WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten. Ted Staunton

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Название WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten
Автор произведения Ted Staunton
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401804613



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Ich war nicht einmal sicher, ob Josh mir glaubte. Ich hatte gesagt, dass ich mich nicht im Wohnheim mit ihnen treffen wollte, weil die kleinen Räume dort mich zu sehr an den Ort erinnerten, an dem man mich so lange gefangen gehalten hatte. Ich wollte sie in einem Park treffen, mit vielen Leuten und Platz um uns herum, damit ich mich nicht aufregen würde. Und damit ich schnell wegrennen konnte. Ich musste sie nur alle so verwirren, dass ich einen Vorsprung hatte.

      Ich zog den kleinen schwarzen Schirm der Mütze nach hinten über mein Ohr und fragte mich, wie bescheuert das mit den Cargohosen von Gap zusammen aussehen musste. Ich fragte mich, ob Josh ein guter Läufer war.

      Ich drückte auf die Toilettenspülung, damit er keinen Verdacht schöpfte, und ging nach draußen in den Flur, meine Füße nach außen gedreht.

      Josh wartete schon auf mich und klimperte mit den Schlüsseln für den Van des Wohnheims. Als er mich sah, grinste er. »Danny, du weißt schon, wie heiß es draußen ist, oder?«

      »Das Ding ist mein Look«, sagte ich mit der Sonnenbrille auf der Nase. Ich hatte jetzt schon keine Lust mehr, Ding zu sagen. »Gehn wir.«

      Der Park war flach und offen, quietschgrün unter Rasensprengern. Ich legte mir einen Fluchtweg zurecht, um einen Brunnen herum, durch einen Spielplatz und dann über den nächsten Parkplatz. Ich musste um Autos herumrennen und eine vor Hitze flimmernde Straße mit viel Verkehr überqueren. Und wenn ich die hinter mir hatte, was dann? Das würde ich schon noch herausfinden.

      Josh parkte den Van rückwärts ein, ganz am Rand, und dann saßen wir da und warteten. Es waren nicht viele Autos dort. Offenbar ging man in Tucson nicht in Grünanlagen, wenn es fast vierzig Grad heiß war. Meine Knie begannen zu wippen.

      »Es ist okay, wenn du nervös bist«, meinte Josh.

      Das kannst du laut sagen, dachte ich. Ich fragte mich schon wieder, wie schnell er wohl war. Die Türen des Vans waren abgeschlossen und ich kam nicht an die Zentralverriegelung ran. Ich hatte schon versucht, meine Tür zu öffnen, als Josh an einer roten Ampel am Radio herumgespielt hatte und abgelenkt war.

      »Sie wird von einem kanadischen Beamten begleitet. Vom Konsulat in L.A. Keine Polizei.«

      Die Klimaanlage lief, aber unter der Mütze kribbelte der Schweiß auf meiner Haut. Ich schwor mir, das Ding bei der ersten Gelegenheit loszuwerden. Ich klemmte die Hände unter die Kniekehlen, damit ich nicht mehr an der Tür herumspielen konnte. Ich versuchte, langsam zu atmen und das mit dem Wippen sein zu lassen, aber ich war völlig groggy. Nach allem, was passiert war, hatte ich nur ein paar Stunden geschlafen. In meinem Gehirn zappten die Gedanken herum wie in einem Videospiel.

      Dann parkte ganz in der Nähe ein weißer Focus mit dem Sticker einer Mietwagenfirma. Zwei Frauen stiegen aus. Die auf der Fahrerseite war klein, mit krausen blonden Haaren über einem beigen Blazer und einem Rock in der gleichen Farbe. Sie trug flache Schuhe und hatte einen eleganten Aktenkoffer aus Leder bei sich, der Harley gefallen hätte.

      Die Frau auf der Beifahrerseite war ziemlich dick und in ein gelb-orange gestreiftes Sommerkleid gehüllt, das sie kein Pfund schlanker aussehen ließ. Sie hatte zerzauste dunkle Haare und versteckte ihr rundes blasses Gesicht hinter einer übergroßen Sonnenbrille. Auch ihre Beine und Füße waren blass, mit rotem Nagellack, der zu ihren Sandalen passte. Über einer weißen Umhängetasche baumelte ein weißer Pulli.

      »Es geht los«, sagte Josh und entriegelte die Türen. Wir stiegen aus. Auf meiner Seite und hinter uns verlief ein Maschendrahtzaun. Ich konnte nirgendwohin, nur nach vorn. Und ich konnte nicht einmal das: Die Hitze schlug mir härter ins Gesicht als meine erste Pflegemutter.

      Während ich wie betäubt dastand, sahen die Frauen zu uns herüber. Die Dicke zuckte zusammen. Man konnte sehen, wie ihr Mund »Danny?« formte. Dann schrie sie es. »DANNY!« Sie rannte auf mich zu, ihre Sandalen klackerten auf dem Asphalt. Bevor ich auch nur einen Finger rühren konnte, hatte sie mich schon gepackt. Ich mag es nicht, wenn ich angefasst werde.

      »Danny.« Jetzt weinte sie. Sie drückte mich an sich und ich konnte mich nicht bewegen. Es war furchtbar. Schließlich hob ich links und rechts von ihr die Hände. Es fühlte sich an, als würde ich sie ausstrecken, damit man mir Handschellen anlegte.

      »Shan«, sagte ich. Sie ließ mich erst wieder los, als wir beide in einem Flugzeug nach Toronto saßen.

      Es war fast schon zu einfach. Shan war eine Quasselstrippe. Ich kam kaum mit. Sie hatte Fotos dabei, weil sie mir zeigen wollte, wie die Familie jetzt aussah. »Nur damit du keinen Schreck bekommst. Oh, der Opa sieht gebrechlich aus, findest du nicht auch? Und er hinkt jetzt. Er hatte letztes Jahr einen Schlaganfall.

      Roy und die Kinder und ich wohnen jetzt in Port Hope. Ich arbeite in einem Krankenhaus am Empfang und Roy ist Gott sei Dank immer noch bei GM, trotz der vielen Entlassungen. Brooklynne fängt im September mit der Schule an und Matt ist dann in der fünften Klasse. Sie sind groß geworden, nicht wahr? Matt kann sich noch daran erinnern, wie er oben auf der großen Rutsche Angst bekommen hat und du zu ihm hoch bist und so getan hast, als wärst du ein Affe, um ihn wieder von da runterzuholen. Er rutscht immer vor dem Fernseher rum, genauso, wie du das früher immer gemacht hast. Manchmal, wenn ich reinkomme und ihn von hinten sehe, denke ich für eine Sekunde, dass du das bist.«

      »Rumrutschen?« Ich versuchte, mehr herauszufinden. Meine Stimme klang angespannt. Ich konnte nichts dagegen tun. Das Ganze war schon verrückt genug und dazu kam noch, dass ich noch nie geflogen war.

      »Ach, du weißt schon.« Shan war immer noch dabei, sich die Fotos anzusehen. »Du hast doch früher immer die Hände flach auf den Boden gelegt und bist dann mit dem Hintern so rumgerutscht. Ich dachte immer, es sieht aus, als würdest du Anlauf nehmen, um abzuheben und für immer zu verschwinden.« Sie sah zu mir hin. »Oh Gott. Dein Blick. Es tut mir leid. Ich wollte damit nicht sagen, dass du weggelaufen bist, als das alles … Jetzt wissen wir ja, dass sie dich mitgenommen haben.«

      Sie zögerte kurz, dann griff sie nach meiner Hand, die sich an die Armlehne klammerte. Ich zog sie zurück. Ich holte tief Luft. »Schon okay. Es ist nur so, dass …« Sag die Wahrheit, wenn du kannst. Es ist einfacher. Ich starrte auf die Lehne vor mir, in die ein kleiner Fernsehbildschirm eingelassen war. »Ich mag es nicht, wenn man mich anfasst. Weil …«

      Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sie die Lippen zusammenkniff, während sie mich beobachtete. »Ach, Schätzchen. Ich weiß, dass es schlimm war. Josh hat es mir erzählt.«

      Ich nickte und starrte weiter geradeaus. »Ich möchte nicht darüber reden.«

      »Das brauchst du auch nicht.«

      Ich wartete eine Sekunde, dann versuchte ich, noch etwas mehr herauszufinden. »Hast du … hat Mom … geglaubt …«

      »… dass du weggelaufen bist?« Sie sah mich eindringlich an. »Ach, Schätzchen. Wir waren verzweifelt. Wir wussten nicht, was wir denken sollten. Und die Polizei …« Sie schloss die Augen. »Sie dachten alles Mögliche. Sie dachten, da… ich meine, du …« Sie wedelte mit den Händen in der Luft herum. »Oh Gott. Es tut mir leid, Schätzchen. Wir haben so lange gedacht, dass … Ich muss das jetzt erst einmal alles verarbeiten … Oh mein Gott. Es ist egal. Es ist egal, was die Polizei gedacht hat. Es ist alles egal. Es war furchtbar. Aber es ist egal. Du brauchst das nicht zu wissen.«

      »Was wissen?«

      Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf, schnell, heftig, als würde sie versuchen, schlechte Erinnerungen aus ihrem Gehirn zu bekommen. Dann hörte sie damit auf und holte tief Luft. Sie sprach leise und eindringlich, als wollte sie mich dazu bringen, mich zu erinnern. »Zu Hause war es nicht immer gut. Deshalb bist du ja auch zu Pflegeeltern gegeben worden, zweimal, damit du bei einer anderen Familie lebst. Und kurz bevor du … verschwunden bist, war es auch nicht gut. Für niemanden.«

      Ich nickte.

      »Ty hat sich sehr schlecht benommen und er hat allen Angst gemacht, immer diese Wutausbrüche und die Schläge. Dich