Chirurginnen. Volker Klimpel

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Название Chirurginnen
Автор произведения Volker Klimpel
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783942825887



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in der Einrichtung und Frequentierung von Sektionskursen für Frauen zeigte.

      „Frauenstaffel“ im OP des Endell Street Military Hospital im Londoner Covent Garden während des Ersten Weltkriegs in Regie der Medical Women’s Federation; das einzige Krankenhaus in London, in dem ausschließlich Suffragetten arbeiteten (1916–1920). ©Wellcome Library

      An zwei willkürlich herausgegriffenen Beispielen sei die Quantität von Frauen in der Medizin noch einmal veranschaulicht. Erstens: Allein im Kammerbezirk München befanden sich 1933 unter den gemaßregelten und diskriminierten 273 Ärzten 28 Frauen, darunter keine Chirurgin! [51] Zweitens: Eine Auflistung der Verfolgten und Vertriebenen unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie enthält 214 Ärzte, unter ihnen nur zwei Frauen. Eine einzige ist Chirurgin – die weiter unten erwähnte Johanna Hellmann (S. 219–225 [110]). Aus den Zeitdokumenten sei weiterhin noch erwähnt, dass es im zwanzigköpfigen Mitarbeiterstab des Chirurgie-Ordinarius Martin Kirschner (1879–1942) an der Universität Königsberg im Frühjahr 1923 zwei Frauen gab, die Fräuleins Bär und Platz, über deren weiteres Schicksal die Akten schweigen (S. 17 [110]). Im Team von Karl Heinrich Bauer an der Chirurgischen Universitätsklinik in Breslau stand ein „Frl. Fischer“ vornan (Abb. 15 in [104]). In einem ähnlichen Bilddokument aus der Münchner Chirurgischen Universitätsklinik von Erich Lexer erblickt man unter dem ungewöhnlich großen Mitarbeiterstab von 35 Personen nur eine einzige, namentlich nicht genannte Frau (S. 83 [51]).

      Titel der Festschrift zum Internationalen Frauentag 1913 von Marianne Saxl-Deutsch, Wien

      2 zit. n. EMMA 5/2003

      3 nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Philosophin aus dem Sartre-Kreis.

      4 E. v. Arnim war die erste weibliche Assistentin von Walter Stoeckel (1871–1961) an der Universitäts-Frauenklinik (Charité) Berlin und leitete im 1. Weltkrieg ein Lazarett in Liegnitz.

      5 in Amerika bereits während des Bürgerkrieges

      Heute

      Die Zeiten, als im Operationssaal die Instrumentierschwester, diese oft eine gestrenge Ordensfrau, die Patientin auf dem Operationstisch und vielleicht noch eine sogenannte Unsterile die einzigen weiblichen Personen waren, sind längst vorbei. Und doch gibt es noch immer Vorbehalte gegen Frauen in der Chirurgie, wie manche Fundstücke zeigen. „Frauen haben in der Chirurgie nichts verloren!“ soll noch 1970 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus ein chir­urgischer Ordinarius ausgerufen haben. Hier fügt sich folgende Szenerie ein: Auf einem großen Gruppenfoto aller Professoren der Wiener Medizinischen Fakultät von 1975 sind 80 Personen abgelichtet, darunter nur drei Frauen, und von denen sind die Professorinnen Erna Lesky (1911–1986), Kinderärztin und Medizinhistorikerin, und Astrid Kafka-Lützow (*1937), die Physiologin, zu identifizieren, also keine Chirurgin [108].

      Oder an eine Assistentin gerichtet: „Oh, Sie sind jung und hübsch und könnten sich einen Zahnarzt angeln … Was wollen Sie dann noch Chirurgin werden?“ Auch war manches Mal zu hören „Was will die Puppe hier?“, wenn sich eine Frau in der Chirurgie bewarb. Für die Kolleginnen oft eine Gratwanderung zwischen Himmel und Hölle <QI11>. Das verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass noch in den 1950er und 1960er Jahren die Frauen in der Bundesrepublik Deutschland die Erlaubnis des Ehemanns einholen mussten, wenn sie beispielsweise die Fahrerlaubnis erwerben oder gar berufstätig sein wollten. Das war der sogenannte Gehorsamsparagraph (§ 1354 BGB)! Erst 1977 beendete eine Gesetzesnovelle diese „Hausfrauenehe“ und Frauen konnten ohne Einwilligung des Mannes ein Bankkonto eröffnen oder eine Arbeitsstelle antreten. Im anderen deutschen Staat, der DDR, bedurfte es dessen nicht. Seit 1950 waren die Frauen de facto und de jure gleichberechtigt, wobei Anspruch und Wirklichkeit nicht immer übereinstimmten [52].

      Karikatur von Marie Marcks

      Die ärztlichen Mitarbeiter der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Erfurt 1956. In der Mitte Klinikchef Prof. Egbert Schwarz, in der letzten Reihe drei Chirurginnen.

      In der Basler Chirurgischen Universitätsklinik arbeiteten 1965 bei Professor Rudolf Nissen (1896–1981) 58 Ärzte, jedoch keine einzige Frau! [40]. Auf dem „Klassenfoto“ von Martin Allgöwers (1917–2007) Chirurgischem Departement Basel erkennen wir 1982 eine Frau (S. Demou-Hüni) unter 19 Männern [85]. Die Eintragungen in den Personalfragebögen lauteten in der Rubrik Facharzt immer noch „Chirurg“ statt „Chirurgin“, und zwar in Ost wie in West. In puncto Aufstiegsgrenzen für Frauen in der Chirurgie herrschte deutsche Einheit. In einer Publikation über den Patriarchalismus in der DDR wird eine Hebamme zitiert, die klar ausdrückte, dass die „Frauenförderung“ nur auf dem Papier stehe und es im Krankenhaus eine Verhinderungsstrategie des chirurgischen Chefarztes gäbe, der „gar keine Frau aufkommen lassen“ würde, nur Männer in der Chirurgie akzeptiere und Frauen „rausstänkere“ [23].

      Das Klinikteam der Basler Chirurgischen Universitätsklinik unter Prof. Dr. Rudolf Nissen (1896–1981), zweite Reihe, 5. v. re. Eine Frau ist unter den 60 Personen nicht zu entdecken (aus [40]).