Togt. Edeltraud-Inga Karrer

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Название Togt
Автор произведения Edeltraud-Inga Karrer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347144729



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Argwohn und ohne Bitterkeit begegneten sie selbst denen, die ihnen Schaden zufügten. Ihre Gebete beinhalteten immer auch die Vergebung aller bösen Attacken. Sie nannten sich Fische, und so waren sie. Sie rutschten allen Angreifern durch die Finger. Jede Anklage gegen sie brach in sich zusammen. Sie stellten sich nicht gegen die Regierung, sie opponierten nicht, sie verurteilten nicht – sie waren einfach schwer fassbar.

      Wie damals, vor mehr als 1800 Jahren, als die Noturos wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt den Löwen in der Arena vorgeworfen wurden. Einer erinnerte sich noch immer mit Zähneknirschen an diese Tage. Sie hatten im Theaterrund einen Kreis gebildet und sich an den Händen gehalten. Dann wurden die hungrigen Bestien auf sie gehetzt. Die Noturos sangen! Man konnte es kaum fassen! Er fuhr innerlich noch immer aus der Haut, wenn er daran dachte. Sie lobten ihren König, dankten IHM und starben dabei. Einer nach dem anderen. Und der letzte Ton ihrer Lieder verklang erst, als der Allerletzte von ihnen auch umgebracht worden war.

      Niemand auf den Rängen jubelte, wie es eigentlich üblich war, wenn Gladiatoren ihre Kämpfe ausfochten und der Sieger gekürt wurde. Hier erfassten die Menschen, dass das kein fairer Kampf, sondern reiner Mord war, und ein betretenes Schweigen breitete sich unter den Zuschauern aus.

      Was für eine Niederlage für ihn, den Gott der Welt! Diese Gefolterten sollten doch schreien, um Gnade betteln, sich ihm unterwerfen. Er hätte sie natürlich begnadigt. Doch sie winselten nicht! Unglaublich! Und das passierte ihm immer wieder. Er ließ sie auf Streckbänken foltern, er ließ sie an Bäume knüpfen, sie kreuzigen, sie am Marterholz verbrennen. Und was taten sie? – Sie vergaben ihren Feinden und lobten ihren König.

      Immer kurz vor seinem Ziel, sie ausgerottet zu haben – dafür wurde Paméu eingesetzt, der die Kirchen als Unterstützung gewinnen konnte – entdeckte er wütend, dass doch noch irgendwo eine kleine Gruppe überlebt hatte. Grimmig musste er mit ansehen, wie sie sich vermehrten, trotz Verfolgung und versuchter Ausrottung. Vielleicht auch nicht trotz, sondern wegen! Einer starb, zwei erhoben. Es grenzte an Hexerei, aber es war keine, das wusste er genau, denn damit kannte er sich bestens aus. Er hatte die Zauberei schließlich erfunden und zu den Menschen persönlich gebracht, die sich seiner Güte würdig erwiesen hatten.

      Hatte ER etwa immer wieder eingegriffen, ER, wegen dem das hier alles stattfand? IHM wollte er beweisen, dass sie es nicht wert gewesen waren, ihm vorgezogen zu werden! Es sollte IHN quälen und tief verletzen, wenn ER sähe, wozu sie fähig waren. Das klappte ja auch bei den meisten, doch die Noturos machten das Konzept kaputt, denn er wollte IHM vorführen, dass nicht nur fast alle, sondern ausnahmslos alle unwürdig waren.

       4. Kapitel

      Eron legt noch einmal ein paar Scheite Holz auf die Glut. Betha und er genießen nach der langen Trennung das vertraute Beisammensein. Die Kargheit des kleinen Hauses fällt beiden nicht auf.

      Sie haben Wichtiges zu besprechen. Wie kommen sie hinüber? Diese Mauer ist fast unüberwindbar. Sie überlegen, äußern ihre Ideen, um sie gleich darauf wieder als undurchführbar zu verwerfen.

      Plötzlich schlägt sich Eron an den Kopf: »Klar, Hinz!« Betha schaut ihn verständnislos an. »Was ist mit Hinz?«

      »Ich bin gleich wieder da!« Und schon ist er im Flur, reißt seine Jacke von der Garderobe, dann fällt die Haustür ins Schloss.

      Er muss nicht weit gehen, bis er die windschiefe Hütte von Hinz erreicht hat. Eine Klingel ist nicht vorhanden. So klopft Eron nachdrücklich an die von Holzböcken reichlich beschädigte Tür. Es dauert lange, bis er schlurfende Schritte hört, nach einigem Zögern fragt der Alte dann: »Wer ist da? Wer will was von mir?« Er muss sich sehr anstrengen, diese Worte laut hervorzubringen. Ein Hustenanfall folgt den kurzen Sätzen und selbst nach draußen dringt das schwere Atmen des Eremiten.

      »Ich bin’s, Eron. Bitte mach auf. Ich muss dich unbedingt etwas Wichtiges fragen.«

      Der junge Mann hört, wie der Alte sich bemüht, den schweren Riegel zu bewegen. Nach einigen erfolglosen Versuchen gelingt es ihm dann doch die Tür nach innen aufzuziehen.

      «Was willst du von mir?« Aus zusammengekniffenen Augen mustert der alte Mann misstrauisch seinen jungen Besucher. »Ich denke, sie haben dich eingesperrt!«

      »Lass uns doch erst einmal hineingehen«, schlägt Eron vor. »Es ist kalt hier und ungemütlich.«

      »Bei mir ist es überall kalt.«

      Es stimmt! Dennoch schlurft Hinz ihm nun voraus in das Wohnzimmer, das nichts Wohnliches hat. Überall liegen Kleidungsstücke herum, ein Teller mit angetrockneter Suppe steht auf dem Tisch und die Spüle quillt von schmutzigem Geschirr über.

      In der Zimmerecke steht ein Holzofen, aber es brennt kein Feuer darin. Es ist kalt. Eron wird seine Jacke nicht ausziehen. Hier ist es wirklich sehr frostig, eine feuchte unangenehm Kälte, aber Hinz scheint es mit den drei Pullovern, die er übereinander gezogen hat, irgendwie auszuhalten. Es riecht hier überall nach dem Alten. Bethas ehemaliger Mann ist grau und gebrechlich geworden, wohl nicht nur durch die vergangenen Jahre.

      »Soll ich den Ofen anmachen?« Suchend schaut der junge Mann sich um. »Wenn du Holz findest.« Hinz zuckt die Schultern. Da kommt Eron ein Spruch in den Sinn, den er irgendwo einmal aufgeschnappt hat: »Ironie ist die letzte Phase der Enttäuschung.«

      Eron hat ihn ganz anders in Erinnerung. Mit welch feuriger Überzeugungskraft hatte er ihm und den anderen Jungen damals von der anderen Seite der Mauer erzählt. Er konnte begeistern und alle hingen an seinen Lippen. Niemals hätte der junge Mann sich damals vorstellen können, dass Hinz in den zehn Jahren so kraftlos und resigniert werden könnte.

      »Vater Hinz, du hast uns doch von der anderen Seite erzählt. Deshalb haben wir uns auch aufgemacht, dorthin zu kommen.«

      »Willst du mir ebenfalls Vorwürfe machen, dass ihr einfach losgegangen seid? Ich kann doch nichts dafür! Aber alle haben gesagt, ich hätte euch diesen Floh ins Ohr gesetzt und euch dazu angestachelt, über die Mauer zu klettern. Du weißt, dass das nicht wahr ist! Sie meiden mich seitdem und niemand will mehr etwas mit mir zu tun haben. Ich hab mich daran gewöhnt. Doch es ist Unrecht.« »Nein, nein. Ich will dir nichts vorwerfen. Ich möchte nur, dass du mir erzählst, woher du das von der anderen Seite alles wusstest. Warst du jemals dort?«

      »Ja, ich war einmal dort. Es ist schon lange her. Es gab eine Zeit, wo es zwischen denen da drüben und uns keine Grenze gab. Doch jetzt steht da eine Mauer, die so hoch ist, dass man nicht hinüber kann.«

      Der Alte hatte sich, nachdem er zuerst vorne auf der Kante seines wackligen Stuhles saß, zum Aufspringen und Eron des Hauses zu verweisen bereit, endlich zurückgelehnt. Die anfängliche Unsicherheit war fast so etwas wie einer Entspanntheit gewichen.

      Es ist alles gesagt, was nach seiner Meinung zu sagen war. Langsam fallen dem alten Mann die Augen zu und es sieht aus, als sei er eingenickt. Eron überlegt, ob er ihn jetzt einfach gehen und ihn schlafen lassen soll, entscheidet sich dann aber dafür, noch ein wenig zu bleiben.

      Er schaut sich in der baufälligen Behausung um. Seit einiger Zeit hört er ein Geräusch, dem er jetzt nachgeht. In der Ecke des armseligen Raumes sieht er einen Eimer stehen, der mit dem Regenwasser schon fast voll ist, das durch ein Loch im Dach heruntertropft. Er leert den Eimer, stellt ihn wieder an Ort und Stelle und verlässt Hinz. Er lehnt die Tür an und läuft so schnell er kann zurück zu Betha. Sie hat seine eiligen Schritte schon gehört und öffnet ihm.

      »Betha, hast du vielleicht für Hinz etwas Holz übrig? Es ist eisigkalt in seiner Hütte«, stößt er hervor.

      Sie deutet hinter ihr kleines Häuschen. Schnell hat Eron den Arm mit Holzscheiten vollgepackt und ist gleich wieder fort.

      Er versucht, so leise wie möglich den Ofen zu öffnen und die Scheite aufeinanderzulegen. Dann zündet er ein Streichholz an und kurz darauf beginnen die Flammen hungrig an dem Holz zu züngeln.

      Der Alte schläft noch immer. Inzwischen ist sein Kopf auf die Brust gesunken.

      Gerade will Eron auf dem Hocker Platz