Adular (Band 2): Rauch und Feuer. Jamie L. Farley

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Название Adular (Band 2): Rauch und Feuer
Автор произведения Jamie L. Farley
Жанр Языкознание
Серия Adular
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038961550



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So leise wie möglich kam sie aus dem Busch, in dem sie sich verborgen hatte.

      Ein letztes Mal sah sie sich prüfend auf der Straße um, bevor sie auf die kleine Hütte zuging.

      Es war kurz nach Mitternacht und die Oberstadt von Malachit lag in dunklem Schlummer. Seit dem Überfall der Rebellen auf die Farmen nördlich der Stadt gab es einige leer stehende Häuser. Tote waren der Tribut des Angriffs. Es hatte nicht die Sklaventreiber getroffen, auf die es die Rebellen wahrscheinlich abgesehen hatten, sondern dunkelelfische Sklaven, Tagelöhner und Arbeiter – Unschuldige.

      Elanor fühlte sich nicht wohl dabei, in das Haus eines Toten einzubrechen und den Nachlass eines Mordopfers für ihre Zwecke zu nutzen. Erst vorgestern waren die Hütte geräumt, sämtliche Besitztümer des ehemaligen Bewohners verkauft, verschenkt oder weggeworfen worden. Aber sie brauchte einen neutralen, sicheren Ort, an dem sie dieses Treffen abhalten konnte.

      Die Waldelfin rang ihre Nervosität nieder und brachte das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle, bevor sie den Dietrich ins Türschloss schob. Der Mond spendete genug Licht, um arbeiten zu können.

      Drei Tage war es her, dass die Zwergin Maryn vor ihrer Tür gestanden und ihr offenbart hatte, dass ihr Geliebter tot war.

      Dûhirion ist tot …

      Ermordet von Umbra, hingerichtet wegen Hochverrats. Verzweiflung hatte sich wie eine vergiftete Nadel in ihr Fleisch gesenkt und grub sich seither immer tiefer.

      Mein Herz ist tot …

      Sie spürte das Gift mit jedem Atemzug, den sie weiterhin tat, obwohl Dûhirion seinen letzten ausgehaucht hatte. Sie spürte es mit jedem Schlag ihres Herzens, das weitermachte, obwohl das von Dûhirion verstummt war.

      Er war ihr brutal entrissen worden und hatte kalte, alles verschlingende Leere hinterlassen. Das Letzte, was sie für ihn tun konnte, war, seine Leiche zu bergen und beizusetzen. Sie hatte seinen Körper nicht retten können, doch wenigstens seiner unsterblichen Seele wollte sie die verdiente Freiheit schenken.

      Wenn die Götter seiner Seele Frieden schenken wollen. Der Gedanke zog wie eine schwarze Wolke in ihrem Kopf auf. Schwer und trostlos. Sie haben zugelassen, dass Umbra ihn tötet. War unsere Liebe doch ein Vergehen? Viriditas hat ihren Segen über unsere Kinder und mich gesprochen. Ich dachte … Das Atmen fiel ihr schwerer, der Drang zu weinen schnürte ihr den Hals zu. Was auch immer ich dachte, ich lag falsch.

      Vielleicht war das alles ihre Strafe für eine Liebe, die nie sein durfte. Dûhirions Tod, der Elanor dazu verdammte, ihre Kinder allein großzuziehen. Die wachsende Feindseligkeit der Bewohner Malachits ihr gegenüber. Vielleicht war das alles ihre Schuld.

      Eine Wolke schob sich vor den Mond, als sie das leise Klicken des nachgebenden Türschlosses vernahm. Elanor atmete leise durch und erinnerte sich daran, warum sie hier war. Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Vorhaben, das Ziel. Die Waldelfin hatte Kontakt zur Gilde aufgenommen und ein Treffen mit einer Schattenklinge vereinbart. Wenn jemand ihr Informationen über den Verbleib von Dûhirions Körper bringen konnte, dann ein Gildenmitglied.

      »Die Tür ist offen, Arik«, flüsterte sie.

      Ein Mann trat aus dem Schatten eines Baumes und kam an ihre Seite. Er trug eine dunkelblaue Robe, die mit silbernem Garn, weißen und hellblauen Elementen verziert war. Der Heiler nickte anerkennend. »Gut gemacht. Nun müssen wir noch darauf warten, dass Ivorien zu uns zurückkehrt.«

      Die Dunkelelfin hatte für sie einen Wachtrupp abgelenkt und von der Hütte weggelockt.

      Elanor ließ den Dietrich in der eingenähten Tasche ihres Ärmels verschwinden. Sie hatte sich das Schlösserknacken als Kind selbst beigebracht. Die Abenteuergeschichten, die Onkel Faredir ihr am Bett vorgelesen hatte, hatten sie dazu inspiriert, selbst auf Schatzsuche zu gehen.

      Mit kaum neun Jahren hatte sie zum ersten Mal eine Tür aufgebrochen, von der kindlichen Fantasie erfüllt, dahinter eine Schatzkammer zu finden. Im Laufe der Jahre hatte sie ihre Fähigkeiten verbessert. Nachdem sie der Weißen Feder beigetreten war, einer friedlichen Widerstandsgruppe, die sich gegen die Unterdrückung der Dunkelelfen auflehnte, stellte es sich als überaus praktisch heraus, dass sie fähig war, Schlösser zu knacken.

      »Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen«, murmelte die Waldelfin.

      Sie spürte den bekannten und verhassten Knoten in ihren Eingeweiden. Er war da, seit sie ein kleines Mädchen gewesen und ihre Eltern ermordet worden waren. An vielen Tagen bemerkte sie ihn kaum, aber er hatte sich nie gelöst und nach Dûhirions Tod fester und schmerzhafter zugezogen denn je.

      Arik schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Doch Sorge verdunkelte seine bernsteinfarbenen Augen. »Sie ist sehr geschickt und nicht das erste Mal heimlich in der Oberstadt.«

      Elanor versuchte das Lächeln zu erwidern und brachte nur ein müdes Zucken ihrer Mundwinkel zustande. Ihr Kopf schmerzte. Schon seit sie heute Morgen aufgewacht war. Was als seichtes Glimmen begonnen hatte, wandelte sich allmählich zu einem lodernden Feuer. Ihre Nervosität war wie Öl, das über glühende Kohlen gegossen wurde. »Das ist wahr. Aber manchmal hilft einem auch das beste Geschick nicht, wenn man ein Dunkelelf ist …« Unruhig spielte sie mit ihrer Halskette. Der blaue, tropfenförmige Stein fühlte sich angenehm kühl an und es spendete ihr Trost, ihn zu halten.

      Ihr Blick wanderte durch die dunklen Straßen. Etwa eine Stunde Fußweg von hier aus befand sich die breite Treppe, die von der Oberstadt hinab in die Aschegrube führte, jenes Elendsviertel, in dem die Dunkelelfen leben mussten. Wenn man es überhaupt Leben nennen konnte, Vegetieren traf es wohl eher.

      Sie lauschte in den Wind hinein, suchte nach verräterischen Stimmen, fragte sich, ob es heute Nacht ruhig dort war. Oder ob sich wieder ein paar Einwohner der Oberstadt zusammenfanden, um die Dunkelelfen zu terrorisieren. Seitdem die dunkelelfische Rebellengruppe, die sich Grauwölfe nannte, Malachit immer näher kam, wuchs die Gewaltbereitschaft der anderen Völker.

      »Sieh«, flüsterte Arik ihr zu und wies mit dem Zeigefinger geradeaus. »Dahinten ist sie.«

      Ivorien rannte ihnen entgegen und gab ein stilles Zeichen der Entwarnung. Sie blieb keuchend vor ihnen stehen, stützte sich einen Moment lang auf ihren Oberschenkeln ab und verschnaufte. Strähnen ihres mittellangen schwarzen Haares, das sie wie Dûhirion im Irokesenschnitt trug, fielen ihr in die Stirn.

      Erleichterung überkam Elanor, als sie feststellte, dass die Dunkelelfin unversehrt war. »Den Göttern sei Dank. Geht es dir gut?«

      Ivorien richtete sich auf und nickte. Sprechen konnte sie nicht mehr, seit man ihr die Zunge herausgeschnitten hatte. Die Dunkelelfin war eine ehemalige Sklavin. Die Weiße Feder hatte sie vor ihren grausamen Besitzern gerettet. Ivorien hatte sich ihnen aus Dankbarkeit angeschlossen und war für sie offenes Auge und wachsames Ohr in der Aschegrube.

      Sie formte einige Zeichen mit den Händen und lächelte.

      »Es könnte ihr nicht besser gehen«, übersetzte Arik. »Das freut uns sehr, Ivorien.«

      Die Dunkelelfin nickte abermals und deutete dann mit fragender Miene auf die Tür. »Hm?«

      »Ja, sie ist bereits offen«, sagte der Heiler.

      Elanor war erleichtert, nicht allein zu sein. Umbra genoss einen guten Ruf und war nicht dafür bekannt, Auftraggebern gefährlich zu werden. Dennoch war es gut, die Weiße Feder zu haben, die ihr den Rücken stärkte.

      Arik war zunächst vehement dagegen gewesen, dass sie die Gilde kontaktierte. Sie hatten lange diskutiert, und letztlich hatten sie sich geeinigt, dass Elanor das Gespräch führen würde und Arik zuvor eine Illusion auf sie legte, die ihr Äußeres veränderte.

      Sie sah immer noch aus wie eine Waldelfin, doch ihr braunes Haar wirkte dunkler, sodass es jetzt beinahe schwarz schien. Ihre blauen Augen waren einige Nuancen heller und die Sommersprossen verschwunden. Ihre Wangenknochen lagen höher, die Nase war etwas länger und das Kinn spitzer. Die Veränderungen waren marginal, reichten aber, um aus ihr eine andere Person zu machen.

      Das Zeichen der Göttin Viriditas in ihrem Gesicht jedoch