Togt. Edeltraud-Inga Karrer

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Название Togt
Автор произведения Edeltraud-Inga Karrer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347144729



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fest.

      * * *

      »Herr Professor, was ist los mit Ihnen? Sie haben wieder die ganze Nacht gearbeitet! Legen Sie sich doch ein bisschen hin, Sie werden sonst noch zusammenklappen!« Der Laborant macht sich sichtlich Sorgen.

      »Hab keine Zeit! Kommen Sie mal her, Müller, ich zeig Ihnen was!«

      »Was soll das? Eine wirre Zeichnung, seltsame Formeln – was ist das?«

      »Wir werden ab sofort alle Materialien, die robust sein müssen aber gleichzeitig elastisch, schnell zu produzieren und dabei kostengünstig, wasserabweisend bei Regen, wärmend bei Kälte, kühlend in der Hitze, mitwachsend für Kinder, alle nur denkbaren Kleidungsstücke aus diesem Stoff herstellen. Das ist eine Weltneuheit! Und sie wird meinen Namen tragen – meinen Namen! Na, Müller, sind Sie jetzt beeindruckt?«

      »Professor, ich sage ja schon immer, Sie sind exzellent! Wenn das funktioniert, mein Lieber!«

      »Verlassen Sie sich darauf, es wird funktionieren!«

      »Dieser Stoff, den Sie da ausgetüftelt haben, hat der auch schädliche Auswirkungen auf die Haut oder die Atemwege der Träger?«

      »Ach was, das kann man vernachlässigen! Ein paar sehr unwahrscheinliche Beschwerden sind schon möglich, aber denken Sie mal an den großen Vorteil, den diese Erfindung hat!«

      Damit schickte er Müller wieder hinaus, der ihm einige Materialien besorgen sollte. Müller erinnerte sich erst viel später wieder an dieses Gespräch. Möglicherweise hätte er sonst nicht so hingebungsvoll seinen Dienst für den Professor erledigt.

      Nach Jahren dieser Erfindung wurden Kinder geboren, mit verstümmelten Händen und Füßen, oder die andere Anomalien aufwiesen. Menschen litten und starben an Krankheiten, die niemals zuvor aufgetreten waren und die mit bekannten Mitteln nicht bekämpft werden konnten.

      Als in seiner eigenen Familie diese schrecklichen Krankheiten und Entstellungen immer häufiger vorkamen, fiel Müller die Frage wieder ein, die er damals seinem Professor stellte. Die tatsächlichen Ursachen wurden nicht bewiesen, und es schien so, als wenn auch niemand der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft irgendein Interesse an der Aufklärung hatte.

      Doch der Herr Professor konnte sich mit solchen Nebensächlichkeiten nicht lange aufhalten. Er sprühte vor Ideen und war schon dabei, die nächste umzusetzen.

      Müller hörte bei seiner Rückkehr, wie er, tief über seine Notizen gebeugt, unverständliche Worte vor sich hinmurmelte. Er verstand nur Wortfetzen: »Das muss doch klappen. Aber wie? Doch, jetzt, ich hab’s!«

      Der Laborant, fast so alt wie sein Vorgesetzter, begleitete ihn nun schon seit vielen Jahren. Er schüttelte den Kopf und konnte es nicht fassen, was die letzten zwei, drei Wochen mit seinem Chef gemacht hatten. Der sonst vorsichtige Analytiker, der unzählige Male seine eigenen Ideen verworfen oder überarbeitet hatte, der in seinen langatmigen Erklärungen so manchen Studenten in den Seminaren zum Einschlafen und mit ständigen Einwänden und Bedingungen sowie seiner zeitraubenden Akribie viele Auftraggeber zur Verzweiflung brachte, war plötzlich wie ausgewechselt.

      Jeder Tag schien ihm zu kurz zu sein, um seine zahlreichen Einfälle umzusetzen. Er jagte den armen Müller ständig von einem Ort zum anderen, um für ihn Dinge zu beschaffen, Erkundigungen einzuholen und Hilfen zu organisieren.

      Einmal, in einem seltenen Anfall von Mitteilungslust, erzählte er Müller auf dessen Frage, was denn mit ihm passiert sei, eine haarsträubende Geschichte:

      »Müller, Sie werden’s mir nicht glauben, aber ich hatte ein Erlebnis, was ich auch niemandem abnähme, wenn er mir das erzählte! Ich lag in meinem Bett und dachte über meine Zukunft nach. Und die sah zu diesem Zeitpunkt nicht rosig aus. Ich hatte zwar mein Auskommen, aber eigentlich wollte ich mehr vom Leben. Sollte nun alles vorbei sein? Keine Spannung mehr, alles nur noch fade? Ich kam mir unglaublich alt vor, ausgelaugt und um eine Hoffnung betrogen.

      Ich sah bei anderen, wie sie sich dynamisch wildem Treiben hingaben, sich mit schönen Frauen schmückten, Partylöwen spielten – in deren Leben war einfach was los! Und wie sah das bei mir seit ewigen Jahren aus? Uni, nach Hause, eine missmutige Haushälterin, weil es keine Frau an meiner langweiligen Seite ausgehalten hat, ins Bett, nicht einmal verrückte erotische Gedanken leistete ich mir. Während ich noch so nachdachte, tauchte plötzlich jemand – ein Schatten – in meinem Schlafzimmer auf. Zuerst spürte ich, dass ich nicht mehr allein war. Dann begann der Unbekannte mit mir zu sprechen. Ich konnte es kaum fassen, er schien alle meine Gedanken zu kennen: ›Professor, steh auf! Steh auf und beginn zu laufen. Dein trostloses Dahinvegetieren ist zu Ende, wenn du auf mich hörst!‹

      Eine kleine Pause entstand zwischen diesen Worten und dem nächsten, für mich so folgenschweren Satz. Dann fuhr er fort: ›Du bekommst alles von mir, wenn du mir deine Seele verkaufst, Ideen, Ruhm und Macht!‹

      Ich rieb mir die Augen und dachte, dass ich träume. Aber nein, es war Realität! ›Denk nicht zu lange nach! Mein Angebot ist befristet!‹ Damit war er verschwunden.

      An Schlaf war nicht mehr zu denken. Mir ging durch den Kopf, dass das völlig irreal war, was ich da erlebt hatte. Wahrscheinlich so etwas wie ein Tagtraum. Wenn ich diesen widerlichen Geruch nach Schwefel nicht noch immer in der Nase gehabt hätte, könnte ich das glauben. Dann kam mir der Gedanke, falls er wirklich hier gewesen war – wer war er und welche Gegenleistung erwartete er von mir?

      Doch letztlich war ich mit meinem bisherigen Leben ja nicht zufrieden und wünschte mir das, was er mir angeboten hatte. Meine Bedenken wurden durch die Vorfreude auf sein Versprechen hinweggefegt.

      Mein Entschluss war gefasst – ich würde mich darauf einlassen. In dem Moment, als ich diese Entscheidung traf, stand er wieder an meinem Bett. ›Schön, das war sehr klug von dir! Ab sofort tust du genau das, was ich dir eingebe. Fang nicht mit eigenen Ideen an. Wenn du dich daran hältst, werden deine kühnsten Träume in Erfüllung gehen.‹«

      Müller hatte ihm befremdet zugehört und fragte skeptisch, wer es denn gewesen sei, der mit ihm gesprochen habe. Doch hoffentlich nicht der Gottseibeiuns?

      Der Professor sprudelte direkt vor lauter Einfällen und war voller Risikobereitschaft – eine Charaktereigenschaft, die Müller nie zuvor an ihm bemerkt hatte.

      Auch die Art seiner Vorträge änderte sich auffallend. Egal, ob an der Uni, während seiner Vorlesungen, noch in den Interviews – nach denen die Medien inzwischen Schlange standen – das Feuer seiner Begeisterung sprang ungekühlt auf seine Zuhörer über. Charismatisch und von seinen eigenen Erfindungen und Ideen überwältigt, riss er ganze Menschenmassen mit.

      Außer die Öffentlichkeit von seinen Thesen und Einfällen zu begeistern, arbeitete er, im wahrsten Sinne des Wortes, unermüdlich, an seinen neuesten Projekten. Er kannte keine Ruhepausen und von Schlaf ließ er sich seine Zeit nicht stehlen. Sein Arbeitstag umfasste vierundzwanzig Stunden und Müller erwartete täglich seinen Zusammenbruch.

      Doch das Gegenteil war der Fall: Je mehr er arbeitete, desto versessener wurde er auf die Ergebnisse und desto weniger erschöpft wirkte er.

      Sein eigenes Fach, die Chemie, reichte ihm als Experimentierfeld bald schon nicht mehr aus. Seine genialen Fähigkeiten sprengten jedes

      Vorstellungsvermögen. Er entwickelte eine Waffentechnik, die den Drohnen in ihrer bekannten verheerenden Wirkung in nichts nachstanden, sich aber allein durch Gedanken einsetzen und manövrieren ließen. Durch diese Besonderheit war es möglich, sie nicht von Soldaten, die unter Umständen von Skrupeln geplagt wurden, lenken zu lassen. Der Befehlsgeber selbst war nunmehr in der Lage, sie zu den vorgesehenen Zielen zu steuern. Dadurch wurden eventuelle Aus- oder Zwischenfälle durch Armeeangehörige, die von ihrem Gewissen geplagt wurden, vermieden.

      Er entfaltete binnen kürzester Zeit Ideen, die enorme Veränderungen, große Heilerfolge in der Pharmazie, umwälzende Umsetzungen in der Verkehrs- und Agrartechnik möglich machten und insgesamt zu finanziellen Gewinnen für seine Auftraggeber und vordergründig auch zu enormen Verbesserungen führten.

      So entstand