Chirurginnen. Volker Klimpel

Читать онлайн.
Название Chirurginnen
Автор произведения Volker Klimpel
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783942825887



Скачать книгу

[7].

      Die einzelnen Länder machten in unterschiedlicher Geschwindigkeit davon Gebrauch: In Baden konnten sich Frauen ab 1901 an einer Universität zum Studium einschreiben, in Bayern 1903/04, in Württemberg 1904/05, in Sachsen 1906/07, in Preußen 1908/09, nachdem die Universität Breslau in der preußischen Provinz Schlesien 1898 vorangegangen war, und zum Schluss Mecklenburg 1909. In Breslau haben sich in der Ära der Chirurgen Hermann Küttner (1870–1932) und Karl Heinrich Bauer (1890–1978) auffällig viele Studentinnen für die Chirurgie interessiert und sich bei diesen beiden Klinikchefs eine Doktorarbeit mit chirurgischer Thematik geben lassen, die damals noch die ganze Bandbreite einschließlich Orthopädie und Urologie umfasste. Einige von ihnen sind nach erfolgreicher Promotion dann als Medizinalpraktikantinnen in die Chirurgische Klinik gegangen. Im festen Mitarbeiterstab von Professor Bauer stand allerdings um 1940 mit „Fräulein Fischer“ nur eine Frau 12 männlichen Kollegen gegenüber [104]. Nicht verheiratete Frauen wurden bis weit in die Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts „Fräulein“ genannt und bezeichneten sich selbst oft auch so.

      „Die Medizinerin“ – aus der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ (1887).

      Hans Virchow (1852–1940) re. beim Präparierkurs für Frauen in Berlin 1903/04

      Ein wenig schienen sich die Schleusen zu öffnen, auch wenn der Kampf noch längst nicht zu Ende war. Unter dem Motto „Frauen behandeln Frauen“ gab es seit 1877 in der Reichshauptstadt Berlin die ersten Kliniken und Polikliniken weiblicher Ärzte, die anfangs mit ihren ausländischen Patenten die Tätigkeit nur privat und halblegal ausführen konnten. Im April 1908 – das Frauenstudium war inzwischen gesetzlich verankert – eröffnete die erste chirurgische Klinik weiblicher Ärzte in Berlin-Schöneberg. Die Chirurginnen waren hier Agnes Hacker (s. u.) und Franziska Tiburtius. Zur Jahrhundertwende hin war bereits in der Berliner Bülowstraße, ebenfalls im Ortsteil Schöneberg, eine moderne Frauenklinik mit chirurgischem Profil entstanden. Das Operationsspektrum bestand aus Laparotomien, Hysterektomien, Ovarektomien, Prolapsoperationen und weiteren nicht näher beschriebenen Bauchoperationen. Aufgrund der steigenden Operationsfrequenzen reichten Betten- und Operationssaalkapazität in der Bülowstraße 1905 schon nicht mehr aus, so dass erweitert werden musste. Hacker, Tiburtius und Kolleginnen führten ad absurdum, was u. a. der Internist Franz Penzoldt (1849–1927) in die Debatte wider die weiblichen Ärzte geworfen hatte: „… Die geringere Körperkraft muss akut hinderlich sein bei der Durchführung schwerer chirurgischer und geburtshilflicher Operationen … Dazu kommt, dass … die Frauenärztinnen so gut wie ausschließlich die sogenannte kleine Gynäkologie und Geburtshilfe treiben, größere Operationen in beiden Gebieten aber den männlichen Kollegen zuweisen“ [94]. Nun, als Internist war Penzoldt ohnehin nicht satisfaktionsfähig …

      Anatomischer Präparierkurs für Frauen und Männer 1907 an der Universität in Halle an der Saale

      Ungeachtet aller Steine, die den Frauen in den Weg gelegt wurden, folgten weitere Einrichtungen von Frauen für Frauen, wobei die Ausrichtung mehr allgemeinmedizinisch, pädiatrisch und gynäkologisch war als chirurgisch. Um sich ein Bild zu machen, wie es zu jener Zeit, aus der das Zitat von Penzoldt stammt, um die gesellschaftliche Akzeptanz des Frauenstudiums stand, lohnt sich ein Blick in „Meyers Konversations-Lexikon“. In dieser „Zierde bürgerlicher Bildung“ steht u. a. geschrieben: „Die übrigens schwer zu begründende Behauptung der Gegner des Frauenstudiums, dass dem weiblichen Geschlecht die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Forschung abgehe, kann nicht als entscheidend gelten … In der That haben nicht wenige Frauen in der Pflege der Wissenschaften bereits Hervorragendes geleistet“. Das klingt zunächst verheißungsvoll, wird aber im selben Atemzug eingeschränkt: „Wie weit Frauen zum Universitätsstudium zuzulassen sind, ist … vielmehr davon abhängig zu machen, wie weit die Ausübung der höheren Berufsarten als vereinbar mit dem Naturell und der Leistungsfähigkeit der Frauen sowie mit den tiefer begründeten sittlichen Anschauungen eines Volkes gelten können“. Im medizinischen Bereich werden den Ärztinnen vorzugsweise die Frauen- und Kinderkrankheiten zugewiesen (lesenswert dazu [18]). Und „sollte man sich endgültig für die Zulassung der Frauen zum Studium entscheiden, so wird jedenfalls von ihnen das gleiche Maß von Vorkenntnissen wie von den Männern gefordert werden müssen“, um dann abschließend ganz im alten Stil zu postulieren: „Dem Mann der Staat, der Frau die Familie!“ [83].

      Wenn auch die Zeit darüber hinweg ging, so wollte sich der durch und durch konservative Chirurgie-Heros Ernst von Bergmann (1836–1907), seinerzeit Direktor der I. Chirurgischen Universitätsklinik in der Berliner Ziegelstraße, mit dem allmählichen Eindringen der Frauen in die Männerdomäne nicht abfinden und versuchte, die Kassentätigkeit von in Deutschland nicht approbierten Ärztinnen durch die Ärztekammer Branden­burg untersagen zu lassen. Dr. med. Jenny Springer (1860–1917), eine Berliner Ärzte-Pionierin mit chirurgischer Vorbildung, und ihre Kolleginnen verhinderten dies (1901/02). Da war Bergmanns chirurgischer Antipode Carl Ludwig Schleich (1859–1922), der Begründer der Infiltrationsanästhesie, schon wesentlich fortschrittlicher, wenn er in der ihm eigenen poetischen Art formulierte: „Ist die Frau weniger wert als der Mann? Wer diese Frage beantwortet, kann auch sagen, ob Feuer mehr wert ist als Wasser!“

      Eine Ausnahme unter den Klinikchefs und Ordinarien mit viel Verständnis für die jungen Kolleginnen war zwar kein Chirurg, aber dennoch ein operativer Mediziner: Der Geheime Medizinalrat Professor Franz von Winckel (1837–1911). Er wirkte von 1872 bis 1883 als Direktor der Königlichen Landesentbindungsanstalt und Frauenklinik in Dresden und von 1883 bis 1907 als Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität München. F. von Winckel war zeitweise der einzige Kliniker in Deutschland, der weibliche Volontäre beschäftigte [59]. Er äußerte sich 1893 dazu wie folgt: „Ich habe während 21 Jahren in Dresden und in München gegen 40 weibliche Ärzte als Volontärassistentinnen in den von mir geleiteten Frauenkliniken beschäftigt, meist Ausländerinnen, einige auch aus Deutschland, die aber auf außerdeutschen Universitäten studiert hatten. Ich muss … bemerken, dass ich es mit einem auserlesenen Material zu tun hatte, in dem mir Frau Prof. Heim-Vögtlin, meine frühere Schülerin, diejenigen Bewerberinnen aussuchte, von denen sie gewiss war, dass sie ihrer Empfehlung Ehre machen würden. Und das haben sie auch in jeder Beziehung getan. Pflichtgetreu, fleißig, gewissenhaft und aufs Eifrigste bemüht, all ihre Zeit bestens auszunutzen, habe ich die Leistungen der meisten dieser Schülerinnen mit Freuden als mindesten gleichwertig mit denen ihrer Mitvolontärärzte anerkennen müssen“ [113]. Bei von Winckel lernten u. a. Emilie Lehmus (1841–1932), Franziska Tiburtius (s. u.), Marie Heim-Vögtlin (1845–1916), Hope Bridges Adams-Lehmann (1835–1916), Ida Democh-Mauermeier (1877–1950), Dorothea Haenel-Dietrich (1880–1965). Sie alle waren als „Ärztinnen der ersten Stunde“ in fachlicher Hinsicht zunächst Allrounderinnen und hatten auch eine chirurgische Schulung genossen, bevor sie dann als praktische Ärztinnen oder Spezialistinnen arbeiteten, was mit der reichseinheitlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnung seit 1883 möglich