Togt. Edeltraud-Inga Karrer

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Название Togt
Автор произведения Edeltraud-Inga Karrer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347144729



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genauso ausgedacht hatte. Je mehr sie sich anfeindeten, desto unbemerkter konnte er seine Gedanken und Ideen in ihren Köpfen zünden. Es sollte ja zu einem neuen Aufstand kommen. Die Menschen vergaßen einfach zu schnell, wie sehr ihre Vorfahren oder sie selbst schon gelitten hatten.

      Es war wieder aufwärts gegangen und schon versanken die schrecklichen Bilder des Bürgerkrieges im Grau der Vergangenheit.

      Nur wenige erinnerten sich glasklar und kamen der Wahrheit bedenklich nahe. Sie ahnten, dass nicht der vermeintliche menschliche Gegner, nicht eine Krieg auslösende Begebenheit, sondern eine menschenverachtende Kraft, mit Hilfe einer herzlosen, gefühllosen Maschinerie, alle Attacken gegen die gesamte Erdbevölkerung anzettelte. Diese Ahnungsvollen fanden sich zusammen und setzten der Politik nichts entgegen, außer der Gewissheit, dass es einmal vorbei sein würde, egal, ob sie jetzt eingriffen oder nicht. Sie errieten, dass nichts das Chaos aufhalten konnte. Im Gegenteil, je weniger sie opponierten, desto eher brach das ganze Lügengebäude der gesteuerten Menschen in sich zusammen. Es war für sie so, als wenn die von Angst Getriebenen einer tödlichen Krankheit mit Salben oder Umschlägen beikommen wollten. Es würde die Leidenszeit nur verlängern.

      * * *

      »Ich glaube, wenn wir den Hunger in der Welt bekämpfen, werden wir den Frieden möglich machen können.« John hatte sich in der Konferenz zu Wort gemeldet. Ihr Thema war wie immer: Wie kann man die Welt retten? Was kann jeder von uns dafür tun?

      Magnus widersprach: »John, wir haben schon seit Jahren immer wieder dieselben Lösungsansätze, ohne dass wir auch nur einen Schritt weitergekommen wären. Wie soll das, was sich so einfach anhört, in die Tat umgesetzt werden? Du kennst selber unsere unfruchtbaren Bemühungen, die Politiker für dieses Thema sensibel zu machen. Ab und zu springt da mal einer auf unseren Zug auf, wenn es vorteilhaft für ihn ist, doch wenn unsere Ideen nicht mehr gebraucht werden, wird diese Anwandlung von Hilfsbereitschaft schnell wieder in der Schublade versenkt. Ich brauche euch da wirklich nichts mehr dazu zu sagen, weder dir, John, noch allen anderen. Ihr seid so lange dabei, dass ihr genau wisst, wovon ich spreche.«

      Die meisten der Anwesenden nickten. Magnus, in seiner Eigenschaft als Führer und auch Gründer der Gruppe, hatte mit seinen Einlassungen recht. Soviel sie auch probiert hatten, es scheiterte immer an etwas, das sie nicht beachtet oder erwartet hatten. Es wurde wirklich Zeit, dass sie ihre Pläne so verfassen, sodass sie auch umsetzbar waren. Sie mussten sich einfach Tricks ausdenken, wie sie die Politiker nicht nur vor den Wahlen dazu bringen konnten, endlich die Welt mit ihren Augen zu sehen. Den Untergang der Menschheit, den Hunger, das Elend, die Armut, die Ungleichheit, die zu Kriegen führen würde, endlich zur Kenntnis zu nehmen und sich dagegen einzusetzen. Doch hier waren neue Visionen und ein neues Konzept gefragt. Schritte also, die sie bis heute nicht gegangen waren.

      »Was haltet ihr davon, wenn wir Märsche für die Welt initiieren? Gute, an die Herzen gehende öffentliche Reden halten, mit kernigen Aussagen Gewissen wachrütteln, die ansprechen, motivieren und zum Mitmachen animieren, die sich unserem Ideal bislang noch verschlossen zeigen?

      Ich denke, wir müssen unseren Fokus bündeln und auf ein Thema lenken. Unsere vorrangige Aufgabe könnte lauten: Wie sprechen wir die Mitmenschen an? – und dann – Welche politischen Parteien können wegen ihrer eigenen Verlautbarungen und Wahlversprechen gar nicht anders, als uns zu unterstützen? Damit könnten wir sie alle dazu bringen, sich unserem Aufruf anzuschließen; denn unmenschlich will doch niemand wirken.«

      Magnus war wie immer wirklich überzeugend. So machten sie sich an die Arbeit, Gedanken und Pläne zu entwickeln, um seine Vorstellungen möglichst schnell und effektiv umzusetzen.

      Schon bei der nächsten Zusammenkunft legten sie Skizzen vor, wie Transparente aussehen könnten. Kindergesichter, traurig und herzergreifend baten um Hilfe. Mütter flehten um Brot für ihre Kleinen. Einprägsame Slogans waren ausgedacht, Artikel für die regionalen und überregionalen Medien geschrieben worden, und bald waren die besten Arbeiten gekürt.

      Zwei Wochen später konnte die erste Demonstration stattfinden. Es liefen an diesem Samstag außer den Gruppenmitgliedern noch ein paar Familienangehörige mit. Doch bei der nächsten Veranstaltung hatte sich die Anzahl der Demonstranten schon verdoppelt.

      Aus anderen Gruppierungen schlossen sich ebenfalls Teilnehmer an, sodass auf einmal in allen größeren Städten der westlichen Länder fast täglich Aufmärsche stattfanden, bei denen klare Forderungen gestellt wurden.

      Lange, nicht enden wollende Schlangen von gutmeinenden Menschen durchzogen die Städte und hielten ihre Transparente und Forderungen den Schaulustigen vor. Wunderbare starke Reden wurden gehalten und mancher, der noch nicht mitmarschiert war, ließ sich von der allgemeinen Euphorie anstecken.

      Die einen wollten den Hunger besiegen, die anderen die Waffenaufrüstung der ganzen Welt stoppen, wieder andere hatten sich auf die Fahnen geschrieben, die Globalisierung zu verteufeln, die die ärmsten Länder zugunsten von wenigen zu Opfern machte.

      Die immer größer werdende Schar hatte nur das Gute im Sinn. Sie wollten retten, beschützen, versorgen und helfen – überall auf der Welt.

      Viele Interessen wurden da gebündelt, und die Politiker machten gute Miene zu dem ihnen aufgezwungenen Spiel. Notgedrungen mussten sie Besserung geloben, ohne es wirklich zu wollen. Sie hatten sich eigentlich wählen lassen, nicht um zu arbeiten und ihre ganze Kraft ihrem Volk zukommen zu lassen, sondern um ein ganz formidables Einkommen, jede Menge Privilegien und einen sicheren Altersruhestand genießen zu können.

      Durch den Druck der Straße kamen sie nicht umhin, zeitweise ihre Komfortzone zu verlassen und zumindest vordergründig Verständnis zu zeigen, in dem sie sich den Demonstrationen anschlossen, getrieben auch von der politischen Opposition, die sie ebenfalls nicht zur Ruhe kommen ließ.

      Es wurden Versprechungen in alle Richtungen abgegeben, die selbstverständlich nicht gehalten wurden. Ausreden fand man dafür immer. Man hatte schließlich lange genug geübt, andere für die eigenen Fehler und Versagen verantwortlich zu machen.

      Leider kam es auch bei den ›Weltverbesserern‹, wie in fast jeder Gruppe, zu Unstimmigkeiten. Sie hatten gleiche Ziele, aber unterschiedliche Wege dorthin. Und die Streitereien während der Zusammenkünfte und über die Medien wurden immer aggressiver. Es zeichnete sich bald ab, dass sich die einmal so große Gruppe selbst zerlegen würde. Nur ein paar wenige Unentwegte hielten durch und versuchten permanent mit ihren Ideen zu den Menschen durchzudringen, die längst schon den Glauben daran aufgegeben hatten, in der Welt irgendetwas zum Guten verändern zu können.

      Wieder eine Organisation, die sich zerstritten hatte und ihre Niederlagen eingestehen musste.

      Und wieder nickte er hämisch lächelnd über die natürlich gescheiterten Bemühungen dieser törichten, blauäugigen und nichts ahnenden Menschen.

      * * *

      Von Kleinstaaterei bis hin zu ganzen Nationen schlossen sich die Menschen in der Vergangenheit zusammen. Dadurch wurden sie stärker und konnten ihre Interessen besser durchsetzen.

      Aus Tauschgeschäften wurden Handelsgeschäfte, in denen das Geld als die Währung eingeführt wurde, mit der man kaufen und verkaufen konnte.

      Die Banken begannen sich zu vermehren. Sie redeten den Leuten ein, dass es doch schön sei, sich einen Wunsch zu erfüllen, noch bevor man das Geld dafür zusammengespart hatte. Gern vergaben sie Kredite, die zu einer wundersamen Vermehrung des Zahlungsmittels führte. Neben den Zinsen wurde Zinseszins berechnet. Die Menschen merkten nicht, wie ihnen die Taschen immer häufiger und intensiver geleert wurden, während die Finanzwirtschaft riesige Vermögen scheffelte.

      Auch dieser Plan ging auf. Die meisten Menschen mussten arbeiten mühten sich vergeblich ab und bekamen oft nur wenig Chancen, im Leben weiterzukommen. Andere wiederum stopften sich die Taschen voll und herrschten über ein so riesiges Kapital, dass sie selber nicht mehr einschätzen konnten, über wieviel Reichtum sie eigentlich verfügten.

      Es kam dazu, dass sogar die Medien meldeten:

      ›62 Menschen auf dem Planeten besitzen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammengenommen,