Chirurginnen. Volker Klimpel

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Название Chirurginnen
Автор произведения Volker Klimpel
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783942825887



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Die medizinischen Fakultäten blieben ihnen verschlossen und rigorose Verbote der Kirche taten ein Übriges. Heinrich V. von England (1387–1422) verbot generell das Praktizieren von Frauen und drohte drastische Strafen an. Und Heinrich VIII. (1491–1547) verkündete, „dass kein Zimmermann, Schmied, Weber oder Frauen eine chirurgische Operation durchführen“ durfte. Eine interessante Kombination … In Paris standen 1322 fünf Frauen unter Anklage des unerlaubten Praktizierens. Kronzeuge der Anklage war der Chirurg Johann von Padua, Wortführerin der Beklagten Jacqueline Felice de Almania, die argumentierte, Frauen würden von einer Ärztin besser behandelt, weil sie auch „Brüste, Bauch und Füße“ untersuchen könnte, was dem männlichen Arzt verwehrt war. Acht Zeuginnen unterstützten sie, doch das Gericht entschied – natürlich – zugunsten der Männer und verurteilte Felice de Almania und fünf andere Ärztinnen zur Exkommunikation. Damit hatten die Frauen noch Glück, die Strafe hätte viel schlimmer ausgehen können (S. 29 [24]). Die ausgeprägte Frauenfeindlichkeit im Mittelalter bezog ihre Rechtfertigung daraus, dass eine Frau, nämlich Eva, den Sündenfall der Menschheit verursacht habe. In diesem Geiste wurden Traktate verbreitet, in denen die Frau gleich nach der Schlange kam und mit dieser in Verbindung gebracht wurde, denn „Frauen sind zum größten Teil giftige Geschöpfe“ [117].

      Ein Ausweg führte über die Tätigkeit als Hebamme oder als Gehilfin bei Badern und Wundärzten, wobei eine eventuelle Übernahme des Geschäftes des Ehemannes möglich war. Die Frauen, sofern sie als „ehrbar“ erachtet worden waren, wurden in die Innungen und Zünfte eingegliedert, mussten Prüfungen ablegen und den Handwerkseid schwören (S. 197 [68]). Eine von ihnen war Agathe Streicher (1520–1581) in Ulm, die von ihrem Bruder, einem Wundarzt, ausgebildet und später von der Stadt angestellt worden ist (s. biogr. Teil) [70]. Es verwundert nicht, dass auch der Reformator Martin Luther (1483–1546) im Geschlechterkampf herangezogen wurde mit seinem Ausspruch: „Es ist kein Rock noch Kleid, das einer Frau oder Jungfrauen über anstehet, als wenn sie klug sein will“.

      Auch ein Blick in fernere Regionen zeigt die absolute Dominanz des männlichen Geschlechts im Arztberuf. Sei es in Ägypten oder im sonstigen Arabien, in Mesopotamien, Tibet oder Mexiko – alles Kulturen auf hohem Niveau – überall ist ausschließlich von Männern die Rede, die die Heilkunst betreiben. Auch in Japan wird erst im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der europäischen Medizin in Einzelfällen möglich, dass Frauen chirurgisch tätig sind (s. „Porträts“).

      Gestern

      Jahrhundertelang sah es trübe aus für Frauen in der Medizin, insbesondere in der Chirurgie. Es gab – in der Antike und im frühen Mittelalter – schon einmal bessere Zeiten. Auch das Zeitalter der Aufklärung, von dem man es dem Namen nach eigentlich hätte erwarten können und das nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) langsam einzusetzen begann und bis um 1800 andauerte, brachte keine Besserung hinsichtlich der Emanzipation der Frauen im Allgemeinen und in der Heilkunde im Besonderen. Die Strukturen blieben patriarchalisch, und auch mit einsetzender Industrialisierung täuscht der Eindruck nicht, dass Niedertracht, wie sie schon Dorothea Erxleben geißelte, Prüderie, vorgeschobene psycho-physische Gründe und durchaus auch Futterneid der männlichen Kollegen den Eintritt von Frauen in die medizinische Welt erschwerten, wenn nicht gar unmöglich machten.

      Außerhalb Deutschlands war man da schon etwas weiter. Wenngleich es auch dort nicht ohne Kämpfe abging. In den USA verhinderten zum Beispiel männliche Studenten in Boston zunächst, dass ihre Kommilitonin Harriot Hunt (1805–1875) Vorlesungen besuchte. In ihrem Protest heißt es u. a.: „Es sei beschlossen, dass keine Frau von wahrem Zartgefühl willens wäre, in Gegenwart von Männern der Erörterung von Gegenständen zu lauschen, die bei Studenten der Medizin zwangsläufig zur Sprache kommen. Es sei beschlossen, dass wir gegen die uns aufgedrängte Gesellschaft eines jeglichen weiblichen Wesens sind, das gesinnt ist, sein Geschlecht zu verleugnen und durch gemeinsames Auftreten mit Männern im Hörsaal seine Sittsamkeit zu opfern“ (zit. n. [81] S. 565–569). Man meinte, die Heilkunde, besonders da, wo sie sich mit sexuellen Dingen befasste, sei für Frauen ein unziemlicher Gegenstand des Interesses. Mit Hilfe ihres Dekans, des berühmten Oliver Wendell Holmes (1809–1894), wurde Miss Hunt dann doch noch in der Harvard School of Medicine aufgenommen und machte ihren Weg. Die fest in Männerhand befindliche „American Medical Association“ stellte 1871 fest: „Noch eine Krankheit ist epidemisch geworden. Die ‚Frauenfrage’ ist in Bezug auf die Medizin nur eine der Formen, in denen die ‚pestis mulieribus’ die Welt verdrießt … steckt die Massen mit ihrem Gift an und dringt selbst durch den dreifachen Erzring, die des Politikers Herz umgibt“ (S. 571 [81]). Das war alles andere als ironisch gemeint. Und doch war es Amerika, wo die ersten Frauen Medizin studierten und promovierten: Elizabeth Blackwell (1821–1910) 1849 in New York und ihre Schwester Emily Blackwell (1826–1910) 1854 in Cleveland/Ohio. Letztere stand als Privatassistentin des Gynäkologen James Young Simpson (1811–1870) eine Zeit lang in enger Beziehung zur operativen Medizin und wurde dann zur Frauen- und Kinderärztin.

      Elizabeth Blackwell operiert

      Hier ist auch die Britin Sophia Jex-Blake (1840–1912) zu erwähnen, die um 1870 an der Universität von Edinburgh erlebte, wie männliche Studenten den Hörsaal verbarrikadierten und die Einlass begehrenden Frauen mit Schmutz bewarfen und beschimpften. Als die Frauen den Hörsaal erreichten, trafen sie auf Schafe und Bemerkungen, dass nun auch „niedrige Tiere“ nicht mehr von den Vorlesungen ausgeschlossen seien. Jex-Blake setzte ihre Studien bei Elizabeth Blackwell in New York fort, gründete später in Edinburgh eine eigene Medizinische Schule, an der wiederum nach 1899 auch Blackwell lehrte (S. 100–101 [97]). Zulassungen zum Medizinstudium gab es für Frauen seit 1833 in den USA, 1863 in Frankreich, 1864 in der Schweiz, 1896 in England und 1878 in Holland. Bei aller Fortschrittlichkeit der Medizin in den USA dauerte es immerhin bis 1981, als sich die Chirurginnen in der „Association of Women Surgeons“ organisierten.

      „Madam Mapp“ – Satirische Darstellung einer Londoner Chirurgin, die vor allem Knochen­einrenkerin war, von William Hogarth (1697–1764).

      Zurück auf den alten Kontinent. Mit einer Ausnahmegenehmigung ihres Schwagers Elias von Siebold (1775–1828), seines Zeichens Hofacchoucheur und Lehrer der Geburtshilfe, durfte Josepha von Siebold verw. Heiland (1771–1849) in Würzburg Medizin und Geburtshilfe studieren, musste dabei die Vorlesungen abgeschirmt hinter einem Vorhang hören. Nach einem vierstündigen, „mit Bravour“ bestandenen Examen vor dem Darmstädter Medizinalkollegium erhielt sie ihre Zulassung als Ärztin und praktizierte zusammen mit ihrem Ehemann Dr. med. Damian von Siebold (1768–1828) in Darmstadt. 1815 verlieh ihr die Universität Gießen die Ehrendoktorwürde für Geburtshilfe. Josepha von Siebolds älteste Tochter Charlotte von Siebold-Heiland (1788–1859) promovierte sogar regulär 1817 in Göttingen und trat in die Praxis ihrer Mutter ein. Sie berichtete aus ihrem Studium von dem berühmten Professor der Geburtshilfe, Johann Friedrich Osiander (1759–1822), der sich in typisch männlicher Weise äußerte: „… ich glaubte nie, dass beim Unterricht charakterloser Weiber und Mädchen viel Erfreuliches herauskomme … Das Schwangerwerden steht ihnen auf jeden Fall besser an, als über Schwangerschaft zu schreiben“ (zit. n. [45] S. 111). Als 53-Jährige heiratete sie einen 14 Jahre jüngeren Mann – was für ein Skandal! Charlotte von Siebold, nun verehelichte Heidenreich, gehörte zum Geburtshelferteam, das 1819 Prinzessin Alexandrine Victoria, die spätere Königin Victoria von England (1819–1901), zur Welt brachte <QI7>.