Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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kurzes Abgleiten in einen halbwachen Traumzustand. Begleitet vom monotonen Brummen des gleichmäßig arbeitenden Motors und beschützt vom Blech des Wagens und den Waffen der vertrauten Kameraden, erlaubt sich Munroe vorgreifende Phantasien über die Auswirkungen der Operation Berlin auf die zukünftigen Entwicklungen. Sicher würden sie als Helden in die Geschichte des irischen Freiheitskampfes eingehen. Oppositionelle und Noch-Gleichgültige würden sich wieder unter dem Banner des Einigungskampfes zusammenfinden. Aus dem glimmenden Funken schlügen dann wieder heiße Flammen größerer Kämpfe. Bis zum Sieg. Die Zeit der großen Abrechnung. Die Zeit der Rache. Für die Kildare-Brüder. Rache auch für Kinsale. Für Wolfe Tone, John MacDermot und die fünfzehn Osteraufständischen, für das Croke-Park-Massaker, Kevin Barry, Roger Casement, Terence MacSwiney ... für Bloody Sunday ... die Toten von Long Kesh ...

      Als der Wagen tief in der Nacht vor der Basiswohnung des Kommandos hält, muss General Munroe von South und Donahue aus festem Schlaf geweckt werden.

      *

      Dieses gewaltige Brüllen im Kopf! Knochen durchdröhnend. Den ganzen Körper ausfüllend.

      Die Nasenlöcher verstopft von Schotterstaub und Ölgestank. Heißer Schweiß, in Bächen unter dem einzwängenden Schutzhelm, den Hals runter, dann in Strömen zwischen den Schulterblättern und den Bauch hinunter. Sein Oberkörper ist fest mit dem eng geformten Sitz verbunden. Aber was heißt da schon fest. Volle Power! Anpressdruck bei 150 Kilometer. Atemholen. Sein ausgelieferter Körper wird nach links gegen das Türblech geschlagen. Vorsicht, nicht an die Black-Box! Jetzt nach rechts geschleudert. Willenlos geworfen. Er rutscht fast aus den Hosenträgergurten. Bloß das rechte Bein anziehen. Nicht an das verdammte Kühlrohr ... au ... verdammte Sch... Das überheiße Rohr im Mitteltunnel! Locker bleiben, Junge! Ganz locker bleiben. Versuch dich den Bewegungen einfach hinzuge... Achtung! Die Mauer! Die Mauer! Unter den ängstlich angezogenen Füßen prasselt spitzer Schotter an die Bodenbleche. Klack. Klack, klack, klack. Sonne blendet durch verdreckte Windschutzscheiben. Überhitztes Öl, kochende Kühlaggregate, fräsende Kolbenstangen. Noch lauter der Motor. Die graue Mauer! Kreischendes Sägen. Drehzahl im roten Bereich. Rote Warnlampe. Tuuuuut... ein langgezogener Hupton ... die Mauer. Die verdammte graue Mauer! Mensch ...

      Mit einer weiteren schnellen und heftigen Synchronbewegung aus Lenkausschlag und Schaltvorgang bringt die Fahrerin das schleudernde Gefährt knapp vor der Begrenzungsmauer auf die folgende steil hochführende Rechtskurve.

      Erleichtert will er seine Entkrampfungsübungen wieder aufnehmen, als sich die mächtige 560-PS-Maschine, die von einem willensstarken Fuß auf dem Gaspedal bewegt wird, in Sekundenschnelle erneut in die oberen Leistungsbereiche schraubt. Die höchste Stelle der steilen Asphaltstrecke rast auf sie zu! Noch eine überscharfe Haarnadelkurve vor dem Schotterbelag. Aus den Augenwinkeln sieht er die schweißtreibenden Bewegungen der Lenkerin abgehackt und hektisch. Ein harter Schlag. Die Landschaft dreht sich vor der Windschutzscheibe. Schlingern! Schleudern! Einmal, zweimal. Wiese. Grüne Wiese. Stillstand. Ruhe.

      »Tut mir leid, da habe ich mich wohl ein bisschen verschätzt. Muss ein kleiner Felsen im Weg gewesen sein!«

      Mit zitternden Fingern löst Gernot Ganser eilig die runden Metallverschlüsse des gelben Gurtes, in dem er gerade die schrecklichsten drei Minuten seines Lebens gehangen hat. Dann steht er auf wackligen Beinen neben dem bunt lackierten Plastikhaufen auf Rädern, der ruhig zwischen Feldgräsern steht. Er entzieht seinen fast platzenden Kopf mühsam dem schützenden Futteral aus Kevlar. Er ist wieder er selbst, nicht mehr Teil dieses röhrenden Monsters. Nein, nie wieder! Das war schlimmer als der Vierfach-Looping auf der Rheinkirmes. Viel schlimmer!

      »Na, fährst du noch eine Runde mit?«

      Ohne Angela von Suttner in ihrem roten Rennhelm einer Antwort zu würdigen, dreht sich Ganser auf dem Absatz um und geht zielstrebig, wenn auch leicht schwankend zu der kleinen Wagenburg aus Motorcampern, Trailern und aufgebockten Rennautos hinunter.

      Im luxuriösen Motorhome des Britischen Ralleycross-Meisters John Welch macht ihm dessen dunkelhaarige und mitfühlende Frau Lyn eine Tasse Tee. Obwohl sein Englisch nicht besonders ist, hat sie seinen beklagenswerten Zustand sofort erkannt und leistet Samariterdienste.

      Während sie an einem Pullover strickt und ihre beiden kleinen, zwischen den Rennwagen herumtollenden Kinder durch das große Fenster im Auge behält, verflucht sich Ganser für seine eigene Nachgiebigkeit, die ihn an diesem Wochenende auf den Gründautalring bei Büdingen verschlagen hat.

      Aber Angela hatte ihm keine Chance gelassen.

      »Dann kannst du auch gleich Zimmermiete und Menügeld zahlen, wenn du sowieso nur noch zum Schlafen zu mir kommst!«

      Also hatte er nachgegeben und war zu diesem Testwochenende mitgefahren, zumal sich auch Maria Leiden-Oster für dieses Wochenende wegen eines dringenden Krankenbesuchs freigenommen hatte.

      Der bunte Ford Escort Xtrac kommt jetzt mit blubberndem Motor in den abgesperrten Mechanikerbereich gefahren und bleibt neben dem neuen, blau-weiß-roten Kadett des Briten stehen. Einer der Mechaniker klappt die Motorhaube hoch. Weißer Dampf der überkochenden Kühlflüssigkeit hüllt seinen Kopf in Nebel. Links und rechts bocken die beiden anderen den Wagen hoch und lockern mit pfeifenden Elektroschraubern die Radmuttern. John Welch beugt sich in den Motorraum hinein. Angela von Suttner stellt den Rennhelm aufs Wagendach und gesellt sich zu dem englischen Vorbesitzer des Escorts.

      Eine weitere junge Frau in Rennoutfit kommt von ihrem Manta herübergeschlendert und spricht mit Angela. Grace Ließfeld ist eine erfahrene Ralleycross-Pilotin. Im Gegensatz zu Angela aber kann sie sich kein Fahrzeug mit Vierradantrieb leisten und hat auch ständig Probleme mit dem schwachen Motor des Rüsselsheimer Wagens. Aber mit der offenbar in diesem Spezialsport unter den Rennfahrern noch üblichen Hilfsbereitschaft versorgt sie die neue Ralleycross-Kollegin aus Mettmann freundlich mit wertvollen Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung.

      Jetzt dreht der weiße Turbo-Audi des Norwegers Martin Schanche röhrend seine waghalsigen Testrunden auf dem ADAC-Kurs. An Angelas lädiertem Wagen verklebt ein Mechaniker gerissenen Kunststoff mit Klebebändern aus Plastik.

      Ganser sitzt grübelnd neben der strickenden Frau und rührt in seinem milchigen Tee. Also hatte der Alte doch wieder recht gehabt mit seinem Feeling. Seit Freitag überschlugen sich die Düsseldorfer Zeitungen. Terror auf Benrather Straße! Brutaler Überfall auf Jugendliche Discobesucher! Oder Killermädchen: Mordslust, Mordswut, Mordversuch! Je nach Publikumsgeschmack. Dazu die großen Fotos der beiden zusammengeschlagenen Zwanzigjährigen, so wie sie von den Tätern an die Zeitungen verschickt worden waren: mit heruntergezogenen Hosen, die Geschlechtsteile mit rosa Ölfarbe überschmiert, das Schild mit der Aufschrift Männer-Schwein!, die wie Herbstlaub herumliegenden Flugblätter der Gruppe Düsseldorfer Frauenkampf.

      Die Zeitungen taten einerseits fürchterlich empört und forderten in heftigen Kommentaren ein Ende des Frauenterrors, andererseits schilderten sie wohlig-hämisch das Aussehen der beiden Opfer bis in alle unerquicklichen Einzelheiten. Auch der übelkeiterregende Güllegestank wurde nicht ausgelassen.

      Spuren der Täter hatte man keine gefunden. Die zwei Männer lagen verstockt und wütend im Krankenhaus. Auch beim Personal und den Gästen des Yuppi Du war man auf kollektives Schweigen gestoßen.

      Während sich draußen Angela von Suttner zu einer neuen Testfahrt bereit macht, folgt Gernot Ganser weiter seinen Gedankengängen. Diese Fesselung der beiden hätte er nicht fachmännischer machen können. Wie auf der Polizeischule gelernt. Und warum war der Anruf nicht in der zuständigen Kriminalwache Garath aufgelaufen, sondern im weit entfernten Präsidium am Jürgensplatz?

      *

      Rechtsanwalt Otis besteigt am Sonntagmorgen auf der Landeplattform des Konzernhauptquartiers in Manhattan den TWC-Helicopter, der ihn zu seinem verabredeten Treffen mit dem deutschen Ministerialdirektor Riechmann auf den John-F.-Kennedy-Flughafen bringen soll.