Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu

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Название Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea
Автор произведения Park Min-gyu
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783706930123



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so mein Gedanke.

      Der Schlaf wollte und wollte nicht kommen. Auch im kommenden Jahrhundert passiert sicher wieder alles Mögliche. Unzählige Menschen sterben, unzählige werden geboren. Meine Gedanken hatten keinen Boden und kein Ende und bissen sich doch in den Schwanz.

      Wohin gingen all die Seelen der Gestorbenen?

      Wahrscheinlich fliegen sie in den Weltraum.

      In einer Kühlanlage namens Stratosphäre werden sie nämlich frischgehalten.

      Irgendwann, wenn ihre Zeit reif ist, kehrt jede Seele wieder zur Erde zurück.

      Aus diesem Grunde sollte ich jedenfalls, dachte ich mir nun,

      im kommenden Jahrhundert allen, die es auf diese Welt verschlagen hat, mit besonderer Wärme begegnen.

      Weil ihnen sicher lange kalt gewesen sein wird,

      viel zu kalt gewesen sein wird.

      Endlich, zu guter Letzt, kam ein langer, wunderbarer Schlaf. Er überfiel mich wie ein Meteorschauer und legte sich über die nördliche Hemisphäre meines Gehirns. Mein Großhirn war jetzt die Wüste Gobi, durch die eine Herde Kamele zog. Die blickten Meteoren nach, wie sie schwarmweise, lange Kometenschweife hinter sich herziehend, erdwärts stürzten; dann ließen die Tiere müde ihre Köpfe hängen.

      Im Dunkeln dort lärmte der Kühlschrank, noch lauter als sonst. Und das war also meine letzte Nacht im alten Jahrhundert.

      7

      Ich schlief dann bis zum Morgen durch. Wie immer spürte ich als erstes meinen leeren Magen, als zweites meine volle Blase. Ich stand auf, und nach wie vor war alles wie eh und je – aber irgendwie hatte ich trotzdem das Gefühl, als sei da irgendetwas ein wenig anders als sonst. War das wegen des Wechsels ins neue Jahrhundert? Kurz zog ich das in Erwägung, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Das war ja doch ausgeschlossen. Was war es aber dann? Ich leerte erst mal meine Blase und wusch mir den Schlaf aus den Augen. Als ich vom Bad wieder ins Zimmer trat, wurde mir schlagartig klar, was anders war.

      Der Kühlschrank war still.

      Was war denn da los? Ich drückte ein Ohr an den Schrank und lauschte, aber aus den Tiefen seines Innern drang nichts als ein stinknormales leises Kühlkreislaufbrummen. Was ging da vor? Mir rutschte das Herz in die Hose. Was war mit unserer Welt geschehen? Was war mit China, mit Amerika, und vor allem mit meinen Eltern? Ich riss die Kühlschranktür auf.

      Zu meiner maßlosen Verblüffung war es drinnen fast vollkommen leer.

      Nur im mittleren Fach

      war ein sauberer weißer Teller, perfekt mittig platziert.

      Und auf diesem Teller

      prangte ein Block Castella, ein Eierkuchen.

      Als nähme ich nun eine ganze Welt in die Hand,

      so sorgsam fasste ich das Kuchenstück, hob es vom Teller und holte es aus dem Kühlschrank.

      Es war ein überraschend warmer,

      sauber zugeschnittener und sehr weicher Quader.

      Tast- und Sehsinn vermittelten mir untrüglich, worum es sich hier handelte.

      Ganz behutsam biss ich ein kleines Bröckchen ab.

      Ein süßes, zartes Aroma zog mir durch Mundhöhle und Nase, breitete sich aus, bis weit in die Eustachische Röhre hinein.

      Das hier

      war ein Geschmack, um dessentwillen man alles vergeben und verzeihen konnte.

      Wunderlich, aber

      während ich diesen warmen, weichen Eierkuchen kaute,

      flossen mir Tränen übers Gesicht.

      ***

      Waschecht ein Waschbär

      Respekt

      „Respekt, Respekt.“ B blödelte nun schon die dritte Minute albern herum. Bei seinem zweiten ironietriefenden „Respekt“ knallte ich den Hörer aufs Telefon. Aber nicht, dass ich von B die Nase voll hatte oder dass er mit seiner Spöttelei den Bogen überspannt hätte. Es war nur so, dass über drei mit Bürokram und Geräten überladene Tischreihen hinweg die Stimme unseres Abteilungsleiters zu mir gedrungen war. Der Typ, der sogleich „Jawohl!“ brüllte und hinrannte, das war also ich, meines Zeichens Praktikant bei der Firma Wallstreet Communication. Praktikant im vierten Monat. Für meinen Teil fand ich eigentlich,

      dass mir durchaus Respekt gebührte, allen Ernstes. Immerhin machte ich nun schon den vierten Monat brav diese Deppenarbeit. Praktikanten waren wir insgesamt acht. Will sagen: ich hatte sieben Konkurrenten. Mit einem Lohn konnte ich mich leider nicht brüsten, wir bekamen gerade mal so viel, dass es für die Fahrscheine reichte. Dafür durften wir aber im Büro oft sowieso die Nacht durcharbeiten; und genau einen Glücklichen von uns acht wollte die Firma nach Ablauf dieser sechsmonatigen Lehrzeit fest anstellen. Und der Rest? Tja ...! Der Prokurist meinte diesbezüglich: „Sehen Sie es auf jeden Fall als gute Erfahrung an.“ Aber wehe ihm, dachte ich, wenn ich wirklich leer ausgehe.

      Für die anderen sieben ging es allerdings genauso um die Wurst. Das machte mich fertig. Nie eine Verschnaufpause. Zwei Tussis waren dabei, die, so raunte man sich zu, beim Englisch-Einstufungstest eine sagenhafte Punktzahl eingefahren hatten. Verbiesterte Streberinnen, das. Glaubten wohl, sie können alle anderen abhängen. Vier weitere waren eigentlich harmloses Mittelmaß und einer war überhaupt ein ziemlicher Knallkopf, aber alle gaben sie total Gas. Hatte keinen Sinn, herumzuschimpfen und nach Schuldigen zu suchen. Die Welt befand sich nun mal, schon längst, auf der schiefen Bahn, da war man als Einzelner machtlos dagegen. Sogar ich, auf der Uni noch gefeierter Sänger der Amateur-Rockgruppe Sam’s Sons, musste angesichts dieser Schieflage passen. War drum nur von früh bis spät keuchend damit beschäftigt, Sachen zu recherchieren, Kopien zu machen, Akten zu sortieren, Telefonate zu führen, Daten zu erheben, Kaffee zu servieren. „Gestern habe ich anstelle des Abteilungsleiters eine Milizübung absolviert. Ich meine, muss sich ein Rocksänger für so was hergeben?“ ‒ „Respekt, Respekt.“ B, unser Schlagzeuger, lachte echte Tränen.

      „Sie haben mich gerufen?“

      „Ja, ich dachte mir nämlich, Sie sind sicher gut in so was.“ Der Abteilungsleiter Son lächelte bei diesen Worten. So ein Dings-Programm wolle er furchtbar gern zum Laufen bringen, aber er schaffe es nicht selber. Ob ich es nicht doch irgendwie hinbekommen könne. Ich war erleichtert. Herr Son wirkte sonst immer übermäßig steif und darum irgendwie unnahbar. Obendrein war an diesem Tag die Stimmung sowieso völlig im Keller. Unsere Abteilung hatte nämlich gerade bei einer wichtigen Projektgeschichte, bei der wir gegen ein anderes Team hatten rittern müssen, den Kürzeren gezogen.

      „Das ist

      ein recht altes Spiel, wie mir scheint.“ ‒ „Ein recht altes Spiel, stimmt.“ ‒ „Zuerst müsste man einen Emulator installieren.“ ‒ „Einen Emulator?“ ‒ „Das zu erklären, würde jetzt etwas länger dauern.“ Im Handumdrehen hatte ich im Internet das Programm M.A.M.E. gefunden. Nachdem ich es installiert hatte, rief ich wieder das Spiel auf und klickte auf „Ausführen“. Ein Kinderspiel. Und alles funktionierte.

      „Was ist denn

      das?“ ‒ „Das ist der Waschbär, sieht man doch.“ ‒ „Der Waschbär, sagen Sie?“ ‒ „Genau, der Waschbär.“ Tatsächlich, nach einer Katzenmusik, die irgendwie so klang, als würde ein Gespenst ungekochten Reis zerbeißen, tauchte in einer Ecke des Bildschirms ein zu dieser Katzenmusik auch irgendwie dazupassender Waschbär auf. Der Abteilungsleiter verzog kurz seinen Mund zu einem Lächeln, das irgendwie nach „Na, bitte, da bist du ja!“ aussah und stürzte sich umstandslos ins Vergnügen. Das Spiel lief ungefähr so: Man steuerte den Waschbären durch die Gegend, der musste Obstzeugs sammeln und fressen und zwischendurch immer mal wieder vor so einer