WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten. Ted Staunton

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Название WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten
Автор произведения Ted Staunton
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401804613



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href="#ulink_246060bc-94b7-531d-b791-0af284fe17f0">3. Kapitel

      Mein Name ist Danny Dellomondo. Ich wurde am 9. November 1994 geboren. Ich bin klein und schlank, habe lockige schwarze Haare, eine lange Nase und ein freches, leicht überhebliches Grinsen. Früher waren meine Augen graugrün. Ich hatte einen Leberfleck auf meinem rechten Schulterblatt und eine Narbe an meiner rechten Wade, von einem Stacheldrahtzaun, in den ich als kleines Kind gefallen bin. Ich bin Rechtshänder. Ich mag Chicken-Wings und Eiscreme mit Cookiegeschmack, spiele auf der PlayStation am liebsten Medal of Honor, mag Metal-Bands, Star Wars und verspiegelte Pilotenbrillen. Beim Gehen drehe ich die Füße nach außen. Ich sage häufig das Wort Ding. Meine Mutter heißt Carleen, mein älterer Halbbruder Tyson und meine ältere Halbschwester Shannon. Meine Adresse lautet 1787 Coach House Road, Grafton, Ontario, K2R3P5.

      Ich verschwand am Nachmittag des 27. April 2006, einem Dienstag, als ich nicht in den Schulbus nach Hause gestiegen bin und stattdessen etwas mit Freunden zusammen unternommen habe. Etwa um 17.30 Uhr rief ich mit dem Handy eines Freundes Tyson an und bat ihn, mich abzuholen. An dem Abend wollte Carleen mit mir zusammen ins Einkaufszentrum gehen und ich hatte Angst, dass sie wütend sein und es sich anders überlegen würde, wenn ich zu spät nach Hause kam. Tyson sagte Nein. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg. Ich trug eine schwarze Strickmütze mit einem kleinen, auf die Seite gedrehten Schild, eine blaue Daunenweste, ein schwarzes Trikot mit dem Logo der Slayers, Baggy-Jeans über Boxershorts von Simpsons und an den Füßen graue Vans. Ich hatte einen violett-schwarzen Rucksack dabei, auf dessen Seite mit Filzstift Led Zeppelin geschrieben stand. Ich trug eine Goldkette mit dem Buchstaben D um den Hals. An der Ecke Dairy Street und Country Road Two gingen meine Freunde in die eine Richtung und ich in die andere. Das war das letzte Mal, dass mich jemand gesehen hat.

      Bis gestern in Tucson, Arizona.

      Ich stand im Waschraum, starrte in den Spiegel und ging noch einmal die Geschichte durch, die ich mir gerade ausgedacht hatte. Ich wollte Josh erzählen, dass ich entführt und gefangen gehalten worden sei.

      Wenn ich versuche, jemandem etwas vorzumachen, besteht mein größtes Problem darin, dass ich mich nicht mehr bremsen kann. Ich sage zu viel. Vermutlich sage ich jetzt auch schon wieder zu viel. Jedenfalls hatte ich mir dieses Mal alle Mühe gegeben, es nicht zu kompliziert zu machen, auch wenn es sich bescheuert anhörte. Ich hatte versucht, mich an Harleys Regeln zu halten: Keine Details, sonst verplappert man sich nur, und: Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt. Deshalb entschied ich mich, es so schlimm zu machen, dass ich nicht darüber reden konnte; ich stockte und stotterte, zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab, so wie ich es damals, in der Bösen Zeit, unzählige Male in unzähligen Schulleiterbüros gemacht hatte.

      Nur an einer Stelle musste ich meine Fantasie spielen lassen, weil Teile von Dannys Personenbeschreibung nicht auf mich passten. Das war, nachdem ich erzählte, ich sei an einem Ort mit vergitterten Fenstern aufgewacht, an dem alle eine andere Sprache gesprochen hätten. Ich flüsterte: »Ich … na ja … sie … sie haben da was mit meinen Augen gemacht. Mit einer Nadel. Es hat wehgetan. Und jetzt sind sie braun.« Ich schwang mein Bein herum. »Und an dem Bein hatte ich eine Narbe, da hatte ich mich als Kind verletzt. Die haben sie weggemacht.« War so etwas möglich? Ich wusste es nicht. Ich glaube, ich hatte das alles aus einer Spionagegeschichte, die ich mal in einem schäbigen Hotel ohne Kabelfernsehen gelesen hatte. Spielte es eine Rolle? Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern, wie man es sagt.

      »Warum haben sie das gemacht?«, hatte Josh gefragt, der sich immer noch auf seinem Stuhl zurücklehnte und mich anstarrte.

      Ich hatte meine Ellbogen umklammert, als wäre mir kalt. »Sie haben gesagt, so … würde mir niemand glauben … und sie wollten, dass … ich … wir … ein bestimmtes Aussehen hatten, ähm … für …«

      Joshs Turnschuhe bewegten sich vom Schreibtisch herunter. »Waren da noch mehr Jugendliche?«

      »Ja.«

      »Wie viele?«

      Ich drückte meine Arme noch fester an mich und schaukelte vor und zurück. »Ich weiß nicht. Unterschiedlich.«

      Er gab ein Geräusch von sich, das wie eine Mischung aus einem leisen Pfiff und einem Flüstern klang. Dann sagte er: »Ich weiß, es ist schwer, jemandem zu vertrauen, aber du darfst auf keinen Fall vergessen, dass du hier sicher bist.«

      Ich hatte die ganze Zeit den Kopf unten gehalten. Ich hörte, wie er mit seinem Stuhl zu dem schwarzen Computermonitor rollte. »Ich weiß, wie schwer das für dich ist. Lass mich kurz etwas überprüfen.«

      Volltreffer.

      Ich hatte gedacht, Josh würde ein paar Tage brauchen, um alles zu checken. Das hätte mir genug Zeit gegeben, um herauszufinden, wie ich ein paar Scheine stehlen und von hier verschwinden konnte, bevor mir alles um die Ohren flog. Aber es kam anders. Ungefähr drei Stunden später starrte ich auf ein Stück Pizza, während in einem Fernseher draußen vor Joshs Büro die Abendnachrichten auf voller Lautstärke liefen. Ich hörte gerade einem Bericht über Harley zu, als Josh hereinkam und sagte: »Danny, wir haben deine Familie erreicht. Sie sind am Telefon. Glaubst du, du kannst mit ihnen reden?«

      Ich war ausgeflippt, was ich natürlich nicht zeigen konnte. Ein Teil von mir wusste, dass ich Nein sagen und auf Zeit spielen sollte, aber ein anderer Teil von mir sagte, dass ich es machen musste, dass es ein Test war oder so. Vielleicht lag es daran, dass Josh so krampfhaft entspannt tat. Seine Stimme und seine Haltung sagten, alles in Ordnung, aber seine Augen, die jetzt viel dunkler aussahen, starrten mich unverwandt an. Ich nickte. Er nahm ein schnurloses Telefon aus der Ladestation auf dem Schreibtisch und drückte eine Taste. »Ja«, sprach er in den Hörer. »Er ist gerade bei mir und er möchte mit Ihnen sprechen. Einen Moment, bitte.«

      Er hatte mir den Telefonhörer hingehalten, die Augenbrauen hochgezogen und Deine Schwester, okay? mit den Lippen geformt. Ich nickte wieder und hob das Telefon ans Ohr, wobei ich darauf achtete, meine Hand um die Sprechmuschel zu legen, so, wie ich es x-mal bei Harley beobachtet hatte. »Hallo?«

      Die zitternde Stimme einer Frau. »Danny?«

      Wenigstens sprachen sie in Kanada Englisch. Was hätte ich denn machen sollen? Ich murmelte: »Ja. Ist dort Shan?« Und dann konnte ich nicht mehr. Es war viel zu verrückt. Mein Mund war staubtrocken geworden und plötzlich war der Rest ihres Namens weg. Ich spürte Joshs durchdringenden Blick auf mir. Ich dachte, ich hätte es vermasselt.

      Am anderen Ende der Leitung schnappte jemand nach Luft. Dann sagte die Stimme: »Ja, hier ist Shan, Danny. Hier ist Shan.« Dann hörte ich gedämpfte Stimmen, es klang, als würde sich jemand streiten.

      Dann ging jemand anders ans Telefon, jemand mit einer rasiermesserscharfen Stimme. »Wer ist da?«

      Ich deckte den Hörer noch ein bisschen mehr mit der Hand ab und drehte mich von Josh weg. Ich spielte mit; ich hatte keine andere Wahl. »Danny. Ich … ich will nach Hause.« Warum nicht? In gewisser Weise stimmte es sogar.

      Stille. Hörte ich sie atmen? Dann ein knisterndes Geräusch, als sich eine Hand auf das Telefon legte, und noch mehr Stimmen, fast schreiend. Was sagten sie? Ich schwitzte schon wieder. Dann war die Stimme, die Shannon hieß, wieder da, sie zitterte. »Bleib, wo du bist. Ich komme dich holen.«

      Und kaum einen Tag später war sie hier. Oder so gut wie hier. Ich hatte nicht den Hauch einer Chance wegzulaufen, geschweige denn, etwas Bargeld zu beschaffen. Trotz der ganzen Ich-will-dir-doch-nur-helfen Scheiße hatte der gute Josh nämlich dafür gesorgt, dass ich die Nacht in einem »gesicherten Wohnheim« verbrachte, wo ein tatkräftiger Junge mit einem Gang-Tattoo dafür sorgte, dass ich meine fünf Dollar »verlor«. Es war wie früher in der Bösen Zeit. Ich hatte versucht, einen klaren Kopf zu bewahren, damit ich mir etwas Neues für meinen Plan ausdenken konnte, aber das war auch schon alles gewesen.

      Ich sah in den Spiegel. Nach drei Jahren sah Danny vielleicht so aus wie ich. Ich übte noch einmal das arrogante Grinsen und verzog den rechten Mundwinkel, während ich die linke Oberlippe nur ein kleines bisschen nach oben bewegte. Das half, auch wegen der Sonnenbrille und der Mütze, die