Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger

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Название Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft
Автор произведения Stefanie Gerstenberger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401805153



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Haube auf dem Kopf und Bäckerkleidung und kam mir sehr vertraut vor, selbst von hinten. Jetzt drehte er sich und ich sah die leere Hülle seines linken Ärmels, säuberlich aufgerollt und mit einer Sicherheitsnadel an seiner Schulter befestigt.

      Ich schluckte, mein Hals war plötzlich ganz trocken. Unbemerkt schlich ich hinter ihm entlang, ging zwischen komischen Rühr- und Knetmaschinen hindurch, vorbei an den unzähligen Blechen aus Aluminium, auf denen Pralinés lagen. Waren das die Mokkaschneckchen von früher? Die Creme-Igel und Krokantpilze? Und das da mussten die »Zauberhaften« sein. Ich erkannte sie an dem feinen Zucker, mit dem sie wie von silbrigem Staub überzogen waren. Ich schüttelte den Kopf und rieb mir die Stirn. Die Mokkaschneckchen von früher, der Kirschbaum wie früher, wenn jetzt auch das Café wieder so eingerichtet wäre, wie ich es von den Fotos kannte, würde ich ausrasten!

      Ich beeilte mich, hinter die Ladentheke zu kommen, um nachzuschauen. Beinahe wäre ich mit einer kleinen rundlichen Person zusammengestoßen, die in diesem Moment mit Schwung um die Ecke kam, ein leeres Blech in den Händen.

      »Verlaufen?«, fragte die Person freundlich. Ihr rötlicher, von grauen Strähnen durchzogener Haarknoten wippte auf ihrem Kopf. »Die Toilette ist dort vorne!« Sie ging lächelnd an mir vorbei.

      Ich blieb stehen, mein Magen überlegte offenbar, ob er sich übergeben wollte, und am liebsten hätte ich mich irgendwo hingesetzt, denn meine zitternden Beine hielten mich kaum noch. Meine Omi hatte mich gerade zur Toilette geschickt! Meine Omi war seit über zehn Jahren tot!

      Mit unsicherem Schritt schleppte ich mich hinter der Kuchenvitrine hervor. Genau wie ich es vermutet hatte: Auch das Café sah aus wie früher. Die Wände waren mit einer samtig roten Stofftapete bespannt, die kleinen Barocksessel fein gestreift und an den Wänden standen wieder die dunkelroten Lederbänke, auf denen ich als kleines Kind so gerne herumgeturnt war.

      Ein paar vereinzelte Damen saßen an den Tischen und tranken Kaffee, jede von ihnen hatte einen Hut auf und ein Stück Torte vor sich. Am frühen Morgen! Oder wie spät war es eigentlich? Sie plauderten quer durch den Raum miteinander. Manche rauchten. Das war doch nicht erlaubt! Oder doch?

      Vor dem Verkaufstresen standen ein paar Kunden, geduldig darauf wartend, dass sie bedient wurden. Manche musterten mich; ein alter Mann mit einem Stock grüßte mich sogar. Ich grüßte zurück und hoffte, dass niemand meine nackten Füße bemerken würde. Schnell setzte ich mich an das Ende einer Lederbank, von wo aus ich alles beobachten konnte, vom Tresen aber nicht gut gesehen wurde.

      Ich hätte am liebsten geheult, so sehr vermisste ich meine Großeltern plötzlich, obwohl sie doch zum Greifen nah waren.

      Da war sie wieder – Omi kam mit einem vollen Blech zurück, sie legte Schweineöhrchen auf weiße Papiertabletts, gab Wechselgeld heraus, schichtete die Pralinen aus der Vitrine vorsichtig in durchsichtige Tütchen, verzierte diese liebevoll mit grünen Schleifchen und reichte sie ihren Kunden. Wie schön! Wie schade. Warum hatten wir diese grünen Schleifen nicht mehr? Warum hatten wir das alles nicht mehr …?

      Ich schaute durch die Glastür. Der Schriftzug, den ich gestern noch angestarrt hatte, war derselbe: Café Zimt, in Spiegelschrift. Doch draußen breitete ein großer Baum seine Krone schützend über den Vorplatz. War das etwa der Baum, durch den Omi und Opa damals ums Leben gekommen waren? Der sie während eines Sturms mit einem seiner großen Äste erschlagen hatte? In ihrem Auto. Oh Gott! Da stand er.

      Ich hatte ganz offenbar einen Zeitsprung gemacht, wie Marty McFly aus Zurück in die Zukunft, das war klar. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, in welches Jahr ich zurückgereist war. Wie irre das alles klang! Konnte das denn wirklich sein? So was passierte doch nur in Filmen.

      An der Wand gegenüber hing ein Kalender, ich kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, um was für einen Monat es sich bei dem Kalenderblatt mit der Rosenblüte handelte. Mai, es war Mai, wie auch gestern noch, als ich nichts ahnend ins Bett gegangen war. Das Jahr konnte ich nicht genau erkennen. Irgendwas mit einer Neunzehn am Anfang. Einer Neunzehn! Also Neunzehnhundert…, ich erhob mich und ging darauf zu. 1980! Der 5. Mai 1980. Oh Gott, ich war über Nacht – ich rechnete im Kopf – fünfunddreißig Jahre weit in die Vergangenheit zurückgeschlittert. Mama müsste also wie alt sein? Ich rechnete wieder, während mein Magen immer noch verrückt spielte. Fünfzehn! So wie ich. Im August würde sie sechzehn werden. Jetzt drehte sich auch mein Kopf, denn ich verstand das alles nicht! Wie war ich hierhergekommen? Ich hatte doch nichts Besonderes gemacht! Jetzt reiß dich zusammen und überleg! Du hast im Bett gelegen, als du Dagmar und Mama streiten hörtest. Dann hast du Mama angeschrien und hast dich wieder schlafen gelegt. Mehr war nicht.

      Na super, wie sollte ich je wieder zurück in meine eigene Zeit kommen? Ich musste sofort … irgendetwas tun … aber was eigentlich?

      Obwohl … Wenn ich jetzt schon mal hier war: Wäre es nicht genial, noch einen schnellen Blick auf Mama als Teenager zu werfen? Und Dagmar erst? Wie die wohl aussah? Ich schaute an mir hinunter und musste lächeln. Die gelbe Latzhose war unmöglich. Ob meine Mutter auch so eine trug?

      Erst jetzt bemerkte ich den großen Hund, der unter der Bank aus dunklen Augen zu mir emporschaute. Sein wuscheliger, goldblonder Kopf lag dicht neben meinem nackten Fuß, es sah so aus, als ob er lächelte. Na klar, der Hund von den Fotos!

      »Das ist Zucker, unser Café-Hund, der tut nichts.« Meine Omi stand plötzlich neben mir. »Kann ich Ihnen etwas bringen?« Meine Omi siezte mich.

      »Äh, nein. Ich warte auf … Marion!« Es war komisch, Mamas Vornamen auszusprechen. Vor Verlegenheit tätschelte ich Zucker, der daraufhin mit dem Schwanz auf den Boden klopfte und ein paar Zentimeter unter der Bank hervorgerobbt kam. Ob Omi die eigene Ähnlichkeit mit ihrer Enkelin auffiel? Immerhin hatte ich nicht nur die roten Haare von ihr geerbt, sondern auch die hellbraunen Augen, und den Dickschädel gleich dazu, wie Mama behauptete.

      »Die muss jeden Moment kommen, aber seid ihr denn verabredet? Montags nach der Schule hilft sie ihrem Vater immer mit den Petit Fours.«

      »Mit wem?«

      »Na, bei den Pralinen.«

      »Ach ja? Kann sie das denn?« Ich wurde rot. »Wie schön! Wir … wir schreiben ein Referat zusammen, über … über Kinderarbeit.« Ich lächelte, biss aber gleichzeitig die Zähne zusammen.

      Na toll, was anderes fällt dir nicht ein, beschimpfte ich mich. Omi Elsa guckte schon alarmiert. »Nein, war Spaß. Wir schreiben … Na ja, über die Berufe unserer Eltern.« Mist, was war los? Leichtes Abändern der Wahrheit und Improvisieren gegenüber Respektspersonen fiel mir sonst leichter.

      »Schon gut, da kommt sie ja!«

      Ein dünnes Mädchen lief hinter der Verkaufsvitrine hervor, sie hatte eine Papiermütze über die kurzen dunklen Haare gestülpt und band sich im Laufen eine weiße Schürze auf dem Rücken zu. Darunter konnte ich den Blick auf eine weitere Latzhose erhaschen, eine lilafarbene, viel zu groß für sie, und, oh Gott, wie schrecklich war das denn? Um den Hals trug das Mädchen ein gebatiktes Tuch, in Knallgrün. Sie stürmte auf Omi zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange, den diese etwas starr entgegennahm und auch nicht erwiderte.

      »Bin spät dran, musste Anne noch mit ihrem Fahrrad helfen. Kette war abgesprungen. Aber jetzt bin ich da! Vati und ich probieren heute noch mal die Türmchen mit der Bitterorangenmarmelade, ich glaube, mit dem neuen Rezept für den Biskuitteig kriegen wir die besser hin …«

      Ich wandte meine Augen keine Sekunde von dem Mädchen ab. Das … war … Mama! Sie war so … so unglaublich jung. Und ihre Haut fein und glatt, vor allen Dingen am Hals, der von dem fürchterlichen Tuch an einigen Stellen frei gelassen wurde. Sie redete über Biskuitteig und hatte im ganzen Gesicht keinen einzigen Pickel. Wie machte sie das nur? Nun sah sie wirklich aus wie die junge Audrey Hepburn, deren Filme sie heute so liebte. Allerdings waren da die breiten, wild wuchernden Brauen, die sich wie zwei schwarze Raupen über ihren Augen ausruhten und zusammen mit der Latzhose und dem restlichen Ökofreak-Outfit den elfenhaften Eindruck gewaltig störten.

      »Marion, deine Freundin hier wartet schon.« Omis Stimme riss mich aus meinen Beobachtungen. »Wenn sie