kam sich eigenartig hintergangen vor. Die Frau des Pfarrers wusste anscheinend mehr über seine Mutter und ihre Gedanken als er selbst.

      Er blieb den ganzen Tag auf dem Pfarrhof und man bot ihm an, dort auch zu übernachten, aber er lehnte ab. Sein Haus stand einsam und verlassen, er wollte heim.

      Der alte Pfarrer besuchte ihn am nächsten Tag. Er sprach eine Weile über seine Mutter, lobte sie für ihren Fleiß.

      »Und wenn jemand etwas wegen der Alabastertaube sagt, berufst du dich einfach auf mich.«

      An die eigentliche Beerdigung konnte er sich kaum noch erinnern. Die Frau des Pfarrers hatte ihm schwarze Kleidung besorgt. Er kam sich vornehm darin vor und hatte das Gefühl, dass die Leute ihm mit neuer und verblüffter Achtung begegneten. Die Frau des Pfarrers war es dann auch, die für Kaffee und Kuchen und kleine Stielgläser mit Sherry sorgte.

      In der Nacht nach der Beerdigung lag er in seinem Bett und dachte an sie.

      An die Pfarrersfrau Ingalisa.

      10. KAPITEL

      Er stand am Gatter zu dem Haus und das Auto war nicht da. Daraufhin ging er in die Hocke und lockte die Katze. Als er sich dem Haus näherte, hatte er sie und die beiden Kätzchen zwischen den Obstbäumen erblickt. Sie brachte ihnen gerade bei, wie man die Stämme hochkletterte.

      Nein. Jetzt war sie nicht mehr zu sehen.

      Die spiegelblanken, leeren Fenster. Er hatte gesehen, wie die Frau in den geblümten Shorts sie putzte, sie trug einen BH, aber keinen Pullover. Ihre starken, braunen Arme, die putzten und polierten. Manchmal legte sie eine Pause ein, um sich eine Zigarette anzuzünden. Als die obere Etage an der Reihe war, stieg sie auf eine Leiter, machte dabei einen Fehltritt und wäre beinahe hinuntergefallen. Den Wassereimer hielt sie in der Hand. Sie dachte mehr an ihn als daran, wohin sie die Füße setzen musste.

      Vor langer Zeit war seine Mutter hier gewesen und hatte mit dem Mädchen Susanne gespielt, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Mutter einmal kleiner gewesen sein sollte als er selbst, wenn er sich zurückerinnerte.

      Er hatte sie zu den wilden Himbeersträuchern begleitet, wo sie einen ganzen Tag zubrachten. Am nächsten Morgen entsaftete sie die Beeren und kochte eine süße und dünnflüssige Marmelade aus ihnen, die zwischen den Zähnen knirschte. Sie hing in den Sträuchern und erzählte.

      Susanne bekam ein kleines Pferd geschenkt, es war braun und lieb und sie fütterte es mit Grasbüscheln. Aber das Pferd war so klein, dass man nicht auf ihm reiten konnte. Ihr Vater war so ein lieber Mensch, dass er ihr ein nutzloses kleines Pferd schenkte, das nur fressen und düngen konnte. Wenn das Pferd mit den anderen Pferden auf der Weide stand, gab das Kleine den Ton an. Es legte die Ohren an und warf seine Mähne und die Großen machten ihm Platz und ließen es in Ruhe.

      Gespannt lauschend und mit schützend erhobenen Händen näherte er sich dem Haus. Seine Mutter hatte hier in der großen Stube gespielt, und jetzt war ihm, als könne er die Mädchen sehen, und er dachte daran, dass sie erwachsen wurde und plötzlich nicht mehr am Leben war. Denn so erging es allen, Mensch wie Tier. Man war klein, man wuchs heran, man alterte und man starb.

      Plötzlich wurde er von Schwermut ergriffen, einer heftigen und bedrückenden Einsamkeit. Im Gras unter dem Fenster hatte seine Mutter damals mit ihren Mädchenfüßen gestanden und ein wenig an der Fensterscheibe gekratzt, bis Susanne aufblickte. Sie lächelte erleichtert, denn sie saß an den Hausaufgaben und ihr war langweilig. Sie ließ die Schultern sinken und stand auf. Ihre Mutter war in der Küche, denn wo sonst sollte eine Mutter sein. Das Schulmädchen Susanne schlug ihre Bücher und Hefte zu, ich geh mal raus zu Ebba, und ihre Stimme klang bestimmt, es war keine schüchterne Frage, und anschließend quietschte die Tür und sie trat aus dem Haus.

      Er sah die beiden Mädchen deutlich vor sich, so, wie sie auf einer alten Fotografie aussahen, die seine Mutter ihm einmal gezeigt hatte. Sie sahen sich ähnlich, kurze Haare mit Spangen darin, Röcke und schwarze Schuhe. Ihre kleinen, kleinen Körper. Sie sausten die Steintreppe herab und spielten Fangen zwischen den Bäumen.

      Er schloss die Augen und der Geruch war da, der beißende Geruch eines Fells. Damals gab es in dieser Gegend noch Wölfe. Seine Mutter hatte als Kind einen gesehen und von da an durfte niemand mehr allein in den Wald gehen. Ein Erwachsener musste dabei sein, ein Mann mit einem Jagdgewehr.

      Seine Hände wurden feucht, ihn schauderte vor Angst und Erregung, er wusste nicht mehr, wo er war, aber er musste ins Haus und spürte etwas Kratzendes am Fußgelenk, er schaute hinab, nein, es war nur ein Schatten, grau und schlank, ein Aufblitzen von Raubtierzähnen. Er rüttelte an der Tür, aber sie war abgeschlossen. Sie hatten sie ordentlich verriegelt, genau wie die Fenster. Verängstigt und ziellos fliehend lief er über den Rasen:

      Die Katze, die kleinen Kätzchen! Waren sie jetzt in Gefahr, ernsthaft in Gefahr?

      Er wollte sie zu sich locken, aber seine Lippen waren wie gelähmt und wollten keine Worte oder Laute formen. Er lief zur Scheune. Hier war es leicht, das Hängeschloss war durch einen spitzen Keil ersetzt worden.

      Hinein. Er zog die morsche Tür hinter sich zu und blieb, sie festhaltend, eine Zeit lang stehen und lauschte auf Geräusche. Seine Mutter hatte damals das Heulen gehört. Es kam vom Waldsaum und sie hatte unaussprechliche Angst bekommen. In der folgenden Nacht wurde sie krank. Sie hatte Schüttelfrost, und sobald sie die Augen schloss, sah sie die schmalen Augen und die Schnauze, die sich gen Himmel reckte.

      Er presste ein Auge an den Türspalt und versuchte hinauszuspähen. Draußen war es hell, die Schwalben sirrten und die Grillen zirpten. Es gab dort nichts mit einem Pelz. Doch. Eine Pfote kratzte unter der Tür und er hörte gurgelnde Laute aus einer Raubtierkehle. Er schrie laut auf und stampfte mit dem Absatz auf der Erde auf. Mit beiden Händen hielt er die Tür fest, zog sie an sich, hielt dagegen. Draußen fauchte es, und seine verängstigten Augen sahen, wie die Mädchen zum Plumpsklo rannten, und er wollte ihnen zurufen, passt auf, versteckt euch, lauft weg. Er hörte ihre hellen, schrillen Stimmen. Den Wolf sah er jetzt nicht mehr, aber sein Geruch war noch da und stieg ihm in die Nase. Er begann zu zittern, wie seine Mutter damals im Fieber gezittert hatte.

      Tagelang hatte sie im Fieber gelegen, fantasiert und war sehr krank gewesen. Der Arzt, den man hinzuzog, berichtete, dass er einer Gruppen von Jägern begegnet war, aber keiner hatte einen Wolf gesehen, nachdem seine Mutter einen erblickt hatte. Schließlich begann man zu glauben, dass es Fieberfantasien waren, dass sie da schon krank gewesen war.

      Sie hatte aus dem Fenster geschaut, als sie ihm davon erzählte. Sie richtete sich auf, als sie unvermittelt wütend wurde.

      »Sie haben mir nicht geglaubt. Anfangs schon, aber dann haben sie gesagt, ich hätte mir das Ganze nur eingebildet. Sie sind eingeschnappt gewesen, weil sie mehrere Tage damit vergeudet hatten, im Wald herumzulaufen und nach Wölfen zu suchen. Das war während der Heuernte und dann gab es Regen und ein Teil der Ernte war verdorben. Ich glaube, sie haben mir die Schuld daran gegeben.«

      Er sank zusammen, ließ aber nicht los. Draußen war jetzt alles still. Das Scharren hatte aufgehört. Er betrachtete seine blassen verkratzten Hände, sah sie im Dunkeln und sie brannten.

      Dann