Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger

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Название Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft
Автор произведения Stefanie Gerstenberger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401805153



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Sie schien weder sauer zu sein noch nervös. »Und gibt’s diese Leppstopp-Dinger auch mit Windenergie betrieben? Das wäre wieder mal typisch, nur für so einen kleinen Spaß unsere Umwelt zu belasten und zu verschmutzen!« Nun wurde sie lauter, mit der Umwelt war es ihr anscheinend bitterernst.

      »Das ist nicht nur ein kleiner Spaß. Damit wird alles gemacht, es gibt ganz viele Berufe, die es nur im Netz gibt. Oder auch Läden, Online-Shops, die versenden ihr Zeug nur noch übers Internet.«

      Marion zuckte nur mit den Schultern.

      »Ich habe übrigens auch einen Blog, in dem veröffentliche ich jede Woche meine Comic-Strips, die ich zeichne. Habe schon ganz viele Follower. Ich meine, das sehen sich ganz viele Leute an.« In your wildest dreams, Charlotte. Na und? Kann sie ja sowieso nicht kontrollieren. Ich schaute mich um. Es war so leer und still, instinktiv suchte ich nach einem Bildschirm, und sei er auch so klein wie der auf meinem Handy. Aber das war ja albern, mein Handy war nicht da, es lag in der Zukunft, und zwar genau auf diesem Schreibtisch. Hoffnungslos.

      Marion setzte sich auf ihr Bett und schwieg immer noch. Was für ein Albtraum, es gibt echt kein Internet! Natürlich hatte ich von dieser Zeit gehört, es mir aber nie wirklich vorstellen können. Und jetzt saß ich mittendrin in diesem schwarzen Loch, ohne jegliche Informationen. Was für ein Mist! Wie hielten die das bloß aus? Es gab nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu tun. Was würde ich jetzt im Jahr 2015 mit meiner Zeit machen? Was tat ich, wenn ich sauer, traurig, deprimiert, verzweifelt war? Ich ging an den Kühlschrank oder gleich hinunter in die Backstube, wo es immer Süßigkeiten gab, die mich beruhigten. Manchmal schrieb ich dann auch noch ein paar Zeilen in mein Mathekram-Tagebuch. Oder ich setzte mir Kopfhörer auf und legte mich mit Musik in den Ohren ins Bett. Decke über’n Kopf. Fertig. »Wenn ich jetzt Musik hören möchte, wie mache ich das?«

      »Na ja, unten im Esszimmer steht unser Plattenspieler. Hast du ja gesehen. Tut mir leid, ich habe noch keinen eigenen. Habe mir einen zum Geburtstag gewünscht, der ist aber erst im August.«

      »Am Achten, ich weiß!«

      »Paar LPs habe ich schon!« Sie kniete sich hin und holte einen Stapel unter dem Bett hervor.

      »LPs?«

      »Na Langspielplatten. Sag nicht, dass ihr die nicht mehr habt?«

      »Äh? CDs? Silberne Scheiben?«

      »Das ist ja wie in Raumschiff Enterprise. Hier, Fleetwood Mac zum Beispiel oder die Neue von Police und was von Simon and Garfunkel … Die Hülle hängt da. Wie findest du das?«

      Die olle Papphülle überm Bett. Ich hatte noch nie etwas von den beiden gehört und musste meinen gesamten guten Willen aufbieten, um Marions Dekorationsversuch gebührend zu würdigen. »Nice. Cool!«

      Marion strahlte und rückte den Plattenstapel wieder gerade. »Und hey, es ist Mittwoch, wir können Mal Sondock im Radio hören, gleich fängt seine Diskothek im WDR an, um fünf nach sieben. Wir können Dagmars Radiorekorder von oben klauen, mit dem nehme ich die Lieder immer auf.« Sie wedelte mit einem Gegenstand vor meinen Augen herum. Agfa Superchrom stand darauf und es sollte wohl eine alte Musikkassette sein. So ein Ding hatte Kyra-Melissa als Handyschoner. Ich verdrehte die Augen und spielte die Begeisterte: »Meine Güte! Die klappert ja richtig lustig!«

      »Ja. Manchmal gibt es aber auch Bandsalat, das ist dann nervig.«

      Okay, sie verstand meinen Witz schon wieder nicht. Ernüchtert ließ ich mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen und begann, ein Mädchen auf die Schreibtischunterlage aus Papier zu zeichnen. Es saß mitten im Nichts, hatte hängende Mundwinkel und riesige, enttäuschte Augen und sah mir verdammt ähnlich.

      »Stark! Das ist ja die absolute Härte! Woher kannst du das?« Marion stand plötzlich neben mir. »Mal mich noch daneben! Bitte!«

      Ich zeichnete sie in einer mega-unförmigen Latzhose, fröhlich mit ihren Plattenhüllen jonglierend. Sie lachte: »Du hast aus mir ein Zuckerpüppchen gemacht, ich sehe aus wie Audrey Hepburn in einer zu großen Latzhose.«

      Du bist ein Audrey-Hepburn-Zuckerpüppchen in einer zu großen Latzhose … Aber ich sagte: »Was können wir denn sonst noch tun? Was machst du abends immer so?«

      »Hausaufgaben. Lesen. Oder jetzt im Sommer rausgehen, mit dem Fahrrad rumfahren. Ich darf draußen bleiben, bis es dunkel wird. Na ja, und am Wochenende fernsehen. Mit jemandem am Telefon quatschen, Anne zum Beispiel.«

      »Das Telefon hängt doch mitten in eurem Esszimmer, da hört ja jeder mit …«

      »Ja, ich setz mich dann drunter an die Wand und halte den Hörer zu. Aber Vati mag es nicht, wenn ich die Leitung zu lange blockiere.«

      »Dann ist telefonieren ja für’n Arsch!« Mir war es mittlerweile egal, dass Marion irgendwann mal meine Mutter werden würde. »Was für ein Katastrophen-Leben!«

      »Wieso? Ich sehe Anne ja sowieso morgen in der Schule.«

      »Echt? Glückwunsch!« Ich bekam Atemnot von all dieser Langsamkeit, ich musste hier dringend weg! Marion sagte nichts mehr, sie stellte sich an ihr Bücherregal und fing an, die vielen gelben Reclam-Heftchen darin neu zu sortieren. Ich sah ihr dabei eine Zeit lang zu. »Hast du den Schimmelreiter schon?«

      »Ja klar!«

      »Den wirst du mir später mal für den Deutschunterricht leihen.« In dem habe ich allerdings total herumgekritzelt und ihn dir deswegen auch nicht mehr zurückgegeben.

      »Ach wirklich? Ich liebe die Geschichte. Die ist so …«

      »Mega-geil?«

      »Äh? Nein!«

      »Was sagt man denn bei euch, wenn man etwas so richtig gut findet, so richtig toll?«

      »Richtig toll, sagt man da. Oder gut, stark, prima, dufte«, erklärte mir Marion.

      Okay, sie kann ja nichts dafür, aber wenn ich noch länger hierbleiben muss, platze ich vor Ungeduld. »Marion?«

      »Ja?«

      »Sorry, ist jetzt echt nicht böse gemeint, aber ich glaube, ich will ganz schnell wieder zurück. Es ist alles so kompliziert hier.« So öde, so bescheuert, so langweilig. »Weil alles so … so einfach ist. Es gibt ja nichts zu tun. Kein Internet, kein ordentliches Fernsehen und ich vermisse mein Handy!« Ich schaute in den Garten, der im sommerlichen Abendlicht lag. Mehr zu mir sagte ich: »Wer weiß, wer mir heute alles schon ’ne SMS geschrieben hat, und wenn man nicht antwortet, ist man schnell out … also in meiner Schule jedenfalls.«

      »Entschuldige, dass ich dir vielleicht dumm vorkomme, aber was ist ein Hähndi?«

      »Entschuldige dich doch nicht dauernd!« Ich verdrehte die Augen. Sie machte mich wahnsinnig.

      »Klingt wie Hähnchen auf Bayerisch.« Marion kicherte.

      »So ein Hähndi wirst du eines Tages auch haben.« Wie man sich Apps runterlädt, weißt du aber immer noch nicht. Obwohl ich so genervt war, musste ich grinsen, weil ich Mamas panischen Gesichtsausdruck vor mir sah und ihre hektischen Bewegungen, mit denen sie ab und zu ihr Handy malträtierte. »Das ist ein kleines Telefon. Ohne Schnur, ohne Wählscheibe, mit einem kleinen Bildschirm. Ungefähr so groß wie eine Zigarettenschachtel, nur viel dünner. Das hat man immer und überall dabei.«

      »Nee! Ein Telefon, das man in die Hosentasche stecken kann? Und da drin klingelt es dann?« Sie kicherte schon wieder.

      »Hosentasche, Handtasche, wie du willst!«

      »Echt? Wie die Kommunikatoren in Raumschiff Enterprise?« Marion schaute mich ungläubig an. »Mit denen kann man auch sprechen.«

      Ich atmete tief ein und wieder aus.

      »Und was ist eine ess emm ess?«

      »Eine kurze Nachricht, die tippt man ein, wie …« Ich sah mich um. »Wie auf einer Schreibmaschine«,