Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät. Pseudonymous Bosch

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Название Wenn du dieses Buch liest, ist alles zu spät
Автор произведения Pseudonymous Bosch
Жанр Учебная литература
Серия Das geheime Buch-Reihe
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401800349



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Endlich!«, sagte eine Frau mit einer Stimme so kalt und schneidend wie Eis.

      Der Mann, der die Taschenlampe in der Hand hielt, kicherte. »Hat nicht irgendjemand mal gesagt, die beste Methode, etwas zu verstecken, ist, es vor aller Augen offen hinzulegen? Was für ein Dummkopf. « Der Akzent des Mannes war merkwürdig und rätselhaft.

      »Nun mach schon«, zischte die Frau.

      Mit seiner behandschuhten Hand packte der Mann die Lampe fester und ließ sie wie eine Axt heruntersausen. Glassplitter flogen durch die Luft und eine milchig weiße Kugel kam zum Vorschein – eine riesige Perle etwa? –, die auf einem Bett aus schwarzem Samt ruhte.

      Die Frau achtete nicht auf die scharfen, glitzernden Glasscherben, sondern griff mit ihrer zarten weißen Hand – die in einem zarten weißen Handschuh steckte – in den Kasten und nahm die Kugel heraus.

      Sie war durchsichtig, so groß wie ein Straußenei und schien von innen zu leuchten. Ihre Oberfläche ähnelte einer Honigwabe mit vielen verschieden großen Löchern. Um die Kugel war ein dünnes Silberband geschlungen, das sie in zwei gleich große Hälften teilte.

      Die Frau strich sich das weißblonde Haar aus dem Gesicht und hielt den geheimnisvollen Gegenstand an ihr wohlgeformtes Ohr. Als sie ihn drehte, gab er einen leisen Ton von sich, etwa wie eine Flasche, über deren offenen Hals der Wind streicht.

      »Ich kann es ja fast hören«, sagte die Frau triumphierend, »dieses schaurige Monster!«

      »Bist du so sicher, dass es noch am Leben ist? Immerhin wäre es inzwischen vier-, fünfhundert Jahre alt …«

      »Ein solches Geschöpf, das erschaffen wurde, obwohl dies völlig undenkbar zu sein schien, wird man wohl kaum einfach töten können«, erwiderte die Frau, während sie weiter den Tönen des kleinen Balls lauschte.

      Eine dünne rote Blutspur zog sich jetzt über den weißen Handschuh, dort, wo die Frau sich an einer Scherbe geschnitten hatte, aber sie schien dem keinerlei Beachtung zu schenken. »Aber jetzt kann er uns nicht wieder entwischen. Das Geheimnis wird mir gehören!«

      Der Strahl der Lampe senkte sich nach unten.

      »Ich meine, uns, mein Lieber.«

      Unter der geborstenen Vitrine schimmerte eine kleine Messingtafel und darauf stand: Klangprisma, Herkunft unbekannt.

      A A A A A A A A A A

      A A A A A A A A A A

      A A A A A A A A A A

      A A A A H H H ! ! !

      Tut mir leid – ich kann’s nicht.

      Ich kann dieses Buch nicht schreiben. Ich hab viel zu viel Angst.

      Ich hatte gehofft, der Vertrag würde dich schützen, aber jetzt, da ich den Tatsachen ins Auge sehe, erkenne ich: Er reicht einfach nicht aus.

      Was wenn, sagen wir mal, die falschen Leute gesehen haben, dass du dieses Buch liest? Sie werden deinen Unschuldsbeteuerungen sicher keinen Glauben schenken. Dass du nämlich wirklich rein gar nichts von dem Geheimnis weißt.

      Ich bedauere, das sagen zu müssen, aber dafür, was dann passiert, kann ich keinerlei Verantwortung übernehmen.

      Ganz ehrlich, mir wäre viel wohler, wenn ich über etwas anderes schreiben könnte. Etwas weniger Gefährliches.

      Über Pinguine, zum Beispiel. Alle mögen Pinguine.

      Nein? Du willst nichts über Pinguine wissen? Du willst Geheimnisse?

      Natürlich willst du Geheimnisse. Ich will sie ja auch. Es ist nur, na ja – was, wenn ich dir verraten würde, dass ich ein klitzekleines bisschen Angst habe? Um meine eigene Haut, meine ich.

      Sagen wir’s mal so: Das Monster, von dem Madame Mauvais gesprochen hat – das war nicht nur so dahingesagt. Sie meinte wirklich ein Monster.

      Also wie wär’s, wenn du mir eine kleine Pause gönnst? Nur dies eine Mal.

      Wie bitte – zu spät, sagst du? Du hättest schließlich einen Vertrag unterschrieben?

      Herrje. Das ist ja toll. Ich dachte, wir hätten eine freundschaftliche Abmachung getroffen, und jetzt drohst du mir?

      Oh, ja, sicher. Ich kenne das. Du willst über meine Späße lachen. Vielleicht auch ein paar Tränen vergießen. Aber wenn es darum geht, wirkliches Mitleid mit einem verängstigten Menschen wie mir zu haben – vergiss es! Ist es nicht so?

      Leser, ihr seid doch alle gleich. Ihr seid alle, ohne Ausnahme, verwöhnt. Legt die Füße hoch und ruft, damit jemand kommt und euch neue Plätzchen bringt.

      Sag jetzt nicht auch noch, dass es Schokoplätzchen sein sollen, denn dann raste ich wirklich aus.

      Tut mir leid, ich hab das nicht so gemeint – diese Bücherschreiberei macht mich noch ganz verrückt.

      Wenn ich ehrlich bin – ich würde mich am liebsten drücken.

      Oder anders gesagt: Alles aufschieben. Vor mir herschieben. Auf die lange Bank schieben.

      Ich trööödle vooor mich hiiin.

      Aber du hast natürlich recht, ich mache es mir damit nur noch schwerer.

      Also: Lieber gleich ins kalte Wasser springen.

      Egal, wie kalt es ist.

      Oder wie tief.

      Oder wie viele menschenfressende –.

      Es gibt nur eine Art und Weise, ein Buch zu schreiben, und das ist zu schreiben, und genau das werde ich jetzt tun …

      Moment! Ich brauche noch einen Augenblick, um mich zu beruhigen.

      Zwei Augenblicke.

      Drei.

      Jetzt. Jetzt stehe ich am Abgrund, den Federhalter in der Hand, bereit zum Sprung.

      Und jetzt …

       Hey, hast du mich etwa geschubst?!?!

      Na ja, ich glaube, das war unvermeidlich. Wir alle wissen ja inzwischen, dass ich nichts für mich behalten kann – egal, wie gefährlich oder wie unvernünftig es auch ist.

       Und wenn du es genau wissen willst:

       Wenn du das liest,

       ist alles zu spät.

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      Ein schlimmer Traum

       Nachts auf einem Friedhof.

       In einer Berglandschaft. Nahe an einem See.

       Man sieht nicht viel. Es gießt in Strömen.