Название | Togt |
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Автор произведения | Edeltraud-Inga Karrer |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347144729 |
Doch damit ist ab heute Schluss! Es reicht! Einmal noch möchte Betha Theo sehen, nur einmal noch. Sie weiß gar nicht, ob er überhaupt noch lebt, aber wenn sie nicht geht, wird sie es nie erfahren und ihre Chance damit vertun.
Mühsam bahnt sie sich ihren Weg durch das Gestrüpp, das im Laufe der Jahre den Trampelpfad, den sie so oft gegangen ist, völlig überwuchert hat. Ihre Strümpfe, die sie schon viele Male gestopft hatte, bekommen neue Risse. Die Beine brennen vor Schmerz, wenn Stacheln und Dornen in die Haut dringen. Sie spürt, wie die Strümpfe von dem herabfließenden Blut feucht werden.
Plötzlich wird sie von hinten berührt. Sie zuckt zusammen, fasst sich ans Herz und hört eine bekannte Stimme: »Nicht erschrecken, Mutter Betha, ich bin’s, Eron.«
Sie dreht sich um und schaut in das etwas verwahrloste Gesicht eines jungen Mannes. Dunkle Ringe unter den schönen blauen Augen, die mit langen dunklen Wimpern umrandet sind, ein wild wuchernder dunkler Bart, ungepflegt und zottelig.
»Bist du’s wirklich? Natürlich, du kannst ja niemand anderer sein. Aber man hat dich doch verhaftet, als du vor fünf Jahren zu der Mauer wolltest. Wie bist du wieder in Freiheit gekommen?«
Das dankbare, glückliche Lächeln will gar nicht aus ihrem Gesicht verschwinden. Sie ist so froh, ihrem Eron hier zu begegnen. Lange schon hatte sie die Hoffnung aufgegeben, den Jungen jemals wohlbehalten wiederzusehen. Auch er lächelt und nimmt sie an die Hand. »Komm mit, ich zeig dir einen leichteren Weg hier heraus.« Willig lässt sie sich von ihm führen. Ihr Herz schlägt schnell. Sie weiß, das ist die Freude. Ihr Eron!
Dann kreuzt ein ehemals breiter Weg ihren Pfad. Hier biegt er links ab, sicher und ohne das geringste Zögern. Er kennt sich aus. Sie erreichen eine alte, aber sehr stabile Bank. Betha möchte sich setzen, um ein wenig ihr Knie zu entlasten. Eron nimmt neben ihr Platz.
»Du riechst sehr streng.«, stellt sie fest.
»Kein Wunder, nach fast einem Jahr hier im Wald. Ab und zu konnte ich mich an der Quelle waschen. Doch jetzt, wo es so kalt ist, trau ich mich nicht. Eine Erkältung wäre das Letzte, was ich gebrauchen könnte.«
»Erzähl’, was ist dir passiert?« Erwartungsvoll schaut sie ihn an und stellt fest, dass viele kleine Narben sein Gesicht zeichnen. Sie kuschelt sich an ihn und lauscht. Beschützend legt er seinen Arm um sie. Sie geben einander die Wärme, die beide so lange vermissten.
»Sie haben uns geschnappt. Einige Uniformierte hatten sich in der Nähe der Mauer auf die Lauer gelegt und uns erwischt. Sie waren in der Überzahl und geübte Kämpfer. Wir hatten nicht die geringste Chance. Sie trieben uns mit Schlägen durch einen kleinen Tunnel vor sich her, der unter der Mauer hindurch führte. Dann stießen sie uns auf einen Lastwagen und fuhren uns zu einem Strafgefangenenlager. Eine Gerichtsverhandlung fand nicht statt. Wir wurden in eine Zelle gesperrt, wir fünf. In eine Zelle, die für zwei gedacht war. Keiner erfuhr, für wie lange wir dortbleiben müssen.«
Langsam kriecht die feuchte Kälte bis auf ihre Haut und lässt sie frösteln.
»Komm, ich will dir meine Unterkunft zeigen. Da ist es angenehmer als hier draußen.« Eron reicht ihr die Hand und bald erreichen sie seine gut getarnte Höhle. Der Eingang ist mit Farn und Laub bedeckt. Eron kriecht zuerst hinein, zündet innen eine Fackel an und hilft seiner Besucherin, ebenfalls hineinzukommen.
Aus Ästen und Baumstücken hat er sehr einfallsreich und geschickt seine Bleibe möbliert. Das Notwendigste ist vorhanden, ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, gepolstert mit Heu und Stroh. Ein paar Konserven stehen ordentlich verstaut in einem Regal. Aus Steinen hat er sich eine Heizstelle gebaut, auf der schon dürres Geäst liegt und dieses nun schnell mit seinem Feuerstein entzündet. Bald hat sich der anfängliche Rauch verzogen und es wird in der bescheidenen Behausung direkt ein wenig gemütlich.
Lange sitzen sie schweigend einander gegenüber, fassen sich von Zeit zu Zeit an den Händen, lächeln sich zu, so wie früher, als Eron noch bei ihr wohnte.
Er war erst fünf Jahre alt, als seine Mutter starb. Einen Vater gab es nicht. Betha war die gute Seele des Stadtteils und nahm sich des Kleinen an. Bei ihr lebte er solange, bis er, von der Neugier und der Abenteuerlust gelockt, mit den vier anderen davonschlich, um sich die verbotene Mauer anzuschauen und sich davon zu überzeugen, ob die geheimnisvolle andere Seite tatsächlich so traumhaft schön war, wie Hinz sie beschrieben hatte. Hinz hatte in ihnen die Neugier geweckt. Konnte es so einen Ort wirklich geben?
Nach einer Stunde der Ruhe und des wohligen Beieinanderseins steht Betha mit den Worten auf: »Ich möchte zur Mauer.«
»In den Jahren, in denen ich gefangen war, hat man sie extrem erhöht.«, erklärt Eron. »Kein Mensch kann mehr darüberklettern. Ich habe versucht, auf die Bäume in der Nähe zu kommen, um von dort aus irgendwie hinüberzugelangen. Aber die Bäume, die direkt an der Mauer wuchsen, sind gefällt worden und die übrigen sind zu weit entfernt, sodass man sie nicht benutzen kann.«
»Dann möchte ich sie mir nur ansehen.« Ein wenig traurig klingt ihre Stimme nun, nachdem sie ahnt, dass das Unterfangen viel schwieriger wird, als sie angenommen hat.
Sie verlassen die Höhle und stehen bald darauf vor der riesigen Steinwand, die es ihnen unmöglich macht, den Ort, in dem Theo wohnt, zu sehen.
Betha sieht die momentane Ausweglosigkeit ein und nimmt wieder die Hand des jungen Mannes.
»Komm, Eron, wir gehen nach Hause.«
Im Zwielicht der untergehenden Sonne müssen sie immer größere Mühe darauf verwenden, den Weg nicht zu verfehlen. Nach langer Zeit erreichen sie die Straße und dann das Häuschen, in dem sie solange miteinander gewohnt haben.
Schnell ist ein Tee zubereitet und ein paar Scheiben trockenes Brot und Margarine vervollständigen das karge Mahl. Aber sie achten nicht darauf. Sie sind zusammen und das ist gut. Während Betha den Tisch deckt, entzündet Eron den alten Ofen, der in kurzer Zeit die kleine Stube wärmt.
Sie überlegen, wie sie weiter vorgehen wollen. Aufgeben kommt für beide nicht in Frage.
2. Kapitel
Er lebt schon seit Jahrtausenden hier. Er, Togt, der sich für den Imperator und rechtmäßigen Herrscher hält. Von hier aus organisiert er seit langer Zeit das große Verbrechen, das er in der Vergangenheit ausgeführt hat, in der Gegenwart fortsetzt und mit fester Zuversicht in der Zukunft letztendlich zum gewünschten Abschluss bringen wird.
Mit ihm existieren in dieser Parallelwelt, in Terra Secunda, zwei Gestalten, die nichts Menschliches haben. Es sind Avtix und Paméu, seine Untertanen, die er für die Umsetzung seines teuflischen Planes unbedingt braucht.
Über die Balustrade gebeugt, die die große Terrasse des Schlosses umfasst, in dem sie wohnen, stehen er und sein Helfershelfer Avtix und beobachten das Gewimmel auf der Erde.
Wie Ameisen rennen die Menschen umher – getrieben durch ständigen Zeitmangel – und verrichten irgendwelche Aufgaben, ohne dabei so etwas wie Erfüllung in ihrem Tun zu empfinden.
Sie sehen von ihrem erhöhten Blickpunkt aus, dass in immer mehr Orten die Lichter verlöschen, die Häuser grau werden und kaum mehr Menschen die Straßen bevölkern. Zwischen diesen Orten und denen, die noch über Elektrizität verfügen, ziehen sich schnell entstehende hohe Mauern. So werden die grauen Städte isoliert.
Ein zufriedenes Lächeln huscht über die faltige Gesichtshaut von Togt.
»Langsam kommen wir dem Ziel näher und näher«, murmelt er, eigentlich mit sich selbst sprechend. Er sieht sich, in seiner Kutsche sitzend, Angst und Schrecken verbreiten. Es macht ihm große Freude, sie zittern zu sehen.
Das seltsame Wesen neben ihm, das einem überdimensionalen Panther gleicht, mit den Füßen eines Bären und über mehrere Köpfe verfügt, vernimmt seine Worte. Schmeichelnd nickt es und bestätigt: »Du bist großartig, unübertroffen. Viel hast du erreicht. Du bist der Meister!«
Das Ergebnis der Planung, die Jahrhunderte in Anspruch genommen hat, ist unübersehbar: Die Resignation und Depression