Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger

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Название Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft
Автор произведения Stefanie Gerstenberger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401805153



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Blatt heraus und zerknüllte es. »Den muss ich noch mal neu schreiben … Aber warum schreibt man, wenn man doch anrufen kann?«

      Ich wandte mich um, hob die Arme und rief: »Keine Ahnung! Warum gibt’s hier kein Fernsehen mit ordentlichen Programmen? Warum ist dein Zimmer so kahl? Warum trägst du so komische Klamotten? So überhaupt nicht cool oder wenigstens vintage. Warum bin ich hier und nicht in meiner Zeit?«

      »Entschul…«, setzte Marion an, besann sich dann aber. »Weiß ich doch nicht! Außerdem würde ich gerne mal sehen, was du sonst so anziehst, wahrscheinlich bist du so ’ne oberflächliche Mode-Schnalle.«

      Ich schnaubte nur verächtlich. »Wenn du wüsstest …«, murmelte ich, mittlerweile extrem angenervt.

      »Wenn ich was wüsste, Charlotte Zimt? So heißt du doch, oder? Sag mir jetzt bloß nicht, dass ich den Namen meines Mannes angenommen habe!«

      O Mann, wenn das deine einzige Sorge ist … Ich schüttelte den Kopf. Nö, ohne Ehemann ist das mit dem Namen-Annehmen auch bisschen schwierig.

      »Ich finde dich auch nicht gerade … nicht gerade toll!« Marion schmetterte den Papierball, der mal ihr Referat-Anfang war, mit aller Wucht in den Papierkorb. Wow, sie konnte ja echt böse werden! Wir verschränkten gleichzeitig die Arme vor der Brust und starrten uns feindselig an. Zucker schaute ratlos zwischen uns hin und her.

      »Na los, dann hilf mir wenigstens mit dem Gästebett«, blaffte Marion schließlich. Ohne zu reden, bezogen wir das schmale Sofa an der gegenüberliegenden Wand mit einem Laken. »Dieses Zimmer ist einfach zu fucking klein«, sagte ich zu Zucker, als ich über ihn stieg.

      »Ohne gewisse Leute war’s für uns immer groß genug, nicht wahr, Zucker?«, erwiderte Marion. »Und wenn Dagmar zum Studieren geht, bekomme ich sowieso ihres.«

      Wer’s glaubt. Ich schaute Marion kopfschüttelnd an, daraus würde nichts werden, garantiert nicht. »Ich befürchte, ich muss heute in deinem Bett schlafen. Damit alles so wie in der Nacht vor dem Zeitsprung ist!«

      Marion schnalzte genervt mit der Zunge, atmete dann laut aus. »Na, okay, morgen wirst du ja nicht mehr da sein.«

      »Hoffentlich nicht mehr da sein, hast du vergessen zu sagen.«

      »Habe ich nicht!«

      »Aber gedacht!«

      »Kann es sein, dass du so eine Besserwisser-Tante bist?«

      Ich schnaubte verächtlich. »Los, gib die Uhr her!«

      »Damit Frau Wichtig in ihre mega-geile Zukunft mit ihren superdünnen Lepps und Topps und Tabbletts zurückkommt!«

      »Ja, und zwar je schneller, desto besser.«

      »Und wenn ich sie dir nicht gebe?« Sie hielt die Uhr in ihrer zusammengeballten Faust fest an die Brust gepresst. Sehr wenig Brust übrigens.

      »Ey, mach jetzt kein’ Scheiß!« In der Zukunft war sie zu lieb und zu nett und konnte sich gegen DDD nicht durchsetzen – und ausgerechnet in diesem Moment zickte sie rum? War sie jetzt völlig durchgeknallt? Ich riss das Fenster auf. »Was soll das? Gib her!«

      Zögernd gab sie mir die Uhr. Mein Herz klopfte laut, aber nicht nur aus Wut. Alles muss absolut gleich sein, alles muss richtig sein, jetzt kommt es gleich drauf an …

      Ich nahm die Uhr und drehte grob an dem Rädchen herum. Was hatte ich gedacht in dem Moment? Ich war sauer auf meine Mutter gewesen und hatte keine Lust mehr auf gar nichts gehabt, hatte die ganze Welt zum Kotzen gefunden …Kein Problem, in diesem Gefühlszustand befand ich mich bereits. Ich pfefferte die kleine Uhr in hohem Bogen hinaus.

      »Und jetzt …?«, fragte Marion. Zusammengesunken saß sie auf dem Schlafsofa und streichelte Zucker. Schon tat es mir leid, sie so angeschrien zu haben. Ich suchte ihren Blick, doch sie schaute mich nicht an.

      »… muss ich nur noch schlafen gehen und wenn ich morgen aufwache, liege ich zwar am selben Platz, aber in meinem Bett!«

      »Woher willst du das eigentlich wissen?« Endlich schaute sie hoch. »War das bei diesem Marty so?«

      »Nein, der ist freiwillig durch die Zeit gereist, in einem umgebauten Auto.« Ich versuchte, mich an möglichst viele Filme zu erinnern. »Manchmal bekommen die Menschen einen Blitzschlag, der sie dann in eine andere Zeit katapultiert, oder irgendwelches Wunschpulver rieselt ihnen auf den Kopf, während sie einschlafen. Und dann sind sie plötzlich dreißig.« Ich ließ mich auf das Bett fallen. »Entweder sie setzen sich auf getarnte Zeitmaschinen, Sofas oder Motorräder oder sie wachen einfach immer wieder am selben Tag auf, wie in Und täglich grüßt das Murmeltier. Super Film übrigens!« Ich lächelte zaghaft, in den letzten Minuten meines Ausflugs ins Jahr 1980 wollte ich unbedingt ein bisschen netter zu meiner Mutter sein. »Den musst du sehen, wenn er rauskommt! Ich weiß nicht, wann das sein wird, irgendwann in den Neunzigern, glaube ich. Die Dauerwelle von Andie MacDowell und ihre Klamotten sehen zumindest danach aus.« Doch dann fiel mir etwas ein. »Oh Gott, stell dir vor, ich hänge wie Bill Murray in einer Zeitschleife fest … Dann lerne ich dich jeden Tag wieder kennen.«

      »Das wäre ja zu blöd«, sagte Marion. Nicht gerade sehr besorgt. Na gut, dann nicht. Wird echt Zeit, hier abzuhauen.

      »Ich brauche übrigens auch noch eine Zahnbürste!«

      »Mutti hat bestimmt eine für dich. Die hortet gerne. Waschpulver, Lebensmittel, Zahnbürsten. Das hat sie noch aus der Zeit, als es nichts zu essen gab, nach dem Krieg.«

      »Krieg? Ich höre immer nur Krieg. Dabei ist der doch schon ’ne ganze Zeit vorbei, oder? Äh, Moment … fünfunddreißig Jahre, um genau zu sein.«

      Marion winkte stöhnend ab. »Wir nehmen in der Schule nichts anderes durch: Das Dritte Reich, das Dritte Reich. Die Nazis. Das Dritte Reich. Aber Mutti oder Vati darfst du damit nicht kommen. Die erzählen nichts von dem, was sie erlebt haben. Also kaum was.« Marion starrte auf den Boden. »Und dann werden sie immer ganz … ganz anders. Als ob da was hochkommt, das sie schnell wieder runterdrücken müssen.« Sie verzog das Gesicht, als ob sie in etwas Bitteres gebissen hätte.

      Eine halbe Stunde später schlüpfte ich mit geputzten Zähnen in Marions Bett, während sie sich auf dem schmalen Sofa unter ihre Decke begab. »Puh, ist das hart!«, stöhnte sie. »Entschuldigung, ich weiß ja, dass du da drüben liegen musst …«

      Ich hielt die Luft an, schon wieder entschuldigte Marion sich. Was würde ich darum geben, sie mal ordentlich durchschütteln und dadurch ändern zu können! Aber das würde ich heute Abend nicht mehr hinbekommen. Ich zog die Decke fester um mich und starrte an die Zimmerdecke. In diesem Moment blieb mir einfach nichts anderes übrig, als fest daran zu glauben, morgen zurück in meinem Leben zu sein. Endlich wieder mein eigenes, richtiges Leben, mit Internet und Handy! Eigenes, richtiges Leben? Das sieht gerade ziemlich mies aus, schon vergessen? Was, wenn Dagmar, die uralte Dagmar, den jetzigen Schrotthaufen von einem Café tatsächlich an diesen Dümpelmann verkauft? Und Mama mit mir wegzieht? Sie hatten beide verdammt ernst geklungen. Auch wenn alles klappte, ich würde raus aus dem einen Albtraum, rein in den nächsten springen. Na, stark! Na, dufte! Ich seufzte tief. O Mann, das durfte einfach nicht passieren!

      »Du? Charly?«

      Charles. Aber egal. »Was?«

      »Ich bin ganz sicher, du schaffst es! Morgen früh bist du weg, ganz bestimmt! Und da ich dich dann ein paar Jahre lang nicht sehen werde, wollte ich dir noch sagen: Ich fand es doch ganz schön, dich kennengelernt zu haben.«

      Plötzlich sah ich ihren Schatten vor mir, an meinem Bett. Ich setzte mich auf, erhob mich dann ganz. Vorsichtig umarmten wir uns. Sie war so warm, so zart.

      »Also bis bald. Wir sehen uns …« Meine fünfzehnjährige Mutter klang, als ob sie gleich weinen würde.

      »… in der Zukunft!«, antwortete ich. Wie dumm, jetzt stiegen mir doch tatsächlich auch ein paar Tränen in die Augen. O Mann, was für ein krasser Tag war das gewesen … Schnell schlüpfte