Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger

Читать онлайн.
Название Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft
Автор произведения Stefanie Gerstenberger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401805153



Скачать книгу

lächelte zum ersten Mal. »Und Omi beachtete ihn gar nicht. Ihr Verlobter war an Tuberkulose gestorben und sie wollte jahrelang keinen anderen.«

      »Genau! Das war der schöne Anton. Und er sah aus wie Burt Lancaster. Ich hab mal Fotos von diesem Burt gesehen. Also soo gut aussehend war der nun auch wieder nicht.«

      »Der schöne Anton! Dass du das weißt! Sie redet nicht oft von ihm. Sie redet überhaupt nicht oft von der Zeit nach dem Krieg und vom Krieg selber schon gar nicht.«

      »Aber Opa Heinrich hat sich in ihre roten Haare verliebt.« Ich griff nach einer Strähne meines Haares und hielt sie hoch, falls Marion die Ähnlichkeit zwischen dem Haar ihrer Mutter und meinem noch nicht aufgefallen war. »Und hat sie überzeugt.«

      »Und mit dem Honig hat sie für ihn die ersten Lebkuchen gebacken und sie haben in einem winzigen ehemaligen Milchladen das Café Zimt eröffnet. Und dann haben sie viele Schulden gemacht, um dieses Haus kaufen zu können. Das war mal ein Tanzcafé. Der Besitzer war pleite.« Ich hob die Hände. Wollte sie noch mehr wissen? Hatte ich sie jetzt endlich überzeugt?

      »Ja, Schulden … Das Haus gehört der Bank, sagt Vati immer.«

      Und bald gehört es der Bäckerei Dümpelmann, wenn DDD es wirklich an diesen Typ verkauft.

      »Vati und Mutti haben sich bucklig geschuftet für uns«, zitierte ich Dagmars ständigen Satz, der alles rechtfertigte und der immer wieder aufkam, wenn es um die Zukunft des Cafés ging. Damit ist jetzt Schluss. Es wird verkauft.

      Marion sah mir in die Augen und schüttelte dabei den Kopf. »Unglaublich«, wisperte sie, »echt unglaublich. Meine Tochter besucht mich … bist du mein einziges Kind?«

      »Ja, du bekommst nur mich!«

      »Ob ich mich später daran erinnern werde, dass du hier warst?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Du wahrscheinlich schon. Aber ich vielleicht nicht. Keine Ahnung. Mir passiert das ja zum ersten Mal. Vor allem hab ich Schiss, dass ich nie zurückkommen werde. Stell dir vor, ich bin mit fünfzehn auf einmal weg. Spurlos verschwunden. Und du …«

      »Nee, glaube ich nicht. Wir haben doch die Uhr! Du musst dich nur genau erinnern, wie das war, und alles wiederholen. Das habe ich mal in einer Geschichte gelesen, da ist ein Mädchen mit einem Papagei auf der Schulter durch einen Tunnel gefahren und kam in der Vergangenheit wieder raus. Auf der Rückreise musste sie es dann genauso machen.«

      »Okay. Aber wo bekomme ich den Papagei her?«

      »Der Papagei ist bei uns die Uhr, verstehst du?«

      Ich stieß die Luft aus. Ich hatte sie ein bisschen verarschen wollen, doch sie kapierte meine Witze einfach nicht. So langsam hatte ich keine Lust mehr auf diese Retro-Vorstellung hier.

      »Ich kann das immer noch nicht wirklich glauben … Aber jetzt gehen wir erst mal runter, stellen dich meinen Eltern vor und essen Kuchen.« Marion hielt inne und packte mich am Arm: »Eine Frage habe ich aber noch. Deine Geburt … tat die sehr weh? Also, äh, mir?«

      »Die Geburt war okay, glaube ich …«, murmelte ich leise. Es war sehr seltsam, über die eigene Geburt zu sprechen. Vor allen Dingen mit der Person, die mich erst in ferner Zukunft zur Welt bringen würde.

      immer noch der 5. Mai, aber krasserweise 1980

      Der Abendbrottisch wurde in dem Zimmer gedeckt, das heute unser Wohnzimmer war. Aber was war eigentlich heute? Immer wieder fragte ich mich, ob die Zeit, in die ich gehörte, in diesem Moment ohne mich stattfand oder einfach anhielt, bis ich wieder zurückkam. O Mann, hätte ich mal auf Mama gehört und das Buch über diesen Zeitreisenden gelesen, das sie so toll fand. Vielleicht hätte ich dann einen Schimmer, wie ich mit dieser bizarren Situation umgehen sollte.

      Aber ich war eben lieber auf Facebook, guckte YouTube-Videos oder glotzte, statt zu lesen. Apropos glotzen, hatten die eigentlich auch einen Fernseher? Ich sah mich im Wohnzimmer um und entdeckte ihn hinter den Schiebetüren eines braunen Holzkastens. Unglaublich, wie dick der nach hinten raus war. Bis zum Flachbildschirm hatten die noch ein paar Jahre Tüftelarbeit vor sich. An der Wand hing ein riesenhaftes graues Telefon. Ich steckte den Zeigefinger in die Wählscheibe, wählte zum Spaß ein paarmal und musste über dieses schnarrende Geräusch lachen.

      »Wow, ein echter turntable«, rief ich kurz darauf, ohne zu überlegen, und machte mit dem Mund ein paar scratchende Geräusche.

      Marion lachte nervös: »Plattenspieler heißt das bei uns!«

      Ich spürte Dagmars Blicke auf mir und war froh, dass meine Neugier und meine Unwissenheit als typisch für ein englisches Mädchen ausgelegt werden konnten. Sich vor Dagmar England als Heimat auszudenken, war naheliegend gewesen, doch ich kannte das Land nicht, der Austausch mit der Partnerschule aus Wales sollte erst nach den Sommerferien stattfinden. Oh Gott, ob ich überhaupt dabei sein würde? In meinem Bauch begann es vor Nervosität zu kribbeln, mir war etwas flau und meine Hände zitterten, wie damals bei dieser dämlichen Ein-hartgekochtes-Ei-pro-Tag-Diät, die sowieso nichts gebracht hatte. Hier rannte ich in meinem altmodisch eingerichteten Zuhause herum, zwischen jüngeren beziehungsweise schon längst gestorbenen Personen! Ich atmete tief durch. Ganz ruhig, einfach weitermachen und sich nichts anmerken lassen.

      Während Dagmar und Marion, sich pausenlos zankend, den Tisch deckten, setzte ich meine Erkundungstour fort. Im Wohnzimmer hinter der geöffneten Schiebetür standen keine Bücher, wie heute bei Mama, dafür aber eine zwölfbändige Ausgabe von Der Neue Brockhaus. Ansonsten waren die Regale bis auf ein paar Kerzenhalter und eine gläserne Rehfamilie leer.

      »Abendbrot!«

      Verlegen grinsend setzte ich mich an den Tisch und starrte auf das blaue Geschirr mit den hellen Punkten, dessen Überreste sich heute in den Tiefen unserer Schränke stapelten. Es gab belegte Brote, eingelegte Silberzwiebelchen und Omi Elsas berühmten Möhrensalat, an dem sich Mama ab und zu versuchte, den sie aber noch nie so lecker hinbekommen hatte wie diesen hier.

      »Und für wie viele Tage soll das jetzt sein, mit diesem Austausch?«, brummte Opa. »Du hast uns ja gar nichts gesagt, Marion.«

      »Die sagt doch nie, was in der Schule los ist.« Dagmar. Konnte einfach nicht die Klappe halten.

      Marion packte die Geschichte von Manuela Hövelkamps kleinem Bruder aus. Der mit der Hirnhautentzündung. Ich entschuldigte mich bei ihm im Stillen für unsere Flunkerei und hoffte, dass er niemals daran erkranken würde.

      »Ich leg euch Bettwäsche raus«, sagte Omi. Damit schien die Sache zunächst erledigt. »Kann die kleine Engländerin denn mal was auf Englisch sagen?«, bat sie kurz darauf. »Ihr Deutsch ist ja ganz ohne Akzent!«

      Ich dankte meiner Tante das erste Mal in meinem Leben für deren Schulauswahl. »Ich bin so froh, dass ich gezwungen wurde, diese Sprache zu lernen, und manch einer mich jetzt nicht versteht«, sagte ich in fließendem Englisch und imitierte dabei den schlurrigen Akzent von Mr Cook, unserem Mathelehrer.

      »Lucky you!«, gab Dagmar ungerührt zurück. Sie hatte mein Genuschel offenbar verstanden.

      »Ja, unsere Dagmar, die ist sprachbegabt«, sagte Omi und tat mir ungefragt einen weiteren Klacks Möhrensalat auf den Teller. »Hier, gut für die Augen!«

      »Einser-Abitur«, setzte Opa Heinrich hinzu.

      Ich beschloss, noch eins obendrauf zu setzen, und fragte meine Tante, was sie studieren wolle, dabei sprach ich so schnell und unverständlich wie Mrs Salmon. Dagmar zuckte mit den Schultern und gab mit gekräuselter Nase zu, den letzten Teil des Satzes nicht verstanden zu haben. Ich grinste auf meinen Teller und wurde sicherer. Ohne Mühe erfand ich ein paar coole deutsche Künstlereltern für mich und ein rotes Backsteinhaus in Londons reichem Süden, in dem wir alle äußerst happy miteinander wohnten. Dagmars misstrauischem Blick begegnete ich mit einem, wie ich hoffte, entwaffnenden Lächeln. Doch immer wieder ertappte ich mich dabei, wie