Chirurginnen. Volker Klimpel

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Название Chirurginnen
Автор произведения Volker Klimpel
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783942825887



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gegen Frauen in leitender Stellung [hatte], sondern Verständnis für Kolleginnen, die um Anerkennung und Respekt in einer männlich dominierten Hierarchie ringen mussten [6].

      In Deutschland übersteigt inzwischen die Zahl der Frauen im Arztberuf die der Männer, im Fach Chirurgie trifft dies noch nicht zu. Im Jahr 2000 waren über 50 Prozent der Medizinstudierenden Frauen, in der Chirurgie waren damals jedoch nur 12 Prozent weiblich, in Österreich etwa zehn Prozent. Rund gerechnet befanden sich 2003 unter 5800 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 395 Frauen, das sind etwa sechs Prozent [5].

      Der Übertritt ins 21. Jahrhundert scheint eine Zäsur im Geschlechterverhältnis unter den Chirurgen und eine Veränderung in der Wahrnehmung dieses Problems zu bedeuten. Unter der Präsidentschaft von Professor Klaus Schönleben wird 2001 die Frauenfrage in der Chirurgie Thema auf dem 118. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Namhafte Fachvertreterinnen bringen hier historische Aspekte, Entwicklungstendenzen und Erfolgsaussichten in die Öffentlichkeit [41].

      Ende 2013 sind etwa 18 Prozent der in einem chirurgischen Fach, also auch in der Orthopädie, Unfall- und Herz-Thorax-Chirurgie arbeitenden Ärzte Frauen. Die steigende Anzahl von Frauen in der Chirurgie geht einher mit der Entwicklung der sogenannten neuen Medien, in denen angehende und ausgebildete Chirurginnen Plattformen und Diskussionsforen für ihre Anliegen finden. Da wird gebloggt und gepostet, was das Zeug hält. Da meldet sich zum Beispiel die Chirurgin Heather Lodge aus North Carolina, zum Thema operierender Ärztinnen, Familie und Mutterglück, und schreibt neben vielem Positiven auch: „Das alte Stereotyp eines Chir­urgen ist ein allwissender arroganter Mann, der sehr gut funktioniert, aber oft herzlos ist, nicht nur mit Kollegen, sondern auch mit Patienten …!“ <QI13>. Man hört schon den lauten Einspruch der Herren Kollegen, aber irgendwie scheint das in Jahrhunderten verfestigte Bild von der „nicht zur Chirurgie geborenen“ Frau noch virulent zu sein. Das schreckt jedoch die Ärztinnen schon lange nicht mehr.

      Als die damals 46-jährige Professorin Doris Henne-Bruns 2001 von Kiel auf das chirurgische Ordinariat an der Universität Ulm berufen wurde, kam dies einer Sensation gleich. Die Schülerin von Hans-Wilhelm Schreiber (1924–2004) in Hamburg war die erste Frau auf einem chirurgischen Lehrstuhl in Deutschland. Das hätten sich die Altvorderen wohl kaum träumen lassen! Und zudem: Frau Henne-Bruns hat Mann und Kind! Als Nachfolgerin von Christian Herfarth (1933–2014), der 1973–1981 erster Chirurgie-Ordinarius der 1967 neugegründeten Universität Ulm war, und ab 1982 dann Hans-Günter Beger (*1936) kam sie in dem Jahr ins Ulmer Amt, als Begers Lehrer Emil S. Bücherl (1919–2001) verstarb. Es waren ihr allerdings schon einige „schneidige“ Frauen auf Lehrstühlen operativer Fächer in Deutschland vorausgegangen wie Elisabeth Schmöger (1920–1994) für Augenheilkunde und Rosemarie Albrecht (1915–2008) für HNO, beide 1955 auf Ordinariate an der Medizinischen Akademie Erfurt (gegr. 1954, geschl. 1993) sowie Ga­briele Schackert (*1953) und Anna-Elisabeth Trappe (*1939) 1993 bzw. 1995 für Neurochirurgie in Dresden und München.

      Doris Henne-Bruns wurde 2001 erste chirurgische Ordinaria Deutschlands

      Als erste Ordinaria für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an einer deutschen Universität und als moderne Frau ging Doris Henne-Bruns von Anfang an offen mit den Problemen um, die sich noch heute mit dem „Einbruch in die Männerdomäne Chirurgie“ ergeben. Sie habe Karriere gemacht, sagte sie einmal, „obwohl sie eine Frau ist“ und „Frauen müssen noch immer den Spagat zwischen Beruf und Familie leisten“ <QI14>. Dem SPIEGEL öffnete sie die Türen zu ihrem Operationssaal und legte – im übertragenen Sinne – den Finger in so manche Wunde, stellte zum Beispiel die Frage, ob die Chirurgie denn ein Altherrenklub bleiben solle, oder zitierte Macho-Sprüche ihrer männlichen Kollegen bei Bewerbungsgesprächen wie „Ach, Sie sind jung, Sie sind hübsch, kriegen Sie doch weitere Kinder!“. Und sie habe als Frau bei chirurgischen Abendessen auch schon mal am „Katzentisch“ bei den Chirurgen-Gattinnen und Witwen gesessen statt an der „Herrentafel“. Wie ungewohnt für manchen männlichen Patienten die Situation in den Operationssälen war, zeigte die erstaunte Frage angesichts des überwiegend weiblichen Personals: „Operieren hier die Schwestern?“ Oder es sagt ein männlicher Patient: „Mein Chir­urg ist eine junge Frau, was nun?!“ Frauen als Operateurinnen lagen offenbar jenseits der Vorstellungskraft des Fragestellers, an den Tisch trat jedoch Frau Prof. Henne-Bruns und musste erst einmal dafür sorgen, dass sie von dem Kranken „für voll“ genommen wurde <QI15>. Auf dem Chirurgenkongress 2001 beschäftigte sich Prof. Henne-Bruns mit dem Thema „Erfolg? Eine Begriffsbestimmung aus weiblicher Sicht!“ und kam zu der Schlussfolgerung: „Ein radikales Umdenken in der Chirurgie ist nötig, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein“.

      Doris Henne-Bruns war be­reits über ein Jahrzehnt im Amt, als 2013 Prof. Christiane Bruns (*1965) nach Magdeburg und 2014 mit Prof. Ines Gockel (*1969) zum dritten Mal in Deutschland eine Frau auf ein chirurgisches Ordinariat berufen wurde und das auf den traditionsreichen Lehrstuhl in Leipzig, den u. a. Thiersch, Trendelenburg, Payr und Uebermuth innehatten. Das war immer noch gewöhnungsbedürftig, auch wenn man sich inzwischen an zunehmend mehr Chirurginnen gewöhnt hatte. Ines Gockel war ungefähr im selben Alter wie Doris Henne-Bruns, als diese damals in Ulm die Chefposition antrat, und wie diese vertritt sie die Viszeral- und Transplantationschirurgie und zusätzlich die Thorax- und Gefäßchirurgie. Ines Gockel kam aus Mainz von Prof. Theodor Junginger und hat die Welt gesehen: Montréal, Vancouver, Pittsburgh, letzteres 2009 mit einem Reisestipendium der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie <QI16>. Christiane Bruns verließ nach gut drei Jahren Magdeburg schon wieder und wechselte auf den Kölner Lehrstuhl.

      Auch im Bereich der experimentellen Chirurgie haben Frauen entscheidende Positionen erreicht, so etwa die Chirurgin Prof. Brigitte Vollmar, die seit 2002 Direktorin des Rudolf-Zenker-Instituts für Experimentelle Chir­urgie an der Universitätsmedizin Rostock ist. Seit 2015 ist sie auch Lehrstuhlinhaberin (W3-Professur für Experimentelle Chirurgie) an der Universität Rostock. 2011 wurde sie in den überschaubaren Kreis der weiblichen Leopoldina-Mitglieder aufgenommen. In Leipzig wird der Bereich innerhalb der Chirurgischen Klinik als Arbeitsgruppe von Prof. Dr. rer. nat. Gabriela Aust geleitet und die Chirurgin Prof. Dr. med. Heike Allgayer leitet seit 2004 die Experimentelle Chirurgie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.

      Viele Frauen haben sich nach einer chirurgischen Grundausbildung für ein anderes operatives Spezialfach entschieden. In den Gründerjahren der Emanzipation war es fast immer der geburtshilflich-gynäkologische Bereich. Heute sind es alle artverwandten Spezialdisziplinen.