Adular (Band 2): Rauch und Feuer. Jamie L. Farley

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Название Adular (Band 2): Rauch und Feuer
Автор произведения Jamie L. Farley
Жанр Языкознание
Серия Adular
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038961550



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müssen. Sie wollte es benutzen. Wollte demjenigen vor der Tür wehtun, wollte ihm zeigen, dass sie nicht hilflos war. Fürchtete, versehentlich einen tödlichen Treffer zu erzielen, wenn sie gegen einen möglichen Angreifer vorging. Fürchtete gleichzeitig, dass es ihr weggerissen wurde und sie gänzlich ohne Waffe dastand.

      »Was ist los mit dir?«, fragte der erste Mann verwundert und deutlich leiser.

      »Sei nicht so zornig, du verschreckst sie nur«, fügte der Dritte lallend hinzu.

      Elanors Körper wurde von einer gänzlich anderen Anspannung erfasst. Es war nicht mehr der Gedanke an eine Flucht, der sie trieb. Ihre Sinne wurden schärfer denn je. Ein metallischer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus, ihre Muskeln brannten. Sie würde vor diesen Elfen nicht weglaufen und sich aus ihrem eigenen Haus vertreiben lassen.

      »Er meint es nicht so«, rief der zweite Mann. »Er ist betrunken.«

      Drei der vier Waldelfen lachten. Wieder hallte der hämische Kinderchor durch ihre Erinnerung. »Elternfresserin«, kreischte er. »Elanor hat keine Eltern, weil sie sie aufgefressen hat!«

      »Mach – die – Tür – auf!« Die Tür erzitterte mit jedem einzelnen Wort. Es klang, als würde sich der Vierte mit aller Kraft dagegen werfen.

      Elanors Augen verengten sich. Kommt nur, dachte sie angespannt. Wagt es, mein Haus zu betreten, und ihr werdet es bereuen!

      »Ich schwöre dir, ich bringe dich um«, brüllte der Vierte. »Dich, deine Missgeburten und die Grauhaut, die sie gezeugt hat.«

      Elanor setzte einen Schritt vor.

      »Warte«, zischte Arik alarmiert.

      Sie hörte ihn kaum. Die kleine Flamme der Wut, die zunächst in ihr gebrannt hatte, war zu einem zornigen Inferno geworden. Sie spürte die Hitze in jeder Faser ihres Körpers, und der Drang, diese neue Energie in Zerstörung umzuwandeln, wurde stärker. Ein Schrei wuchs in ihrer Brust, drückte von innen gegen ihre Rippen und raubte ihr den Atem.

      Dummköpfen wie euch ist es zu verdanken, dass Dûhirion in Umbras Hände gefallen ist, dachte sie zähneknirschend. Durch euer ignorantes, rückständiges Denken habt ihr ihn den Schändern dieser Gilde ausgesetzt. Wäre er bei mir gewesen, wäre ihm nichts passiert.

      »Nein. Nein, nein«, sagte der Zweite. »Wir wollen niemanden umbringen. Wir wollten doch nur ein bisschen unseren Spaß haben, erinnerst du dich?«

      »Fass mich nicht an«, fauchte der Vierte.

      »Kommt doch«, flüsterte sie durch zusammengebissene Zähne.

      Arik hielt sie am Ellenbogen fest.

      »Kommt und versucht mich zu holen!« Tränen rannen über Elanors Wangen. »Ich werde euch für das büßen lassen, was Dûhirion durchleiden musste.«

      Die Gruppe diskutierte noch einen Moment und endlich gab der vierte Mann auf. »Ach, verrotte doch in deinem Haus!«

      »Ewig kann sie sich ohnehin nicht verkriechen«, beschwichtigte ihn der Erste. »Und bald wird sie auch niemand mehr verteidigen wollen. Irgendwann wird sie bekommen, was sie verdient.«

      »Ich hoffe, sie geben Bescheid, wenn es so weit ist«, erwiderte der Vierte. »Ich will dabei sein.«

      »Und ich will ein Weib haben.« Der Zweite hob seine Stimme. »Lasst uns ins Bordell gehen, Männer! Wie wir alle wissen, sind Dunkelelfen die besten Liebhaber.«

      Das Gelächter der Gruppe entfernte sich langsam. Auch Minuten danach stand Elanor zitternd an ihrem Platz und hielt das Stilett fest umklammert.

      »Es ist vorbei«, sagte Arik tonlos. Die Kraft des Sturms, die er gesammelt hatte, verwehte sanft. Er trat vor sie und musterte sie forschend. »Bitte lass die Waffe fallen.«

      Elanor zwang sich, das Stilett loszulassen. Sie senkte den Blick auf ihre Füße und wischte die schweißnasse, klamme Hand an ihrem Kleid ab. »Elende Trunkenbolde.« Sie wollte schreien und gegen die Tür schlagen. Doch weil sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, diese Kraft in Zerstörung umzuwandeln, begann sie bitterlich zu weinen.

      Arik zögerte einen Moment, ehe er sie sanft in seine Arme schloss. Die Waldelfin barg das Gesicht in seiner Robe, nahm den würzigen Duft von Heilkräutern auf, der ihm stets anhaftete. So verweilten sie, bis sie sich beruhigt hatte.

      Elanor löste sich langsam vom Heiler und strich über den tränennassen Stoff seiner Kleidung. »Entschuldige«, flüsterte sie heiser. »Ich wollte nicht …«

      »Du musst dich nicht entschuldigen«, unterbrach der Heiler. Er begleitete sie zu der gepolsterten Sitzbank vor ihrem kalten Kamin und setzte sich mit ihr.

      »Ist es wirklich so falsch, was wir tun, Arik?«, fragte Elanor bedrückt.

      »Nein«, antwortete er sofort. »Im Gegenteil: Es ist genau das Richtige. Es ist das, was Adular braucht. Solche Dummköpfe versuchen uns für etwas zu bestrafen, was sie nicht begreifen und deshalb verurteilen.«

      Die Waldelfin nickte kaum merklich. »Tut mir leid, dich heute Nacht so lange zu beanspruchen.«

      »Dass diese Männer vor deiner Tür aufgetaucht sind, ist schwerlich deine Schuld«, entgegnete Arik. »Wenn ich ehrlich bin, möchte ich dich heute Nacht ungern alleine lassen. Komm mit mir. Naras Bett ist frei und falls diese Vandalen zurückkehren, bist du in Sicherheit.«

      Elanor überdachte sein Angebot. Sie ließ den Blick durch das leere, dunkle Haus schweifen. Schließlich drehte sie sich ihm gänzlich zu. »Ja, ich denke … heute würde ich hier keine Ruhe finden.«

      Arik stand auf. »Dann lass uns gleich aufbrechen. Es ist spät und du brauchst dringend Schlaf.« Wieder zögerte er und fügte hinzu: »Auch im Hinblick auf deine …«

      Rauschen. Bienensummen. Elanor nickte wie selbstverständlich. Sie verließen ihr Haus wieder.

      »Sei vorsichtig«, sagte der Heiler vor ihr. »Es liegen Scherben vor der Tür.«

      Die Waldelfin besah sich das Chaos, das die Männer in der kurzen Zeit angerichtet hatten. »Ich kümmere mich morgen darum …«

      Sie konnten sich glücklich schätzen, dass die Waldelfen zu betrunken gewesen waren, um zu bemerken, dass die Tür nicht verriegelt war. Elanor schauderte bei dem Gedanken, dass sie jederzeit hätten ins Haus kommen können, hätten sie einfach die Klinke benutzt.

      Wie lange saß er schon hier unten fest? Dûhirions Blick tastete sich an der rauen, feuchten Steinwand entlang bis an die Decke. Seine Zelle hatte keine Fenster, es gab keinen Tag- und Nachtwechsel, keinen Sonnenstand, anhand dessen er die vergangene Zeit abschätzen konnte. Zeit hatte an Bedeutung verloren. Was war eine Minute im Vergleich zu einer Stunde hier unten? Tage konnten ebenso gut Wochen sein. Alles rann ihm durch die gebrochenen Finger wie Sand; wie sein eigenes Blut, wenn sich eine neue Wunde an seinem geschundenen Körper auftat. Zeit maß sich allein an der Abstinenz oder der Anwesenheit von Schmerz.

      Wenn die Heilerin Jonna ins Verlies geschickt wurde, bedeutete das eine Weile des relativen Friedens. Sie versorgte seine Verletzungen, richtete die gebrochenen Knochen und half ihm dabei, sich trotz der Fesseln zu säubern. Jedes Mal, wenn sie bei ihm war, versicherte sie ihm, dass er keine Narben davontragen würde. Dûhirion wusste nicht, ob ihm das ein Trost sein sollte oder ob sie das bloß sagte, um die Stille zu füllen.

      Schwerfällig hob er den linken Arm und berührte seine rechte Gesichtshälfte. Das Rasseln der massiven Ketten begleitete seine Bewegung. Jonna hatte bei ihrem letzten Besuch lediglich die klaffenden Wunden in seinem Gesicht geheilt.

      Der Körper des Dunkelelfen blieb eine blutige, deformierte Hülle. Einige seiner Rippen waren gebrochen, die frischen Striemen auf seinem Rücken bluteten nicht mehr, doch sonderten unaufhörlich Wundsekret ab. Schwere Verbrennungen zeichneten seine Füße, das Feuer hatte sich besonders tief in die Sohlen gefressen. Sein Gesicht war geschwollen, die trockenen Lippen aufgerissen. Fieber loderte heiß in seinen Adern,