Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät. Pseudonymous Bosch

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Название Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät
Автор произведения Pseudonymous Bosch
Жанр Учебная литература
Серия Das geheime Buch-Reihe
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401800349



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kleines ausgestopftes Ding hervor, das sie darunter versteckt hatte.

      »Wer bist du? Was bist du?«

      Kassandras Sockenmonster war ein kleines, kurioses Geschöpf aus alten Socken und Überbleibseln aus der Altwarenhandlung der Großväter. Kass hatte es eines Tages wie im Fieberrausch zusammengebastelt, als sie an nichts anderes mehr denken konnte als an das Wesen, das durch ihre Träume geisterte. Ihr Sockenmonster war grün und violett, sah aus wie ein Kobold und hatte eine große Knollennase, die aus den Fersen der Socke bestand, Glotzaugen aus Kronkorken und Schlappohren, die sie aus den Zungen ihrer Tennisschuhe gemacht hatte. Kass mochte die Ohren ganz besonders, sie waren fast so groß, aber längst nicht so spitz wie ihre eigenen.

      Da es ganz und gar aus Altmaterialien bestand, war das Sockenmonster ein Super-Überlebenskünstler, und Kass glaubte, wenn sie es nur fest genug an sich drückte, dann gingen auch seine Überlebenskräfte auf sie über.

      Manchmal jedenfalls.

      Vielleicht, dachte Kass, würden ihre schlimmen Träume ja aufhören, wenn erst ihr neues Leben – ihr geheimes Leben, das Leben in der Mieheg-Gesellschaft – begonnen hatte.

      Wie jeder Überlebenskünstler hatte Kass sich morgens nach dem Aufstehen ein strenges Programm auferlegt. Als Erstes zog sie ihren Rucksack unter dem Bett hervor und überprüfte mit größter Sorgfalt dessen Inhalt. Der Rucksack war eine Spezialanfertigung, die ihr Pietro geschickt hatte, und er hatte ein paar besondere Vorzüge. So ließ er sich beispielsweise in ein Zelt oder in einen Fallschirm verwandeln. Trotzdem bewahrte Kass auch noch einige ihrer alten Überlebensutensilien in dem Rucksack auf, zum Beispiel Kaugummi, den man sehr gut als Klebstoff verwenden konnte, oder Traubensaft, den sie als Tinte zu benutzen pflegte.

      Sie wusste nicht, welchen Auftrag ihr die Mieheg-Gesellschaft übertragen würde – alles, was sie über diese Gesellschaft wusste, war, dass es ihre Aufgabe war, das Geheimnis zu bewahren –, aber Kass war in jedem Fall bereit dazu.

      Als Nächstes nahm sie jeden Winkel des Hauses unter die Lupe, um sich zu vergewissern, ob nicht vielleicht jemand, ganz gleich ob Freund oder Feind, nachts ins Haus eingedrungen war.

      Sie überprüfte

      1. die winzigen Flusen Zahnseide, die sie an den Griffen ihrer Schreibtischschublade angebracht hatte, damit niemand sie unbemerkt öffnen konnte,

      2. die vertrocknete tote Biene, die sie eines Tages gefunden und sofort strategisch auf dem Fenstersims platziert hatte,

      3. alle Fenster, Spiegel und Türen, um nachzusehen, ob nicht vielleicht jemand eine verschlüsselte Botschaft in den Staub geschrieben oder mit Zahncreme oder Rasierschaum hinterlassen hätte,

      4. und noch ein paar andere Orte, die ich aber hier nicht verraten will, für den Fall, dass die Falschen dies lesen.

      Erst nachdem Kass sicher sein konnte, dass im oberen Stockwerk alles war, wie es sein sollte, gestattete sie sich, nach unten zu gehen, wo sie für gewöhnlich als Erstes am Küchenschrank haltmachte. Kass hatte so eine Vorahnung, dass sie die nächste geheime Botschaft der Mieheg-Gesellschaft in einer besonders alten Schachtel mit Buchstaben-Cornflakes finden würde.

      Doch als Kass an diesem Morgen die Küche betrat, stieß sie einen ganz unüberlebenskünstlerischen Überraschungsschrei aus. Die Haftmagnete am Kühlschrank waren nicht mehr an Ort und Stelle. Sie klebten nicht mehr dort, wo sie noch am Abend zuvor geklebt hatten (Kass hatte sie nach ihrer Farbe, nicht alphabetisch angeordnet); das konnte sie mühelos schon von der Tür aus erkennen.

      In zwei Sätzen war Kass dort und stand nun atemlos vor dem Kühlschrank, darauf gefasst, eine verschlüsselte Nachricht zu entziffern oder zu einem geheimen Treffpunkt geschickt zu werden oder die Einzelheiten eines Auftrags zu erfahren. Oder alles drei auf einmal.

      Doch dann war ihre Enttäuschung groß.

      Auf dem Kühlschrank stand in Magnetbuchstaben: Hab dich lieb.

      Darunter klebte ein handschriftlicher Zettel.

      Bin zur Arbeit gegangen. Im Toaster ist eine Vollkornwaffel. Vergiss nicht die Exkursion zum Gezeitenbecken morgen – weißt du, wo dein Anorak ist? Ich finde ihn nicht.

      M.

      M stand für Mom oder Mutter. Es konnte aber auch Mel heißen. Mel war die Kurzform von Melanie, denn so hieß ihre Mutter.

      Also wohl kaum ein Geheimcode.

      Niedergeschlagen zerknüllte Kass den Zettel. Warum war ihre Mutter so, wie sie war?

      Und wann würde sich endlich die Mieheg-Gesellschaft bei ihr melden?

      Der bescheuerte Tisch

image

      Die Xxxxxxxxx-Schule. In Xxxxx Xxxxxx. Zur Mittagspause.

      Tut mir leid, aber den Namen von Kassandras Schule kann ich dir noch immer nicht verraten. Oder wo sie sich befindet. Oder wie sie aussieht. Ich kann dir eigentlich so gut wie gar nichts darüber sagen.

      Aber so viel kann ich sagen: Es ist eine Schule, in der strenge Regeln herrschen.

      Da waren zunächst die Regeln, die Mrs Johnson, die Schulleiterin, aufgestellt hatte; sie waren wirklich ziemlich streng, aber in der Regel konnte man sie verstehen. Zum Beispiel war es verboten, in den Korridoren Skateboard zu fahren oder die Unterhosen über der Kleidung zu tragen.

      Aber