Adular (Band 2): Rauch und Feuer. Jamie L. Farley

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Название Adular (Band 2): Rauch und Feuer
Автор произведения Jamie L. Farley
Жанр Языкознание
Серия Adular
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038961550



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verlief von der Oberlippe über ihren Nasenrücken. Die filigranen Äste waren kahl und aufwendig verzweigt; sie spannten sich ausladend über ihre gesamte Stirn. Die weiße Farbe, mit der das Zeichen aufgebracht worden war, stand im starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut.

      Zudem hatte Arik darauf bestanden, dass sie eine dritte Person mit sich nahmen. Seine Schwester Nara hatte vorübergehend die Stadt verlassen. Sie war vor drei Tagen mit einer Jägergemeinschaft tief in den Wechselwald gegangen und würde erst übermorgen zurückkehren.

      »Wir sollten eintreten«, murmelte Elanor. »Die Schattenklinge wird bald da sein.«

      Gemeinsam betraten sie das Haus.

      Für einen kurzen Moment stellte sich Elanor vor, wie es zuvor hier ausgesehen hatte. Sie füllte die Leere mit den Spuren der ehemaligen Bewohner. Dort in der Ecke war das Bett, hier vorne ein Tisch mit vier Stühlen, über einem von ihnen hing ein Mantel. An den Wänden reihten sich einige Schränke für Lebensmittel, Kleidung und Kleinigkeiten, die keinen anderen Platz im Haus gefunden hatten. Links neben der Tür stand ein Paar schmutzige Stiefel.

      Elanor blinzelte einmal, und das Gedankenkonstrukt fiel in sich zusammen, ließ kahle Finsternis zwischen vier Wänden zurück.

      Sie zog die Kapuze ihres dunkelbraunen Umhangs tiefer ins Gesicht. An sich war es nicht notwendig, sich zu maskieren, aber es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.

      Die nächtliche Finsternis wickelte sich um sie wie eine riesige schwarze Schlange. Sie spürte die kühle, schuppige Haut an ihrer eigenen reiben. Ihr Brustkorb wurde zusammengedrückt, die Luft gewaltsam aus ihren Lungen gepresst. Die beiden Beutel mit dem Gold, das sie der Gilde in den gierigen Schlund stopfen würde, wogen plötzlich schwerer als zuvor an ihrem Gürtel.

      Unbewusst strich sie sich über den Bauch, fühlte die Wölbung und zog abrupt ihre Hände zurück.

      »Geht es dir gut?«, fragte Arik vorsichtig.

      »Nein«, murmelte Elanor wahrheitsgemäß. »Er fehlt mir.«

      Er fehlt mir, echote es in ihrem Kopf. Die letzten Stunden seines Lebens waren wahrscheinlich eine einzige Qual. Er war hungrig, litt Schmerzen und wusste, dass er nicht zu mir zurückkommen würde. Umbra hat seine Leiche vermutlich im Dreck verscharrt. Ich konnte nichts tun, um ihn zu retten. Ich habe ihn im Stich gelassen.

      »Ich weiß, mir ebenfalls«, erwiderte der Magier bekümmert. »Und deinen …« Seine Worte verschwammen. Bienensummen. »… ist mit ihnen alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?«

      Ivorien neigte den Kopf leicht zur Seite. Ihre blassroten Augen musterten sie mit einer Mischung aus Mitleid und Unsicherheit.

      Elanor starrte ausdruckslos in die Dunkelheit des Hauses. »Die Schattenklinge sollte gleich hier sein«, wiederholte sie leise.

      Arik schien etwas sagen zu wollen.

      Ivorien hielt eine Hand hoch und schüttelte den Kopf. »Mh-mh.«

      Er seufzte lautlos und fuhr sich mit der knochigen Hand durchs zerzauste schwarze Haar. »Ja, du hast recht.« Er streifte sich seine Kapuze über.

      Wenige Momente später wurde die Tür von außen geöffnet. Ivorien berührte die Waldelfin an der Schulter.

      Elanor sah der dunklen Gestalt entgegen, die sich ins Innere des Hauses schlich. Das musste die Schattenklinge sein, auf die sie warteten, Ivorien hatte sie sofort erkannt. Für die nachtsichtigen Augen der Dunkelelfin war die Finsternis kein Hindernis. Größe und Statur der Silhouette ließen darauf schließen, dass es sich um einen Zwerg handelte. Ob er auch Umbras unverwechselbare Kluft trug, konnte Elanor nur raten.

      Die Waldelfin trat ihm entgegen, während sich Arik und Ivorien im Hintergrund hielten.

      »Seid Ihr die Frau, die nach den Schatten gerufen hat?«, fragte er. Seine Stimme drang mit einem dunklen Rumpeln aus seinem Brustkorb.

      »Die bin ich«, bestätigte Elanor knapp.

      Die Schattenklinge trat ins fahle Mondlicht. Elanor erkannte einen langen Bart, höchstwahrscheinlich blond, der seltsam unregelmäßig gewachsen war. »Wie schön, Euch zu treffen«, sagte er unerwartet fröhlich. »Mein Name ist Grem. Mit wem habe ich das Vergnügen? Wer sind Eure Begleiter?«

      Elanor war sprachlos. Auf einen ernsten Assassinen, der sie finster anstarrte, war sie vorbereitet gewesen. Nicht auf einen heiteren Gesellen, der mit ihr sprach, als wäre sie eine alte Freundin.

      Der Zwerg lachte röhrend. »Verzeiht, habe ich Euch so sehr verschreckt, dass Ihr Euren Namen vergessen habt?«

      »El…eniel«, antwortete die Waldelfin. Obwohl es viele Elfen namens Elanor gab, hielt sie es für besser, ihren Namen nicht zu nennen. Wahrscheinlich war Grem auch nicht sein richtiger Name. »Ein Freund und seine Sklavin begleiten mich.«

      »Grüße!« Der Zwerg verneigte sich in Richtung Arik. »Darf ich fragen, warum genau Ihr eine Sklavin mitnehmt?«

      »Zu unserer Sicherheit«, entgegnete Arik. »Sie ist darauf trainiert, ihr Leben für unseres zu geben.«

      Ivorien nickte mit grimmiger Entschlossenheit.

      »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, fügte der Magier hinzu.

      Elanor hielt dem prüfenden Blick des Zwergs stand, den sie zwar nicht sehen, aber deutlich fühlen konnte. Sein Gesicht lag bis zum Unterkiefer im Schatten seiner Kapuze.

      »Das ist nicht nötig. Umbra ist professionell, wir sind gut zu unseren Auftraggebern, wenn sie gut zu uns sind. Alles andere wäre schlecht fürs Geschäft«, erwiderte die Schattenklinge. »Wenn Ihr Euch so besser fühlt, soll es mir recht sein. Kommen wir zum Geschäftlichen.«

      Elanor entspannte sich zunehmend. Dieser Assassine war bei Weitem nicht so bedrohlich und unheimlich, wie sie erwartet hatte. Sie fühlte sich nicht wie jemand, der gleich einen Pakt mit der gefürchteten Gilde Umbra schließen würde, sondern wie jemand, der mit einem Händler auf dem Markt um ein paar Töpfe und Pfannen feilschte.

      Als sie realisierte, wie sehr sie sich in einer trügerischen Sicherheit wiegte, hallte ein schriller Warnruf ihres Instinkts durch ihren Geist. Es ist ein Spiel. Er erscheint mir als Freund und hält dabei ein Messer hinter seinem Rücken versteckt.

      Sie musste wachsam bleiben. Das Stechen in ihren Schläfen steigerte sich wieder.

      »Eines vorweg: Ihr seid nicht hier, um einen Mordauftrag entgegenzunehmen.« Ihre Stimme war ruhig, obwohl in ihr ein Orkan tobte. Sie war das Auge des Sturms. Es war wichtig, dass sie ihre Rolle überzeugend spielte. Für Dûhirions Seelenfrieden. »Ich brauche lediglich Informationen.«

      Grem stemmte die Hände in die Hüfte. Aus der Dunkelheit seiner Kapuze drang ein amüsiertes Glucksen. »Sehe ich aus wie ein Archivar? Wenn Ihr Informationen wollt, seid Ihr in einer Bibliothek besser aufgehoben als bei Umbra.«

      Sein Hohn war subtil, versteckt unter dem freundschaftlichen Tonfall, doch er schnitt tief.

      Für die kurze Zeit zwischen zwei Herzschlägen fürchtete Elanor, die Fassung zu verlieren. Das Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie kaum etwas anderes hören konnte. Sie verspürte das kindliche Bedürfnis, jemandes Hand zu halten. Der Schmerz in ihrem Kopf weitete sich auf ihren Nacken und die Schultern aus. Es fühlte sich an, als würden eiserne Dornen in ihren Schädel eindringen und sich aus den Augen wieder herausgraben.

      Die Waldelfin fasste sich und brachte ein humorloses Lächeln zustande. »Glaubt Ihr, ich würde mich auf eine Gilde voller Mörder einlassen, wenn ich diese Informationen in Büchern fände? Es geht um eine Schattenklinge. Einen Dunkelelfen.«

      »Um welche Art Information bittet Ihr mich?« Die Körperhaltung des Assassinen wurde sichtbar missbilligend. Er lehnte sich leicht zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Hatte er sich endlich entschieden, sein Schauspiel zu beenden?

      Der Knoten in Elanors Eingeweiden zog sich fester zusammen. Eine Welle der Übelkeit schwappte in ihr hoch und zerschellte an ihrem